Schock, Blitz, Pilz: Putin bringt Atomschlag-Simulator in Stellung – aus nackter Angst

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Schock, Blitz, Pilz: Putin bringt Atomschlag-Simulator in Stellung – aus nackter Angst

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(K)ein Bild aus vergangenen Zeiten: Die Explosion einer Atombombe der USA im Jahr 1953 auf der Nevada Test Site. Wladimir Putin will jetzt eine Atomexplosion in der Ukraine simulieren. Ohne Strahlung. (Archivfoto) © IMAGO / StockTrek Images

Russland testet seine Atom-Streitmacht; ein normales Manöver. „Ziemlich langweilig“, urteilt ein Analyst. Neu daran ist: Putin schürt offen die Angst.

Moskau – „Ich wollte nicht schuld sein am Dritten Weltkrieg“, sagte Stanislaw Petrow im Nachhinein. Der Oberst der russischen Luftverteidigung hatte Dienst und ignorierte den Alarm seiner Computer in der Nacht vom 25. auf den 26. Oktober 1983. Ihm waren aus dem Westen anfliegende Atomraketen gemeldet worden; er stufte das als Falschmeldung ein – zum Glück.

Um diese Zeit herum führte der Westen im Kalten Krieg das Manöver „Able Archer“ durch; so realistisch, dass die Sowjetunion ihre Atomwaffen in Alarmbereitschaft versetzte. Jetzt spielt Wladimir Putin offen mit Atomwaffen. Weil er sich bedroht fühlt von der Ankündigung der Franzosen, europäische Truppen in den Ukraine-Krieg zu entsenden. Russland treibt die nackte Angst.

Russland plant Geheimwaffe, die Wunderdinge verspricht

Entwarnung gibt der Defense Express mit dem Verweis auf „Spezialmunition, die nur für den Fall solcher Übungen entwickelt wurde“: „die Nuklearexplosions-Nachahmer IAB-500 und IU-59“. Allerdings weiß die Tass dies noch zu toppen – mit einem Simulator, dessen Namen die russische Nachrichtenagentur noch geheim hält – die Geheimwaffe stecke noch in der Patentierung, verspreche aber wahre Wunderdinge: „Der Zweck des Modells besteht darin, zu simulieren, wie ein Atomschlag aussieht – den Schockeffekt, den Lichtblitz und die Pilzwolke einer bodengestützten Atomexplosion“, schreibt die Tass. Die beiden Vorgänger seien schlicht veraltet und dürften eigentlich gar nicht mehr verwendet werden.

Putin ist sicherlich kein Verrückter oder Wahnsinniger, wie ihn die aktuelle Außenministerin Deutschlands, Annalena Baerbock, bezeichnete, sondern eher ein Mensch, der zu den Glaubenssätzen seiner Kindheit auf den Hinterhof in Leningrad zurückkehrt, um aus Konflikten als Sieger hervorzugehen. 

Die Übung an taktischen Atomwaffen ist kein Ausnahmefall, hat jüngst Ulrich Kühn dem ZDF gegenüber geäußert. Die neue Qualität bestünde in der öffentlichen Ankündigung der Tests und der umfassenden Begründung mit dem vorwitzigen Vorschlag von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Nato-Truppen in die Ukraine zu entsenden – das sagt der Außenpolitik-Experte vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Bezüglich des Manövers an sich bleibt er extrem entspannt: „Es ist, offen gestanden, nicht so spannend, was da passiert“, sagt er.

„Feuershow“ ohne Strahlung: Truppen sollen lernen, nach Atomschlag handeln zu können

Im Grunde seien die IAB-500, deren Vorgänger IU-59 oder eine ähnliche Simulation ein großer Feuerwerkskörper, mutmaßt das Magazin Defense Express – eine „Feuershow“ ohne Strahlung: „Bei der Detonation soll das IAB-500 innerhalb von 3,5 Sekunden einen Feuerball von 90 bis 120 Metern Durchmesser erzeugen, gefolgt von einem bis zu einem Kilometer hohen ‚Pilz‘, der aus 30 Kilometern Entfernung sichtbar sein soll“, schreibt der Defense Express. Oder anders: eine Art Molotow-Cocktail aus drei Vierteln Kraftstoff und Phosphor.

Die russischen Soldaten sollen lernen, was sie nach der Detonation einer solchen Wucht erwartet – „zur besseren Vorbereitung der Bodentruppen auf Kampfhandlungen nach dem Einsatz von Atomwaffen sowie zur Schulung des Personals der Strahlungs-, chemischen und biologischen Bodenaufklärungskräfte“, wie die Tass schreibt. Taktische Atomwaffen wirken auf ein regional eng begrenztes Gebiet und richten sich vornehmlich gegen Truppenansammlungen oder militärische beziehungsweise kritische Infrastruktur, also bedeutende größere Gefechtsstände, Depots, Kraftwerke oder Industrieanlagen. Das sei also im Prinzip ein ganz normales militärisches Manöver-Vorgehen, meint Wissenschaftler Kühn. Das Besondere liege im Verbinden der Sprengköpfe mit den Trägersystemen, beispielsweise den russischen Iskander-Raketen.

