Doppelschläge mit Iskander-Raketen: Putin verstärkt den Terror gegen den Westen
Sie fliegen weit, treffen präzise und haben nur einen Fehler: Sie sind teuer. Trotzdem verschießt Russland so viele Iskander-Raketen wie noch nie.
Moskau – Wladimir Putin verstärkt den Terror, ohne Rücksicht auf Verluste unter der Zivilbevölkerung, und vor allem: koste es, was es wolle. Russlands Diktator setzt im Ukraine-Krieg jetzt offenbar verstärkt auf seine ballistische Rakete Iskander-M, um die Verluste unter den Verteidigern zu maximieren. Das jedenfalls berichtet jetzt das Military Watch Magazine.
Demnach setzt die russische Armee gegen ukrainische Stellungen auf eine „Doppelschlag-Strategie“, die den gleichzeitigen Abschuss mehrerer Raketen auf ein bestimmtes Ziel vorsieht. Die Einschläge erfolgen dann auf dieselbe Stelle in einer kurzen Taktung. Dieser neuen Strategie soll bereits eine bemerkenswerte Zahl ukrainischer Soldaten zum Opfer gefallen sein, berichtet Military Watch.
Das mobile Iskander-Raketenabschuss-System ist ein Relikt aus Zeiten der Sowjetarmee, die Planungen begannen Anfang der 1980er-Jahre. In der Ukraine werden damit jetzt Raketen der zweiten und aktuellen Serienversion verschossen; sie wiegen insgesamt rund vier Tonnen, tragen darunter eine Nutzlast von nahezu einer Tonne und fliegen zwischen 50 und 500 Kilometern weit. Die Iskander-M soll deutlich zielgenauer treffen als ihre Vorgänger, laut russischen Quellen bis zu 30 Meter genau. Jedes Rampen-Fahrzeug verschießt zwei dieser als „9M723“ bezeichneten Raketen, die in einem Abstand von 40 Sekunden gestartet werden können. Die Bezeichnung „Iskander“ soll eine persische Form des Namens „Alexander“ sein und sich auf „Alexander den Großen“ beziehen. Das System Iskander-M ist einsetzbar sowohl gegen Raketensysteme, als auch Raketenwerfer, Langstreckenartillerie und Kommandoposten sowie Flugzeuge und Hubschrauber in einer Entfernung von bis zu 500 Kilometern.
Der Einsatz des Iskander-Systems in der Ukraine bedeutet für Russland tatsächlich mehr oder weniger einen Nebenkriegsschauplatz. Das Gros dieses Systems ist gegen die bisherigen Nato-Partner und künftige Verbündete wie Schweden gerichtet. Bereits 2013 hatte der ehemalige deutsche Nato-General Egon Ramms in der Bild gewarnt, Putins Raketen-Strategie bedeute einen Rückfall in Denkmuster des Kalten Krieges und sie als klare machtpolitische Kampfansage an die Nato gewertet. Ramms: „Die Nato muss zur Kenntnis nehmen, dass Russland eine intensive Machtpolitik betreibt und auf keinen Fall ein Verbündeter ist. Russland macht auf dem Weg hin zur Demokratie keine Fortschritte. Die Raketen-Strategie folgt dem alten sowjetischen Drohmuster.“
Putins Drohung gegen die Nato und alle ihre Werte
Hintergrund dieser Äußerung war die Stationierung der ersten 48 Iskander-Raketen in der russischen Enklave Kaliningrad entlang der Grenze zum Baltikum, also Estland, Lettland, Litauen. Fünf Jahre später folgten weitere Raketen. Wahrschau, Berlin, Kopenhagen und das südliche Schweden lagen plötzlich in Reichweite von russischer Feuerkraft. Der forcierte Einsatz dieses Waffentyps ist der Tatsache geschuldet, das Arsenal als solches bleibt als Drohkulisse gegen die Nato gebunden. Erst im April dieses Jahres sollen die ersten Iskander-Raketen im Ukraine-Krieg in der Region Donezk eingesetzt worden sein. Der jetzige Strategie-Wechsel geht offenbar einher mit einer gesteigerten Produktion dieses Raketentyps.
Dass sich Finnland und Schweden nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine um den Schutz der Nato bemüht haben, lag eben auch begründet in der Bedrohung durch die Iskander-Einheiten in Russland, wie der Militäranalyst Robin Häggblom gegenüber dem schwedischen Svenska Dagbladet geäußert hat. Häggblom erinnerte daran, dass Russland über zehn bis zwölf im ganzen Land verstreute Iskander-Brigaden verfüge – jede Brigade aus jeweils zwölf Fahrzeugen, bestückt mit jeweils zwei Raketen, was theoretisch eine Salve von 288 Iskander gegen ein einzelnes strategisches Ziel ermöglicht.
