Weidel legt "Deutschland-Plan" vor: Politik-Experte bewertet die 12 AfD-Ideen

1. Günstige Energie durch Atomkraft und Russland-Gas

Weidel fordert einen radikalen Energiewende-Stopp, die Reaktivierung von Atomkraftwerken und die Wiederaufnahme russischer Energieimporte. Dies gipfelte in der Forderung: "Das gescheitere Experiment der Energiewende sofort beenden." Wirtschaftlich wäre dies kurzfristig kostensenkend, aber technisch, juristisch und geopolitisch hochproblematisch.

Der Rückbau der AKW ist weit fortgeschritten, eine Reaktivierung wäre technisch möglich, aber teuer und politisch ausgeschlossen. Außer dem BSW und mit Abstrichen die FDP gibt es keine Partei, die diesen Kurs teilt.

2. Abschaffung von CO2-Preis, Heizungsgesetz und Windradförderung

Ein Ende der Wind- und Solarförderung oder die Abschaffung der CO₂-Bepreisung würden Deutschland sofort in Konflikt mit EU-Vorgaben bringen. Und natürlich auch wieder Umsteigekosten nach sich ziehen.

Weidels Forderung lautet: Das "unselige Heizungsgesetz sofort abschaffen". Ökonomisch würden kurzfristige Entlastungen für die Bürger winken. In Deutschland zahlen die Bürger den höchsten Strompreis europaweit. Eigentlich hatte die Union genau hier eine Veränderung versprochen, ist aber wortbrüchig. Weidels Kurs ist politisch isoliert, abgesehen von punktueller Zustimmung bei dem BSW und der FDP, die jedoch beide nicht im Parlament vertreten sind.

3. Verbrenner retten, Lieferketten entbürokratisieren

Die AfD will das Verbrenner-Aus rückgängig machen und das Lieferkettengesetze streichen. Auch CDU und FDP wollen Bürokratie abbauen und dem Verbrenner mehr "Lebenszeit" schenken. Sie lehnen aber eine komplette Abkehr vom EU-Kurs ab.

4. Bürokratie weg

Weidel fordert ein Entfesselungspaket für die Wirtschaft. Alle Parteien fordern, mehr oder weniger glaubhaft, weniger Bürokratie. Weidel blieb vage, welche Regulierungen genau wegfallen sollen. Insgesamt soll das Staatsausgaben senken.

5. Sozialstaat nur für Einzahler

Sozialleistungen soll nur bekommen, wer eingezahlt hat. An vielen Stellen werden jedoch – zurecht – auch versicherungsfremde Leistungen gewährt, die der Bund über Zuschüsse deckt. Juristisch sind die Vorschläge problematisch, da das Grundgesetz ein Existenzminimum garantiert. Politisch lehnen SPD, Grüne, Linke diese Politik am vehementesten ab. Die Union überlegt Leistungsunterschiede, würde aber keinen Sozialchauvinismus übernehmen. Langfristig wird man aber über Sozialstaatsreformen nachdenken müssen.

6. Kapitalgedeckte Rente mit Staatsfonds

Der Vorschlag einer Rentenergänzung über Staatsfonds ist nicht neu. FDP und Teile der CDU zeigen Offenheit. Beamte in die Rentenkasse? Eine Idee der Linken und der Grünen, die die AfD aufgreift. Politisch schwierig durchzusetzen, aber inhaltlich nicht vollkommen abwegig.

Die Reduzierung des Beamtenapparats wird gerne von allen gefordert – Beamtenbashing war schon immer en vogue. In der Sache ist der Vorschlag realistisch, denn fast alle Bundesländer haben Versorgungsfonds. Gerne greifen die Politiker jedoch auch in diese Kassen. So hat die SPD in Rheinland-Pfalz den "Finanzierungsfonds für die Beamtenversorgung" Ende 2017 aufgelöst, wie übrigens die Genossen auch in Bremen.

7. Grenzen dicht, Abschiebung sofort 

Die "Politik der geschlossenen Tür", die Weidel in ihrer Rede forderte, widerspricht dem geltendem EU-Recht. Die Union fordert zwar mehr Abschiebungen, aber keine Generalabriegelung. Grüne, SPD und Linke sehen darin einen Verfassungsbruch. Eine Umsetzung ist de facto unmöglich, da europäisches Recht geändert werden müsste.

