Trotz Todesstrafe und Umerziehungslager: K-Pop erobert auch Nordkorea
Auch in Nordkorea mag man Musik und TV-Serien aus dem Süden. Wer erwischt wird, dem droht die Todesstrafe. Doch sogar Diktator Kim scheint eine Schwäche für die Kultur des Feindes zu haben.
Seoul – BTS und Blackpink statt Brecht und Beethoven: Während Deutschland mit öffentlichen Mitteln Theater und Oper fördert, pumpt Südkoreas Regierung vorrangig Steuergelder in Popmusik. Und das mit Erfolg. Hallyu, die koreanische Welle, die mit weltweit beliebten Popgruppen, mit Fernsehserien wie „Squid Game“ und mit dem Oscar-Gewinner „Parasite“ das kulturelle Aushängeschild Südkoreas geworden ist, schwappt seit Jahren um die Welt. Hinter dem Erfolg stecken eine Industrie, der Kritiker vorwerfen, ihre Stars gnadenlos zu verheizen – und eine wohldurchdachte Strategie der südkoreanischen Regierung.
„Die Regierung hat die Absicht, die K-Inhalte-Industrie als nationale strategische Industrie zu fördern, damit sie auf dem umkämpften Weltmarkt führend werden kann“, sagte kürzlich Yu In-chon, Südkoreas Minister für Kultur, Sport und Tourismus, dem Portal myKorea. Dabei geht es einerseits natürlich ums Geld. Aber Südkorea hat auch erkannt, welchen Wert kulturelle Anziehungskraft haben kann. Und die wirkt sich längst nicht nur auf China, Japan oder Europa und die USA aus. Sondern auch auf Südkoreas kommunistischen Nachbarn: Nordkorea ist offenbar voll von K-Pop-Fans.
„Die ältere Generation in Nordkorea bevorzugt südkoreanische Fernsehserien und Filme“
Einer Studie zufolge sind ausländische Fernsehserien weit verbreitet in der ansonsten so abgeschotteten Diktatur. Mehr als 83 Prozent der Befragten – 6351 in den Süden geflohene Nordkoreaner – gaben demnach an, bereits Fernsehprogramme oder Filme aus Südkorea, China oder den USA gesehen zu haben. „Es gibt eine große Vorliebe für die ausländische Kultur, wobei viele Nordkoreaner vor allem die südkoreanischen Fernsehserien bewundern und den starken Wunsch äußern, mehr über die Außenwelt zu erfahren“, sagt eine Beamtin des südkoreanischen Vereinigungsministeriums, das die Studie erstellt hat, bei einem Treffen in Seoul. „Die ältere Generation in Nordkorea bevorzugt südkoreanische Fernsehserien und Filme, während die jüngere Generation auch K-Pop mag.“
Bereits in den 1980er-Jahren habe sich südkoreanische Musik unter nordkoreanischen Jugendlichen verbreitet, sagt die Regierungsbeamtin, die selbst vor Jahren aus dem Norden in den Süden geflohen ist. Später dann hätten Studenten, die im Ausland studierten, heimlich südkoreanische Filme und Serien nach Nordkorea geschmuggelt. Ab den frühen Nullerjahren seien CDs und DVDs sogar auf Schwarzmärkten verkauft worden. „Heute sind USB-Sticks mit südkoreanischen Fernsehserien, Filmen und politischen Informationen weit verbreitet“, sagt die Beamtin.
Nord- gegen Südkorea: Propagandakrieg mit Luftballons
Ein Teil der USB-Sticks kommt direkt aus dem Süden über die Grenze, Aktivisten binden die kleinen Datenträger an Heißluftballons und schicken diese in Richtung Norden. Dort reagiert man auf diese kulturelle Invasion auf ganz eigene Art: Mehrere Tausend Ballons, an denen Säcke voller Müll hängen, lässt das Kim-Regime seit Monaten in den Süden segeln. Denn dem Regime sind die kulturellen Einflüsse aus dem verfeindeten Süden ein Dorn im Auge. 2020 erließ die Regierung in Pjöngjang sogar ein Gesetz, das Umerziehungslager oder die Todesstrafe für Menschen vorsieht, die südkoreanische Kulturerzeugnisse weiterverbreiten.
Berichten zufolge wird dieses drakonische „Gesetz zu reaktionären Gedanken und reaktionärer Kultur“ immer wieder angewendet. So soll vor zwei Jahren ein 22-Jähriger hingerichtet worden sein, weil er südkoreanische Popmusik gehört und Filme aus dem Land gesehen sowie weiterverbreitet habe. Der Fall findet sich in einem aktuellen Bericht der Regierung in Seoul zur Menschenrechtslage im Norden der geteilten Halbinsel.