Russland bekämpft die Ukraine jetzt um jeden Preis
Seit Sommer diesen Jahren stehen auch in Belarus mindestens drei Typen russischer Waffensysteme, die mit nuklearen Sprengköpfen bestückt werden könnten. Eines davon ist die Boden-Boden-Rakete Iskander, die Russland jetzt regelmäßig gegen die Ukraine einsetzt – Belarus verfügt auch über eine mit Iskander ausgerüstete Einheit, die aber nur mit konventionellen Sprengköpfen bewaffnet ist, wie András Rácz für die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik schreibt. Mit der Stationierung atomwaffenfähiger Trägerraketen im befreundeten Belarus verstärkt Wladimir Putin seine indirekte Aggression gegen die Nato und die westlichen Werte. Der Strategie-Wechsel in der Ukraine mit zunehmender Menschenverachtung ist somit absolut folgerichtig.
Allerdings lag der bislang sparsame Einsatz der Iskander-Rakete im Ukraine-Konflikt auch an der knappen Kasse der Russen – das Iskander-System ist teuer. Verschiedene Medien – wie beispielsweise das Militär-Magazin DefenseExpress – beziffern die Kosten einer „9M723“-Rakete auf rund zwei Millionen Euro. Allerdings noch ohne Zielsuchkopf. Mit der „Doppelschlag-Strategie“ verballert Wladimir Putin also richtig Geld. Allein artilleristisch hat ihn sein verpatzter Blitz-Feldzug ohnehin schon ein Vermögen gekostet. Military watch: „Obwohl die russischen Streitkräfte anfangs unter der Überlastung der Bestände an Raketen für ihre Iskander-M-Systeme litten, hat eine Steigerung der Produktion auf ein Vielfaches des Vorkriegsniveaus dazu geführt, dass die Raketen jetzt hoch verfügbar sind und neue Taktiken eingesetzt werden können, die wiederum den Kauf weiterer Raketen erfordern.“
Iskander-M: unbarmherzig gegen Soldaten und Zivilisten
Gerade der zähe Widerstand der Ukraine sowie die unterschiedliche materielle Macht auf dem Schlachtfeld führten zu Unterschieden in der Gefechtsführung zwischen der russischen und der ukrainischen Artillerie. In der ersten Kriegsphase hätte die russische Artillerie vor allem direkte Feuerunterstützung für Bodentruppen geleistet, sagte Oberst Dietmar Felber, Leiter der Artillerieschule der Bundeswehr im Bundeswehr-Podcast Nachgefragt. Das habe sich inzwischen deutlich geändert, so Felber. „Im Donbass arbeiten sie sehr entlang ihrer Doktrin: Die Artillerie erobert, und die Infanterie besetzt. Die russische Artillerie bekämpft Geländeabschnitte mit dem Ziel, jeden Widerstand auszuschalten.“ Bis zu 60.000 Artilleriegeschosse würden pro Tag ohne Unterschied auf zivile wie militärische Ziele abgefeuert. Putins Krieg fordert unter der Zivilbevölkerung unendliches Leid.
Wie das Iskander-System seinen Terror wahllos über die Ukraine streut, hat die Neue Zürcher Zeitung aus einem Bericht des Uno-Hochkommissariats für Menschenrechte zitiert. Der Beschuss einer Trauerversammlung mit 59 Todesopfern mit einer Rakete habe laut NZZ gezeigt, dass Moskau kaum zwischen zivilen und militärischen Zielen unterscheidet: „Der Hauptgang des Leichenmahls für die 63 Trauergäste war gerade serviert worden, als die Rakete einschlug. Kurz vor halb zwei Uhr nachmittags waren am 5. Oktober fast alle Anwesenden tot: Beim Angriff auf ein Restaurant in Hrosa verloren 59 Menschen ihr Leben, unter ihnen ein achtjähriger Junge. Das ostukrainische Dorf, wo nach eineinhalb Jahren Krieg und Besetzung nur ein kleiner Teil der einst 500 Einwohner verblieben war, wurde faktisch ausgelöscht.“ Das Uno-Hochkommissariat resümiert in seinem Bericht vom „begründeten Anlass zu der Annahme, dass der Empfang das beabsichtigte Ziel eines Angriffs der russischen Streitkräfte war, mit einer Präzisionswaffe, wahrscheinlich einer Iskander-Rakete“.
Military Watch mutmaßt, Russland habe die Taktik geändert und den Druck erhöht, weil sie annimmt, dass die ukrainischen Streitkräfte kurz vor dem Zusammenbruch stehen. Gleichermaßen könnte diese kostenintensive Kriegführung darin begründet sein, dass Russland aus allen Rohren feuert, um die nachlassende Moral und zunehmende Versorgungsknappheit der eigenen Truppen zu kompensieren. In jedem Fall sieht Military Watch gerade mal den Anfang einer neuen Eskalationsstufe. (Karsten Hinzmann)