„Einfach niedergemetzelt“: Igelhelfer im Landkreis am Limit – BN fordert Nachtfahrverbot für Mähroboter

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Auf dem Behandlungstisch in der Igelstation spritzt Miriam Bauer Igel Herby eine Infusion. Das Tier ist untergewichtig und geschwächt. © Anna Liebelt

Mit dem ersten Frost beginnt für viele ehrenamtliche Helfer im Herbst auch der Einsatz auf den Igelstationen. Doch heuer kommen die Igelretter schon jetzt an ihre Grenzen. Denn Parasiten, Krankheiten und vor allem elektrische Mähroboter sorgen für viele Patienten in ihren Auffangstationen.

Schwungvoll öffnet Mala Maier die Tür zu ihrem Kellerabteil. Aus dem Raum am Ende des Ganges strömt ihr angenehm kühle Luft entgegen. Die 42-Jährige betritt zielstrebig das Zimmer, in dessen Mitte sich mehrere durchsichtige Plastikboxen am Boden aneinanderreihen. Zwischen Zeitungspapier und Handtüchern lugen dort kleine schwarze Augen hervor. „Sie hört sich an wie ein Teekessel“, sagt Maier besorgt., während sie mit der Hand vorsichtig in eine der Boxen greift und ein Handtuch vom Kopf eines röchelnden Igels zieht. „Die Arme hat einen Atemwegsinfekt. Sie hört sich nicht gut an.“

„Wir lassen keinen Igel rumliegen“: Auffangstationen derzeit am Limit

Seit fast zwei Wochen ist Igeldame Alice bereits Patientin in der Igelstation von Maier im südlichen Landkreis. Deren Auffangstation im Keller ihres Hauses ist derzeit vollbesetzt. Sechs Igel päppelt die 42-Jährige aktuell wieder auf. Davon befindet sich einer auf der sogenannten „Intensivstation“ mit Wärmematte und Kameraüberwachung unter dem Kellerfenster. Für die langjährige Igelhelferin ist das eine ungewöhnliche Situation, schließlich kommt ihre Igelstation normalerweise erst im Herbst zum Einsatz. „Heuer haben wir aber keine Sommerpause. Die Fälle haben noch nicht abgerissen“, bedauert Maier, die zusammen mit Miriam Bauer und Micha Huber die Igelrettung für den südlichen Landkreis Ebersberg abdeckt.

Ein kleines Häufchen: Igel Herby ist unterernährt und stark geschwächt. In der Igelstation wird er wieder aufgepäppelt. Doch die Helfer wissen nicht, mehr, wo ihnen der Kopf steht. Sie haben für diese Jahreszeit ungewöhnlich viele „Patienten“.
Ein kleines Häufchen: Igel Herby ist unterernährt und stark geschwächt. In der Igelstation wird er wieder aufgepäppelt. Doch die Helfer wissen nicht, mehr, wo ihnen der Kopf steht. Sie haben für diese Jahreszeit ungewöhnlich viele „Patienten“. © Anna Liebelt

„Wir bekommen gerade aber vermehrt auch Tiere aus anderen Landkreisen. Wir lassen ja keinen Igel irgendwo rumliegen“, sagt die ehrenamtliche Helferin mit Blick auf ihre zusammengekauerten Schützlinge. Im Igelretterteam macht sich der über den Sommer andauernde Einsatz mittlerweile jedoch bemerkbar: „Wir sind schon jetzt am Limit“, erklärt Miriam Bauer und streift sich sorgenvoll durch ihre braunen Haare. „Und die Wurfzeit und der Herbst stehen uns noch bevor.“ Den genauen Standort ihrer Igelstationen möchten die Frauen aus Sorge vor unangekündigten Ablagen von verletzten Tieren daher nicht nennen. In dem Zug hat die EZ auch die Nachnamen der Helferinnen abgeändert.

Ehrenamtliche Helfer zahlen Futter und Medikamente meist aus eigener Tasche

Dreh- und Angelpunkt der ehrenamtlichen Helfer ist das Igel-Netzwerk der Kreisgruppe Ebersberg des Bund Naturschutz. Über eine Art Kontaktbörse organisieren und vernetzen sich dort die zahlreichen privaten Helfer. „Wir machen das aus Überzeugung“, betont Maier, die bereits seit einigen Jahren das Igelteam im südlichen Landkreis unterstützt. Für die 42-Jährige ist die ehrenamtliche Arbeit eine Herzensangelegenheit, doch mittlerweile kämpft auch sie mit der zunehmenden Belastung. „Wir machen Intensivpflege. Wir versorgen Wunden, geben Medikamente und Infusionen“, erklärt sie.

