Die Belastungen von Bürgern, Organisationen und Unternehmen in Deutschland durch Bürokratie sind mehr als ein unliebsames Dauerthema. Es wächst sich immer mehr zu einem ernsthaften Risiko für den Standort Deutschland aus. Experten schätzten die Belastung durch behördliche Vorgaben in der Wirtschaft zuletzt auf jährlich mehr als 60 Milliarden Euro. Das ist ein finanzieller Aufwand, der für Unternehmen extrem belastend ist, ein schwerer Hemmschuh für wirtschaftlichen Erfolg.
Denn Geld und Kapazitäten, die durch regelmäßigen Schulungs- und Dokumentationsaufwand, Meldepflichten oder Statistikangaben gebunden sind, fehlen an anderer Stelle – zum Beispiel in der Entwicklung innovativer Technologien oder der Erschließung neuer Märkte. Diese Investitionen sind aber dringend nötig, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können.
In den vergangenen Jahren gab es immer wieder ernsthafte Bemühungen, die überbordende Bürokratie einzudämmen – unter anderem durch die letzte Auflage des Bürokratieentlastungsgesetzes.
Es wird leichter, große Wohnungen in mehrere kleinere aufzuteilen und zu vermieten
Diese hat viele Schriftformerfordernisse im Handels- und Gesellschaftsrecht, im Arbeitsrecht und anderen Bereichen flexibilisiert. So kann beispielsweise die nun mögliche digitale Erstellung von Arbeitszeugnissen Unternehmen viel Zeit sparen.
Auch in Bayern gibt es Positivbeispiele: Das dritte Modernisierungsgesetz versucht, die Bauordnung zu verschlanken. Dadurch ist es leichter, große Wohnungen in mehrere kleinere aufzuteilen und zu vermieten.
Ständig entstehen neue Bürokratieanforderungen
Das sind aber nur kleine Fortschritte, vor allem, weil andererseits ständig neue Bürokratieanforderungen entstehen oder geplante Entlastungen kaum spürbar sind. Wie zuletzt bei den Lieferketten-Regelungen. Es wäre sinnvoll gewesen, das bestehende Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz auszusetzen und abzuwarten, wie die EU ihre Wertschöpfungskettenrichtlinie zum dem Thema ausgestaltet.
Die jetzige Übergangsregelung ist eine Enttäuschung. Sie bringt kaum Erleichterungen für Unternehmen. Die Anforderungen aus dem Gesetz bleiben weitestgehend bestehen, es gibt lediglich die Entlastung bei den Berichtspflichten und Sanktionen werden auf schwerwiegende Fälle beschränkt.
Wenn Gesetze kommen: „One-in two-Out Regelung“
Das zuständige Bundesministerium rechnet mit einer jährlichen Ersparnis von rund 4,1 Millionen Euro für die Wirtschaft. Das ist angesichts der bestehenden Belastungen marginal.
Insgesamt gibt es sehr viele gute Ansätze, aber leider sind sie größtenteils unabgestimmte Einzelvorhaben. Der große Wurf zum Bürokratieabbau in Deutschland und Europa fehlt nach wie vor. Wir brauchen endlich eine ressortübergreifende Abstimmung, die nicht nur eine fachliche Koordination garantiert, sondern auch sicherstellt, dass Unternehmen keine zusätzlichen Auflagen erhalten.
Bei jedem neuen Gesetzesvorhaben mit zusätzlichen bürokratischen Pflichten muss zuerst die Frage beantwortet werden, ob es wirklich notwendig ist. Und wenn dem so ist: Was kann dafür wegfallen? Schon lange fordern wir eine „One-in two-Out Regelung“, also die Abschaffung von zwei alten Gesetzen bei Inkraftsetzung eines neuen. Das würde zu einem entscheidenden Bürokratieabbau führen.
Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz geht an der Realität vorbei
Außerdem müssen Gesetzesvorhaben vorab einem Praxischeck standhalten. Um Aufwand und Nutzen beziehungsweise die grundsätzliche Praktikabilität zu überprüfen, muss das Fachwissen aus der Wirtschaft berücksichtigt werden.
Bertram Brossardt war in leitenden Funktionen im bayerischen Wirtschaftsministerium und im Staatsministerium für Wirtschaft, Verkehr und Technologie tätig. Seit 2005 ist er Hauptgeschäftsführer von vbw, BayME und VBM. Er ist Teil unseres EXPERTS Circle. Die Inhalte stellen seine persönliche Auffassung auf Basis seiner individuellen Expertise dar.
Was passiert, wenn das nicht der Fall ist, zeigt zum Beispiel das bereits erwähnte Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz: Das Hauptproblem ist, dass Unternehmen ihre komplette Lieferkette bis ins letzte Glied nachverfolgen müssten, um Menschenrechts- und Umweltrisiken wirklich ausschließen zu können. Das geht an der Realität vorbei. Globale Lieferketten sind komplex.
Ein nachhaltiger Bürokratieabbau ist ein starker Hebel für mehr Wettbewerbsfähigkeit
Viele Unternehmen haben eine Vielzahl von Zulieferern und Sublieferanten bis hin zum Rohstoffproduzenten. Bei diesen müssen sie abfragen, unter welchen Bedingungen sie im Detail produzieren. Viele Unternehmen lassen ihre Lieferanten seit Jahren entsprechende allgemeine Erklärungen bzw. Verpflichtungen unterzeichnen.
Dadurch entsteht bei den Unternehmen ein erheblicher Aufwand und dennoch ist eine detaillierte Überwachung der kompletten Lieferkette schlicht unmöglich.
Eine echte Entlastung von nicht umsetzbaren oder gar unnützen bürokratischen Pflichten würde in der Wirtschaft ein enormes Potenzial freisetzen. Gerade angesichts der enormen Herausforderungen durch globale Krisen, verstärkten Protektionismus, voranschreitender De-Industrialisierung und schwächelnde Nachfrage in vielen Branchen und Märkten wäre dafür jetzt genau der richtige Zeitpunkt.
Ein nachhaltiger Bürokratieabbau ist ein starker Hebel für mehr Wettbewerbsfähigkeit und wäre ein echter Gewinn für unseren Wirtschaftsstandort. Gute Ansätze dafür sehen wir in der Modernisierungsagenda der Bundesregierung. Diese muss jetzt aber auch konsequent umgesetzt werden.