Ebenfalls 2022 wurden offenbar zwei 16-Jährige zu Zwangsarbeit verurteilt, nachdem sie Fernsehserien aus dem Süden weitergegeben hatten. Ein nordkoreanisches Propagandavideo, das der BBC zugespielt und wohl zu Abschreckungszwecken produziert wurde, zeigt, wie die beiden Jugendlichen vor Hunderten Zuschauern ihren Richtern vorgeführt werden. Noch deutlich drastischer klang vor ein paar Wochen ein Bericht des Fernsehsenders Chosun TV, demzufolge im Juli 30 Schulkinder öffentlich hingerichtet wurden, weil sie südkoreanische Fernsehserien angesehen hatten. Verifizieren lässt sich diese Meldung allerdings nicht.
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„Bösartiges Krebsgeschwür“: Kim Jong-un verurteilt K-Pop und Co.
Schon der 2011 verstorbene Diktator Kim Jong-il ging hart gegen das Herüberschwappen der südkoreanischen Kultur vor. Sein Sohn Kim Jong-un hat den Kampf gegen das „bösartige Krebsgeschwür“, wie er es nennt, zuletzt noch intensiviert. Vor ein paar Jahren sah das noch anders aus: 2018, während eines kurzen Tauwetters in den Beziehungen zwischen Nord und Süd, lud er eine Handvoll K-Pop-Stars zum Gastspiel nach Pjöngjang. Unter dem Motto „Der Frühling kommt“ spielten unter anderem die Rockband YB und die Girlgroup Red Velvet vor Kim, seiner Frau und Hunderten geladenen Gästen in einem Konzerthaus im Osten der nordkoreanischen Hauptstadt.
Südkoreanischen Medien zufolge war es das erste Mal, dass ein nordkoreanischer Führer eine Vorstellung von Künstlern aus dem Süden besuchte. Und Kim schien Gefallen gefunden zu haben an dem, was er da sah und hörte: Südkoreas mitgereister Kulturminister wusste später zu berichten, der Diktator habe „großes Interesse an der Vorstellung gezeigt“.
Dass das nordkoreanische Regime auf die Kulturimporte aus dem Süden seit einigen Jahren schlecht zu sprechen ist, ist freilich kein Zeichen für einen veränderten Musik- oder Filmgeschmack von Diktator Kim. Für das Regime, so scheint es, ist Hallyu existenzbedrohend. In Südkoreas Vereinigungsministerium glaubt man, dass K-Pop und Co. das Zeug haben, die Einstellungen der Menschen in Nordkorea zu verändern: „Dieser kulturelle Wandel geht mit einem Wertewandel einher.“ So habe mehr als die Hälfte der Nordkoreaner mittlerweile eine schlechte Meinung von Kim Jong-un.
Südkoreanische Vokabeln: Kim Jong-un schockiert sein Volk
Der scheint sich der Bedrohung bewusst. Würde man südkoreanische Kultur weiter ins Land lassen, würde Nordkorea „wie eine feuchte Wand“ zerbröckeln, warnten Staatsmedien vor drei Jahren. Die Fernsehserien und Filme zeigen schließlich, wie wohlhabend der Süden in den Jahrzehnten seit dem Koreakrieg geworden ist – während der Norden regelmäßig mit Hungersnöten zu kämpfen hat.
Der Siegeszug der Kultur aus dem Süden scheint jedenfalls unaufhaltsam. „Das Anschauen von K-Dramen hat sogar die Art und Weise beeinflusst, wie Paare einander ansprechen“, sagt die Beamtin des südkoreanischen Vereinigungsministeriums. So seien heute im Süden beliebte Begriffe wie „Jagi“ (Honig) als Kosenamen auch im Norden gebräuchlich.
Nicht einmal Diktator Kim Jong-un scheint dem Einfluss des Südens zu entkommen. So soll er Anfang August, bei einem Besuch von Hochwassergebieten im Norden des Landes, seine Untertanen nicht als „Kameraden“ angesprochen haben, sondern als „Bürger“. Auch andere Begriffe, die im Süden deutlich häufiger seien als im Norden, habe er in den Mund genommen, berichtete der US-Sender Radio Free Asia unter Berufung auf Quellen aus Nordkorea. Die Umstehenden, so heißt es in dem Bericht, seien geschockt gewesen von der Wortwahl des Diktators.