Alte Rakete, neuer Albtraum: Ukraine schickt Putin seine eigenen Waffen zurück
Die Ukraine hält sich mit Erfindungsreichtum über Wasser – und formt aus ihren alten Beständen neue Gefahren. Putin drohen erneut weitere Verluste.
Kiew – „Trotz des beachtlichen Alters der Geräte und der Einschränkungen der taktischen und technischen Eigenschaften finden wir Möglichkeiten zur Modernisierung und Umsetzung der neuesten Ansätze“, schreibt Brigadekommandeur Maksym Zaichenko auf dem Facebook-Account der 3. Separaten Angriffsbrigade der Ukraine. Der Soldat macht damit öffentlich, dass die Verteidiger weiterhin frühere Waffen Wladimir Putins gegen seine Invasionsarmee einsetzen – wie das Raketensystem R-73, mit dem die Ukraine weitere Schlupflöcher am Himmel stopfen will.
„Die Ukraine hatte einen Haufen alter sowjetischer Luftkampfraketen herumliegen; jetzt feuert sie sie von jedem verfügbaren Abschussgerät ab“, schreibt dazu das Magazin Forbes. Wieder macht die Ukraine Schlagzeilen damit, dass sie ihren Krieg als Resterampe westlicher sowie östlicher Militär-Technik führt. Wahrscheinlich hat keine Armee bisher ihre Gefechte mit einer ähnlichen Patchwork-Ausrüstungen führen und aus der Not eine Tugend machen müssen: „Die Luftkampfrakete R-73 aus der Sowjetzeit etabliert sich schnell als bevorzugte Waffe für improvisierte ukrainische Boden-Luft-Raketensysteme“, schreibt Thomas Newdick.
Alles gegen Russland: Die neue „FrankenSAM“ eine dringend benötigte Verstärkung der Luftabwehr
Der Autor des Magazins The War Zone (TWZ) sieht im neuen „FrankenSAM“ eine dringend benötigte Verstärkung der Luftabwehr – „FrankenSAM“ als Verballhornung eines Boden-Luft-Raketensystem (Surface-to-Air-Missile), das wie Frankenstein aus Teilen verschiedener Systeme zusammengebastelt worden ist: Laut Newdick verfeuere das neue System umgerüstete hitzesuchende R-73-Luft-Luft-Raketen aus der Sowjetzeit als Abfangraketen und reihe sich damit ein in eine wachsende Liste bodengestützter Luftabwehrsysteme, die Bestände dieser Waffe nutzen. Die R-73 seien, laut TWZ, hauptsächlich in den ukrainischen Kampfflugzeugflotten vom Typ Su-27 und MiG-29 im Einsatz – dafür seien sie gebaut worden.
„Ein Artilleriegeschütz von 1953 tötet einen immer noch, bevor man die Gefahr bemerkt, und ein alter, aber modernisierter Panzer ist vielleicht nicht die ideale Fronteinheit, aber wenn der BMP (Schützenpanzer) über den Hügel kommt, spielt es keine Rolle, ob er mit der Kanone eines Leopard 1 oder eines brandneuen Abrams bewaffnet ist. Kanone macht Bumm, Schützenpanzer verschwinden, weitere russische Helden bekommen Flügel.“
Die Raketen sollen die Wärmesignaturen heißer Düsentriebwerke über eine Entfernung von bis zu 30 Kilometer verfolgen können, schreibt Forbes-Autor David Axe. Die Rakete war im Warschauer Pakt weit verbreitet und ist nach der Wiedervereinigung beziehungsweise der Auflösung der Nationalen Volksarmee der Deutschen Demokratischen Republik in den Westen gelangt – und dort zum Nato-Schrecken avanciert, wie 2021 das indische Magazin Indian Defence Review (IDR) schrieb.
„1990, nach der deutschen Wiedervereinigung, verfügte die deutsche Luftwaffe über einen großen Vorrat an R-73-Raketen. Leistungstests im simulierten Kampfeinsatz mit der Sidewinder AIM-9L zeigten, dass die R-73 vom Westen stark unterschätzt worden war. Die russische R-73 war ein Weckruf für Länder ohne Zugang zu russischer Technologie und löste die Entwicklung der Sidewinder AIM-9X, der IRIS-T, der MICA-IR und der Python IV aus“, so IDR-Autor Luftwaffenkommodore Krishna Balakrishna Menon.
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Ukraine: R-73 überall erfolgreich – Grund dafür lag in einem Husarenstreich der modernen Seekriegsführung
Offensichtlich ist die R-73 multifunktional einsetzbar, wie David Axe Ende Dezember geschrieben hat: Von einem „historischen Schlag“, prahlte die Geheimdienstdirektion in Kiew, wie der Forbes-Autor wiedergab. Der Grund dafür lag in einem Husarenstreich der modernen Seekriegsführung: Auf die ohnehin erfolgreichen Magura-V5-Drohnen waren im Nachhinein mehrere Waffen appliziert worden, entweder Geschütztürme oder eben R-73-Raketen. Und eine dieser Raketen auf einer Magura-V5 soll einen bewaffneten Mil Mi-8-Hubschrauber Russlands vom Himmel geholt haben.
Laut TWZ ist die Ukraine mit diesem Raketentyp trotz der findigen Lafettenlösungen in der Nutzung eingeschränkt. Thomas Newdick schreibt, ein Bodenstart bedeute eine geringere Reichweite, da die Rakete nicht von den Geschwindigkeits- und Höhenparametern eines Trägerflugzeugs profitieren würde. Insofern sei die maximale Distanz der Waffe zu reduzieren auf die Sucherreichweite des Kopfes der R-73, die beim Bodenstart weitgehend unverändert bei zehn bis zwölf Kilometern bliebe.