Dafür stehen die drei Frauen nach eigenen Angaben täglich bis zu vier Stunden in ihren Igelstationen. „Früher hatten wir in den Sommermonaten eine Verschnaufpause, doch in diesem Jahr kommen fast jeden Tag Anrufe rein“, bedauert Maier. Hinzukomme, dass die Helferinnen den Großteil der Kosten für Futter, Medikamente und Verbandsmaterial selbst tragen müssen. „Da kommen schon um die 10 000 Euro zusammen“, rechnet Bauer vor. „Und die Kosten werden immer mehr. Wir haben ja viel mehr Tiere.“

Lebensraum des Igels verschlechtere sich dramatisch

Dass heuer gleich so viele stachelige Patienten in den Igelstationen abgegeben werden, habe verschiedene Gründe, betont Bauer. Zum einen verschlechtere sich nach Ansicht der Retterin der Lebensraum der Igel. So finden die Tiere oftmals nicht mehr genug Nahrung und es fehlt ihnen an Rückzugsorten. „Jeder Garten ist picobello aufgeräumt. Die Igel haben gar keinen Schutz mehr“, sagt Mala Maier. Zudem gebären Igel in Süddeutschland erst relativ spät ihre Jungen.

Die Markierungen geben Auskunft über Fundort, Funddatum und Geschlecht des Igels.
Die Markierungen geben Auskunft über Fundort, Funddatum und Geschlecht des Igels. © Anna Liebelt

Während also in anderen Bundesländern bereits Igelkinder durch Gräser und Wiesen streifen, hat im Landkreis Ebersberg erst vor kurzem die Paarungszeit geendet. „Wir erwarten die ersten Babys erst noch“, erklärt Maier mit Blick auf die belegten Auffangboxen in ihrem Keller besorgt. Denn die frisch geschlüpften Igelkinder stehen vor einer großen Herausforderung: „Nur die wenigsten schaffen es, sich bis zum Winter genug Fettreserven anzufressen“, erklärt Miriam Bauer seufzend. Mit dem ersten Frost finden die geschwächten Jungtiere dann oftmals ihren Weg in die Igelstationen der drei Helferinnen.

Von Mährobotern skalpiert: Immer mehr Igel von Gartengeräten verletzt

Durch die Nahrungsknappheit kämpfen die geschwächten Igel zudem vermehrt mit Parasitenbefall: Auf ihrem Handy zeigt Maier eine Aufnahme der Kamera, die sie über der Auffangbox von Igeldame Alana montiert hat. „Das ist echt schlimm“, kommentiert sie die schwarz-weißen Bilder, auf denen der kleine Igel völlig kraftlos über den mit Handtüchern ausgelegten Boden der Kiste robbt. Die Hinterbeine kann das Tier kaum bewegen, der Kopf zittert. „Wir glauben, das ist neurologisch bedingt. Womöglich eine Gehirnhautentzündung durch Zecken“, sagt die 42-Jährige.

Eine nicht zu unterschätzende Gefahr seien zudem elektrische Mähroboter und Rasentrimmer. Zwar werben viele Hersteller damit, die Geräte können Wildtiere erkennen, „die Zahlen sagen aber was anderes“, so Bauer. „Wir haben viele Findlinge mit den typischen Verletzungen an Kopf und Schwanz“, bedauert die 48-Jährige. Denn bei Gefahr rollt sich der Igel zu einer Kugel zusammen. So werden die Tiere von den scharfen Messern der Gartengeräte regelrecht skalpiert und aufgeschlitzt. „Das sind unschöne Verletzungen“, sagt sie. Bauer spricht aus Erfahrung, in ihrer Igelstation laden die Extremfälle.

„Die Tiere werden einfach niedergemetzelt, weil Gartenbesitzer achtlos mit ihren Geräten umgehen.“ Die Retterin befürwortet daher die Forderung des Bund Naturschutz, ein Nachtfahrverbot für Mähroboter zu erlassen. „Das wäre ein erster Schritt“, sagt sie. Denn Gartenbesitzer sollten auch in den Sommermonaten auf die stacheligen Bewohner ihrer Wiesen und Hecken achten. „Wenn jeder einfach aufpasst, wäre uns schon viel geholfen“, so Bauer.

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