8. Sachleistungen statt Bargeld, spätere Einbürgerung

Bargeldleistungen für Asylbewerber und die Anspruchseinbürgerung sollen komplett abgeschafft werden. Die Union befürwortet in Teilen Sachleistungen, während SPD und Grüne dies ablehnen. Die AfD will Einbürgerung frühestens erst nach zehn Jahren. Die Union könnte Teile der AfD-Forderung mittragen, hier existieren Überschneidungen.

9. Schlanker Staat, keine Neuverschuldung

Alice Weidel verspricht eine eiserne Haushaltsdisziplin. Ursprünglich war die Union auch einmal für die Schuldenbremse, bevor sie die Schuldenschleusen im Frühjahr öffnete. Die größte Übereinstimmung wäre mit der FDP. Was Weidel kürzen will, bleibt vage. Ein Sparkurs ist politisch nur durchsetzbar, wenn er konkret wird. Dann dürfte er unpopulär werden.

Das Problem wird bei einem Blick auf die Zinszahlungen des Bundes deutlich: 2019 wurden für Zinsen im Bundeshaushalt 17,5 Milliarden Euro bezahlt, für 2029 sind dann wohl 72 Milliarden Euro fällig, also knapp 55 Milliarden mehr. Die Nettokreditaufnahme steigt in der mittelfristigen Finanzplanung des Bundes auf über 126 Milliarden Euro in 2029. Nach den Regeln der Schuldenbremse wären nur etwa über 16 Milliarden Euro erlaubt. Die zusätzlichen Wünsche der Regierung werden zukünftige Generationen teuer bezahlen.

10. Verbot von Antifa, Rundfunk abschaffen, Subventionen streichen

Der symbolpolitisch aufgeladene Punkt der Weidel-Forderungen: ein Antifa-Verbot. Dies ist juristisch nicht machbar, zudem gibt es keine Organisation, die man verbieten könnte. Hier will die AfD gleiches mit gleichem vergelten. Illiberale Verbotsphantasien haben offensichtlich große Konjunktur in Deutschland. Die Rundfunkgeführen abzuschaffen, würde ein medienpolitisches Erdbeben auslösen.

11. Bürokratieabbau und Förderdschungel lichten

Der Bürokratieabbau ist ein Konsensthema. Aber auch hier bleibt die AfD unkonkret. Welche Programme wegfallen sollen, sagt Weidel nicht. CDU und FDP wollen Ähnliches, während Grüne und SPD vor dem Kahlschlag warnen.

12. Steuerreform und Abschaffung des Soli

Weidel fordert eine Steuerreform mit einheitlich niedrigen Steuersätzen, Familiensplitting und hohen Freibeträgen. Das erinnert stark an das Konzept des ehemaligen Verfassungsrichters Paul Kirchhof, welches er 2005 als Finanzminister in Spe ausgearbeitet hatte. Vor über 20 Jahren forderte Merz ja ähnliches mit der "Bierdeckelreform", die eine radikale Vereinfachung und eine solche "Flat-Tax" vorsah. Auch die Weidelsche Forderung nach der völligen Abschaffung des Solidaritätszuschlags war einmal eine Position von Merz und der Union.

Fazit

Alice Weidel verzichtete in der Generaldebatte am Mittwoch auf eine reine Abrechnung mit der Regierungspolitik, sondern legte einen 12-Punkte-Plan als Dokument der wichtigsten Inhalte ihrer Politik vor. Dieses Programm zielt auf eine Protestwählerschaft, die sich von den etablierten Parteien nicht mehr vertreten fühlen. Einiges davon ist wirtschaftsliberal, einiges populistisch und einiges gar nicht umsetzbar. In Teilaspekten überschneiden sich die Punkte mit CDU, FDP oder auch vom BSW. Weidels Angebot an die CDU, gemeinsam eine "bürgerliche Wende" zu vollziehen, bleibt angesichts der inhaltlichen Gräben und der Brandmauer-Politik Illusion.

Uwe Wagschal, ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Freiburg. Er erforscht Direkte Demokratie, Wahlen und öffentliche Finanzen und lehrte an renommierten Institutionen weltweit. Er ist Teil unseres EXPERTS Circle. Die Inhalte stellen seine persönliche Auffassung auf Basis seiner individuellen Expertise dar.