Seine Kunst war ganz besonders. Weltweit war Rüdiger Szonell als Künstler anerkannt und verehrt. Nun widmet das Museum Grafing dem verstorbenen Bildhauer eine Ausstellung.
Grafing - Geboren wurde er auf einem Lkw, 1945 auf der Flucht seiner Familie aus Ostpreußen, in Wolferode bei Eisleben. Museums-Chef Bernhard Schäfer bezeichnet ihn als den „letzten Hippie von Grafing, der eine Zeitlang das Stadtbild mitgeprägt hat.“ Sein Name: Rüdiger Szonell. Wenige Wochen nach seiner Geburt kam der Junge mit seiner Mutter, Großmutter und seinen Geschwistern in den Landkreis, erst nach Straußdorf, später nach Grafing. Der Vater, der während des Krieges im Reserve-Lazarett Arzt war, bekam eine Stelle im Krankenhaus Oberelkofen. Die Familie blieb.
Rüdiger besuchte die Volksschule und Oberrealschule in Grafing, sowie die Oberrealschule in München. Von 1964 bis 1966 absolvierte er eine Ausbildung zum Holzbildhauer an der Städtischen Berufsfachschule für Bau- und Kunsthandwerk in München und studierte anschließend – von 1966 bis 1971 – Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste in München. Sesshaft blieb er im Grafinger Raum, als selbstständiger Bildhauer, Zeichner und Grafiker.
Im In- und Ausland zeigte er seine Werke, „die die Wirklichkeit auf eindringliche, vielfältige, ja oft hintergründige Weise in einer etwas anderen Art von kritischem Realismus zeigen“, wie es heißt. „Häufig ging es ihm um den Umgang der Menschen mit ihren Mitmenschen und mit ihrer Umwelt.“ Szonell hielt den Menschen gerne den Spiegel vor. Er erhielt zahlreiche Preise. Am 12. Januar 2023 ist Rüdiger Szonell gestorben.
Bernhard Schäfer konnte kaum nein sagen, als des Künstlers Lebensgefährtin Maria Seeleitner auf ihn zukam, mit dem Vorschlag, Szonells künstlerischen Nachlass im Museum der Stadt Grafing auszustellen. Aus der Idee wurde bald eine Verabredung. Diesen Freitag nun eröffnet das Museum die Sonderausstellung „Home Sweet Home – Leben und Werk des Grafinger Künstlers Rüdiger Szonell (1945-2023)“.
„Wir haben versucht, Arbeiten aus allen Schaffensperioden auszuwählen, um einen Überblick über das gesamte künstlerische Oeuvre zu geben. Alles hätte in die Räume nicht gepasst“, erzählt Szonells Weggefährte, der Künstlerfreund Thomas Hager, der bei der Auswahl der Werke und deren Hängung maßgeblich beteiligt war. An den Wänden zu sehen sind u.a. Zeichnungen und die Lieblingstechnik des Künstlers: Frottagen, „Umdrucke“, wie sie Hager nennt.
Tatsächlich werden bei Frottagen vorhandene Bilder, Oberflächen abgerieben bzw. auf Papier übertragen. Szonell wendete diese Technik mit Zeitungs- oder Magazinseiten an, gerne mit mehreren Seiten übereinander und ergänzte und retuschierte das Entstandene mit Stiften. Die Vögel neben einem Baum auf einem Bild etwa sind nachträglich eingefügt, erklärt Hager. „Man sieht es an der Schärfe, denn Frottagen haben immer eine ganz leichte Unschärfe.“
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Es ist aber nicht nur Zweidimensionales ausgestellt, auch eine Reihe von Objekten und Skulpturen ziert die Schau. Da ist etwa – vielleicht eine der zentralsten Arbeiten – eine Truhe mit dem „militärischen Nachlass“ seines Vaters. „Das Herzstück der Ausstellung“, sagt Hager dazu. Hier schwingen der Zweite Weltkrieg und seine Folgen, Flucht und Vertreibung mit.
Vieles dreht sich um den Begriff der Heimat
Aus der halb geöffneten Kiste lugt u.a. eine Militäruniform, staffiert mit Orden, sowie ein altes Fotoalbum. Aufgeschlagen ist eine Seite, auf der ein Foto mit Adolf Hitler zu sehen ist. Wenn man bedenkt, dass diesem Objekt gegenüber die Skulptur steht, die der Schau den Titel gab – ein in grau gefärbtes Gebilde mit ebenso grauen Hausschuhen, Stock, Mütze und einem Ast samt grüner Ähren und zwei kleinen Fotos, auf denen die Stiefel und der Oberkörper eines Soldaten zu sehen sind, dazu noch ein Schild mit den Worten „Home Sweet Home“, dann begreift man, worum es geht: um eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und mit dem Heimatbegriff, der durch die persönliche Biografie Szonells, der Familiengeschichte, die freilich durch größere Zusammenhänge geprägt ist, dem Zweiten Weltkrieg und der Flucht, ins Wanken geriet.
Was ist Heimat? Was menschliches Miteinander? Themen, so findet Thomas Hager, die auch heute noch aktuell sind. Die ausgestellten Werke samt „Ersatzfernseher“ und Computergrafiken entstammen den 70er, 80er, 90er und Zweitausender Jahren. Die Ausstellung eröffnet am Freitag um 18 Uhr und ist bis zum 9. Februar zu sehen. Ergänzt wird die Schau um ein Begleitprogramm mit Erzählabend (14. November), Archivstammtisch (21. November), Workshops (16. & 23. Januar) und einer Führung (2. Februar).