„Sicherheitsproblem“ und ein Kanzler im Kreuzfeuer – was zum Abhör-Skandal der Bundeswehr bekannt ist

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Nur „Spitze des Eisbergs“? Abhör-Skandal erschüttert Bundeswehr – was bekannt ist und was nicht

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Ein abgehörtes Gespräch über Taurus-Marschflugkörper erschüttert die Bundeswehr. Wie konnte Russland an die Aufnahme gelangen? Und welche Folgen drohen dem Kanzler? Fragen und Antworten.

Berlin – Die Bundeswehr wird von einer Abhör-Affäre erschüttert. Bereits am Freitag hatte Russland sich in Person von Ex-Präsident Dmitri Medwedew über einen vermeintlichen Ausschnitt aus einem Gespräch von Luftwaffenoffizieren über die Einsatz-Möglichkeiten von Taurus-Marschflugkörpern in der Ukraine lustig gemacht. Am Samstag dann die Bestätigung: Die kommentierten Szenen sind nicht lediglich russische Propaganda, sondern stammen aus einer echten Aufnahme. Die Politik stimmt das besorgt. Den Kanzler setzt das unter Druck. Und das große Fragezeichen ist: Wie gelangte Russland an die Aufnahme? Fragen und Antworten zum Skandal.

Abhör-Affäre der Bundeswehr: Ist der Mitschnitt echt?

Ja, die geleakte Aufnahme ist echt. Das Gespräch sei authentisch und habe stattgefunden, erfuhr die dpa am Samstag. Demnach wurde bei der Besprechung die Plattform Webex benutzt. Von Seiten des Bundesverteidigungsministeriums hieß es zuvor zunächst, man prüfe, ob und wie die Kommunikation im Bereich der Luftwaffe abgehört wurde – dann folgte die Bestätigung. Den Inhalt des Gesprächs wollte man nicht kommentieren. Der Mitschnitt hat es allerdings längst in die sozialen Medien geschafft.

Bundeswehr von Abhör-Skandal erschüttert – worum geht es in der Aufnahme?

Der Mitschnitt ist ganze 38 Minuten lang, wurde am Freitag (01. März) von der Chefredakteurin des russischen Staatssenders RT, Margarita Simonjan, via Telegram verbreitet. Laut ihr soll die Aufnahme aus einer virtuellen Telefonkonferenz vom 19. Februar stammen. Offiziere der Luftwaffe diskutieren darin über einen Einsatz deutscher Taurus-Marschflugkörper in der Ukraine – und treffen brisante Aussagen. An der Besprechung nahm auch der Chef der Luftwaffe, Inspekteur Ingo Gerhartz, teil.

Olaf Scholz bei der Bundeswehr: Der Kanzler steht wegen des Abhör-Skandals mächtig unter Druck.
Olaf Scholz bei der Bundeswehr: Der Kanzler steht wegen des Abhör-Skandals mächtig unter Druck. © Kay Nietfeld

Unter anderem kam zur Sprache, ob mit Taurus auch die Kertsch-Brücke getroffen werden könnte, welche die Halbinsel Krim mit dem russischen Festland verbindet. Diskutiert wurde auch, ob ein Einsatz der Taurus für die Ukraine auch ohne Anwesenheit deutscher Soldaten im Ukraine-Krieg möglich sei. Außerdem heißt es in dem Mitschnitt, Großbritannien hätte etwa im Zusammenhang mit dem Einsatz seiner gelieferten Storm-Shadow-Raketen „ein paar Leute vor Ort“. Die abgehörte Besprechung soll als Vorbereitung auf ein mögliches Briefing von Verteidigungsminister Pistorius für das Taurus-System gedient haben.

Wie konnte es Russland gelingen, das Gespräch der Luftwaffe abzuhören?

Die größte und wohl auch zunächst rätselhafteste Frage: Wie fiel der Mitschnitt in russische Hände? Dies war zunächst völlig offen. Es gibt allerdings einen Verdacht. Möglicherweise wurde für die Schaltkonferenz keine geschützte Leitung genutzt. Nach dpa-Informationen sprachen die Offiziere über die Kommunikationsanwendung Webex miteinander. Die Webex-Sitzung sei wiederum über eine Büro-Festnetzleitung der Bundeswehr auf die Mobiltelefone der Soldaten abgesetzt worden, schrieb die Bild am Sonntag unter Berufung auf Sicherheitskreise.

Eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums sagte der Bild am Sonntag: „Es gibt Anhaltspunkte, dass mit Blick auf die offensichtlich besprochenen Inhalte ein nicht ausreichend sicheres Kommunikationsmittel verwendet wurde. Dies ist unter anderem Gegenstand der weiteren Untersuchungen.“ Wie heise online unter Berufung auf mit der Implementation vertraute Personen berichtet, habe das System bei der Einwahl per Telefon über einen Browser keine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Dass per traditionellem Telefonanruf zugeschaltete Personen keine verschlüsselte Verbindung aufbauen können, sei ein „grundsätzliches Sicherheitsproblem“. Das Ministerium bestätigte diese Informationen zunächst nicht.

Würden sich derartige Annahmen bewahrheiten, würde dies ein schlechtes Licht auf das Bundeswehr-Konferenzsystem werfen. Auch die Aussage eines Teilnehmers, er könne gewisse Informationen „whatsappen“, also per Messenger-App verschicken, lassen Sicherheits-Alarmglocken schrillen.

Was bedeutet das abgehörte Bundeswehr-Gespräch für die Taurus-Debatte – und für Kanzler Scholz?

Die Aufnahme erhöht mächtig den Druck auf Bundeskanzler Olaf Scholz. Dieser hatte sich zunächst gegen eine Taurus-Lieferung gewehrt, da dann auch deutsche Soldaten in die Ukraine müssten. Grünen-Politiker Anton Hofreiter hatte diese Annahme bereits widerlegt. Und auch der in der Aufnahme zu hörende Generalinspekteur Gerhartz scheint dafür wenig Verständnis zu haben. „Weil keiner so richtig weiß, warum blockt der Kanzler hier, kommen abenteuerlichste Gerüchte auf“, ist er in der Aufnahme zu hören – ebenfalls erwähnt er, er habe falsche Aussagen über Taurus vor Journalisten richtigstellen müssen.

Auf Scholz prasselt nun viel ein. Die Opposition etwa drohte bereits einen Untersuchungsausschuss an. Die Union geht sogar so weit und stellt die Glaubwürdigkeit des Kanzlers infrage. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt etwa sprach gegenüber dem Spiegel von einer „in doppelter Hinsicht befremdlichen“ Situation. Sowohl Dobrindt, als auch die Grünen und die FDP forderten Scholz auf, den Skandal vor dem Bundestag zu erklären. Der Druck auf den Kanzler steigt.

Olaf Scholz im Taurus-Kreuzfeuer nach Bundeswehr-Leak – wie reagiert der Kanzler?

Auch Scholz scheint sich der Dringlichkeit des Themas absolut bewusst zu sein. Der SPD-Kanzler gab sogar am Rande seines Besuchs beim Papst in Rom am Samstag (02. März) ein Statement dazu ab. Scholz sprach von einer „sehr ernsten Angelegenheit“ und versprach schnelle Aufklärung. Auf eine Frage der Deutschen Presse-Agentur nach möglichen außenpolitischen Schäden sagte er: „Deshalb wird das jetzt sehr sorgfältig, sehr intensiv und sehr zügig aufgeklärt. Das ist auch notwendig.“

Abhör-Skandal der Bundeswehr: Wie geht es nun weiter?

Im Kanzleramt und Verteidigungsministerium dürften nun erstmal die Alarmglocken schrillen. Die Aufklärung und Aufarbeitung des Falls dürfte hohe Priorität genießen. Die Bild berichtet unter Berufung auf Sicherheitskreise, geprüft werde jetzt, ob die verwendete Webex-Variante für den Austausch von Informationen der niedrigsten Geheimhaltungsstufe „Verschlusssachen - nur für den Dienstgebrauch“ zugelassen ist und wie die in der Besprechung genannten Details eingestuft sind. Damit solle festgestellt werden, wie schwer der Verstoß gegen Sicherheitsregeln wiege.

Gleichzeitig ist auch die Abhör-Causa in der Bundeswehr sicherlich nicht vom Tisch. Schließlich bestünde nun durchaus die Möglichkeit, dass Russland an weitere sensible Daten geraten sein könnte. Die Vorsitzende des Bundestagsverteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND): „Wir müssen dringend unsere Sicherheit und Spionageabwehr erhöhen, denn wir sind auf diesem Gebiet offensichtlich vulnerabel.“ Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz forderte schnellstmögliche Klärung, „ob es sich bei diesem Abhörskandal um einen einmaligen Vorgang oder ein strukturelles Problem handelt.“ Es werde deutlich, dass es eine „wirkliche Zeitenwende“ bei allen Verfassungsorganen und Sicherheitsbehörden brauche. Der CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter sagte dem ARD-Hauptstadtstudio, der Abhör-Vorgang „wird sicherlich nur die Spitze des Eisbergs sein“

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