Trotz dessen kursieren Berichte, dass die R-73 auch an ukrainischen Bodendrohnen befestigt worden ist, beziehungsweise dass die Raketen an bestehende ukrainische beziehungsweise auch britische Luftabwehr-Startplattformen angepasst worden seien – die Rakete scheint ein militärischer Tausendsassa zu sein; offenbar so gut, dass Indien mit der Rakete von 1975 in die Zukunft starten will. Die in Indien erscheinende Eurasian Times meldet aktuell, dass die indische Waffenschmiede Adani Defence and Aerospace mit dem russischen Rüstungshaus Rosoboronexport übereingekommen sei, die R-73E-Rakete vor Ort zu produzieren.
Putins Vermächtnis: Die R-73-Rakete steht für eine kulturelle Zugehörigkeit zum ehemaligen Sowjetreich
Die R-73-Rakete steht für die Ukraine insofern für eine kulturelle Zugehörigkeit zum ehemaligen Sowjetreich sowie für einen Umbruch und mehr Autonomie, für mehr Eigenständigkeit auch in Rüstungsfragen. Beispielsweise wird ja auch schon diskutiert, wie die künftige Luftwaffe der Ukraine aussehen soll; ob weitere F-16 kämen und insofern die Abhängigkeit von den USA noch Jahrzehnte fortgesetzt würde oder ob die Ukraine dem Rat von Experten folgt und auf die schwedische Saab Gripen umstiege.. Dasselbe gilt für die Panzerfrage. Mit welchem Kampf- beziehungsweise Schützenpanzer wird die Ukraine ihre neue Armee aufbauen?
Nachdem die Ukraine jetzt innerhalb von drei Jahren ihr sowjetisches Kriegsgerät verbraucht und verschiedene Systeme zwangsweise hat kennenlernen müssen, stehe die Ukraine vor wachsenden militärischen Herausforderungen, mutmaßen Kateryna Kuzmuk und Lorenzo Scarazzato. Für die beiden Autoren des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) sitze den Ukrainern die Unsicherheit über die künftige Verlässlichkeit der USA unter Präsident Donald Trump im Nacken; dies mache die Frage nach der Fähigkeit der Ukraine, ihren eigenen militärischen Bedarf zu decken, und ihrer Abhängigkeit von Hilfe umso dringlicher.
Selenskyjs Trumpf: Wirtschaftlich war der Rest der russischen Rüstung ein bedeutender Faktor in der Ukraine
Wie sie beschreiben, hatte die Ukraine nach dem Ende der Sowjetunion 1991 ein Drittel der sowjetischen Rüstungsindustrie geerbt – außer Material gehörten dazu Produktionseinrichtungen sowie Forschungs- und Entwicklungskapazitäten. Auch wirtschaftlich war der Rest der russischen Rüstung ein bedeutender Faktor in der Ukraine mit rund 700 einzelnen Unternehmen sowie einer Million in der Rüstung beschäftigen Menschen. Rüstung sei damit der leistungsfähigste Teil des verarbeitenden Gewerbes der neuen unabhängigen Ukraine gewesen, allerdings immer noch eng verflochten mit russischen Unternehmen, so Kuzmuk und Scarazzato.
„Angesichts begrenzter inländischer Investitions- und Beschaffungsbudgets konzentrierten sich ukrainische Waffenproduzenten auf den Export modernisierter Ausrüstung aus der Sowjetzeit, Technologietransfers und Joint Ventures. Dieser Ansatz verhalf der Industrie zu einem gewissen Grad ihrer Wirtschaftlichkeit und bewahrte einige technologische Fähigkeiten“, schreiben die Autoren. Möglicherweise begründet sich darin die jetzt sichtbare schnelle Anpassungs- und Innovationsfähigkeit der Ukraine in der Entwicklung eigener oder Weiterentwicklung gelieferter Waffen.
Wettmachen der Verluste: Top-Ten der improvisierten Waffen
Wie die R-73 beweist. So sei der 3. Separaten Angriffsbrigade der Ukraine gelungen, ein Luftabwehrsystem aufzubauen, das erfolgreich Kampfeinsätze zur Deckung von Einheiten durchführt, wie das Magazin Militarnyi schreibt. Sie brauchte lediglich die Startschienen auf die neue Transportplattform anzupassen. Ein beeindruckender Gegensatz zu westlichen Militärdoktrinen, die offenbar mit vorgefertigten Lösungen in einen Konflikt gehen.
Bereits im April vergangenen Jahres hatte der BusinessInsider (BI) die Top-Ten der improvisierten Waffen vorgestellt – die „FrankenSAM“ ist genau so darin zu finden sowie die Sea Baby-Drohnen im Schwarzen Meer, Attrappen von HIMARS-Werfern als Kriegslist oder auf Pick-ups geschweißte alte KS-19-Flugabwehrkanonen aus der Sowjetzeit. Auch in Foren wird diskutiert; beispielsweise ob gerecht sei, die Ukraine mit überholten westlichen Waffen abzuspeisen, wie auf Quora. Der in Kanada lebende User „Fozzie VII“ sieht darin aber durchaus keinen gravierenden Nachteil, weil er alt und überzählig nicht mit veraltet gleichsetzen mag:
„Ein Artilleriegeschütz von 1953 tötet einen immer noch, bevor man die Gefahr bemerkt, und ein alter, aber modernisierter Panzer ist vielleicht nicht die ideale Fronteinheit, aber wenn der BMP (Schützenpanzer) über den Hügel kommt, spielt es keine Rolle, ob er mit der Kanone eines Leopard 1 oder eines brandneuen Abrams bewaffnet ist. Kanone macht Bumm, Schützenpanzer verschwindet, weitere russische Helden bekommen Flügel.“