Logistische Übung: Sprengköpfe müssen angefahren und aufgeschraubt werden

Kühn zufolge lagert Russland seine Sprengköpfe dezentral in zwölf über das gesamte Reich verteilte Lagerstätten. Darüber hinaus bestünden noch 35 weitere Lager in der Nähe von Luftwaffenbasen. Herr über das Verfahren und jedes einzelne Stück atomarer Munition sei das 12. (Haupt)-Direktorat in Moskau. Das Manöver-Verfahren an sich sei simpel, erläutert Kühn im ZDF: Die vorgesehenen Sprengköpfe würden aus den Lagern geholt und an die Trägersysteme verbracht, beispielsweise die LKW der mobilen Iskander-Raketen – die möglicherweise mitten in einem Waldgebiet stünden. Dort würden dann die Atomsprengköpfe auf die Raketen geschraubt. Die Übung bestünde letztendlich darin, den Ablauf möglichst reibungslos beherrschen zu lernen. Letztendlich sei dafür auch unerheblich, ob die Sprengköpfe atomar seien oder konventionell.

Möglicherweise ist also die Ankündigung allein schon der Zweck der Übung: „Taktische Nuklearwaffen bringen militärisch wenig. Zum Drohen sind sie dem Herrscher im Kreml aber durchaus von Nutzen“, schrieb beispielsweise die Neue Zürcher Zeitung bereits vor einem Jahr, als Putin zur atomaren Rhetorik umschwenkte. Das Thema hat also womöglich nur scheinbar eine neue Relevanz erhalten – und die Ankündigung eines neuen „Simulators“ stellt zunächst einmal Propaganda dar. Sprengköpfe können bis zu 50 Kilotonnen TNT (Trinitrotoluol) enthalten – bei einer nuklearen Bodendetonation mit einer Sprengkraft von zehn Kilotonnen TNT würde eine Kreisfläche „mit einem Radius von etwas mehr als einem Kilometer schwer verstrahlt und von mittleren bis schweren Druckschäden betroffen“, schreibt die NZZ.

Atom-Übung: Teil von Russlands Kriegsführung – „und die wirkt“

Das Blatt denkt verschiedene Szenarien durch, wobei jede Eskalation unterhalb der Apokalypse zwangsläufig eine Reaktion der Nato nach sich ziehen müsste: Würde Putin auch nur eine geringe atomare Eskalation des Ukraine-Krieges entfachen, könnte die Nato als Antwort beispielsweise die Schwarzmeer-Flotte vernichten, spekuliert die NZZ. Putin hätte somit nichts gewonnen. Insofern käme die russische Atom-Übung weniger einem Drill eigener Truppen gleich statt einer provozierten Simulation des Verhaltens der westlichen Bevölkerung – die inzwischen des Ukraine-Krieges müde geworden zu sein scheint: „Noch immer kann er darauf spekulieren, dass sich damit in gewissen Nato-Ländern die Bevölkerung gegen die Unterstützung des Verteidigungskampfes der Ukrainer mobilisieren lässt“, schreibt die NZZ.

Dann machte auch die pressewirksame Ankündigung seiner Übung Sinn: Die „Feuershow“ ist keine für die eigenen Truppen, sondern eine für das westliche Publikum. Ähnlich argumentieren Julian Wucherpfennig und Felix Lemmer: Putin drohe nicht Politikern, er droht den Bevölkerungen, haben die beiden Forscher der Hertie School of Governance in Berlin gegenüber Zeit Online geäußert: „Russlands Militär übt mit Atomwaffen, Wladimir Putin schürt die Angst vor einem Nuklearkrieg. Das ist Teil seiner psychologischen Kriegsführung – und die wirkt.“

Atomdrohung als Kindheitstrauma: Putin kennt nur „Sieger oder Verlierer“

Die Atomdrohung ist insofern wahrscheinlich reiner Psychoterror eines ehemaligen Gassenjungen, wie Stephan Herpertz im vergangenen Jahr vermutet hat. Der Psychotherapeut hält den russischen Diktator weder für einen Verrückten noch für einen Wahnsinnigen. In seinem Aufsatz für die Zeitschrift Die Psychotherapie beschreibt er ihn eher als „Mensch, der zu den Glaubenssätzen seiner Kindheit auf den Hinterhof in Leningrad zurückkehrt, um aus Konflikten als Sieger hervorzugehen. Zu unterliegen bedeutet Unheil in Form von Demütigung und Erniedrigung.“ Herbertz zufolge existiere für Putin nur die Dichotomie zwischen „Sieger oder Verlierer beziehungsweise Freund oder Verräter“.

Wladimir Putin lebt also offenbar in einer binären Welt – wie sie das vor fast 40 Jahren bereits gewesen ist. Das Manöver „Able Archer“ war womöglich nicht viel mehr als eine „Fingerübung“ westlicher Streitkräfte, aber eben ein Manöver, womit der Westen „die Sowjetunion glauben ließ, dass ein Atomangriff tatsächlich möglich schien. Dabei unterschätzten die Verbündeten offensichtlich die Furcht der Sowjetunion vor einem atomaren Erstschlag des Westens“, wie der Spiegel über dieses historische Ereignis schrieb.

Laut dem Psychotherapeuten Herpertz ist Putin Fürst eines abgewirtschafteten Reiches; geschrumpft in regionaler Größe sowie wirtschaftlicher Bedeutung. Das macht ihm Angst. Angst vor Menschen. Dem damaligen Luftwaffen-Oberst Stanislaw Petrow machten Menschen weniger Angst als Computer. Sonst wäre der Dritte Weltkrieg längst Geschichte. Der russische Diktator aber muss möglicherweise vor allem sein Ego aufbauen: mit Schockeffekt, Lichtblitz und Pilzwolke. (Karsten Hinzmann)

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