Azubi-Mangel: IT-Firmenchef setzt auf neue Bewerbungsverfahren - Viele Branchen betroffen

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Verbindliche Kommunikation: So gewinnt Geschäftsführer Marcel Vogt nach eigenen Worten Bewerber für seine IT-Firma in Waakirchen. © Thomas Plettenberg

IT-Chef Marcel Vogt erklärt im Interview, wie er trotz Azubi-Mangel acht Stellen besetzt. Dabei besonders wichtig: schnelle und direkte Kommunikation.

Landkreis – Während viele Betriebe im Landkreis händeringend Nachwuchs suchen, bildet ein Waakirchner IT-Dienstleister acht junge Menschen gleichzeitig im Beruf des Fachinformatikers für Systemintegration aus. Wie er dafür jedes Jahr zwei bis drei geeignete Bewerber findet und was sich bei der Suche in den vergangenen Jahren verändert hat, erklärt Marcel Vogt (33) im Interview. Der Geschäftsführer der tbs Computer-Systeme GmbH war vor 18 Jahren selbst Azubi in der Firma, die er schließlich 2020 gemeinsam mit zwei Kollegen übernommen hat.

Herr Vogt, wie schwierig ist es für Ihre Firma, geeignete Bewerber zu finden?

Marcel Vogt: Offen gesagt nicht sehr schwer. Aber wir tun auch viel dafür. Obwohl wir mit 50 Mitarbeitern kein Garagenschuppen mehr sind, kennen uns nur wenige Menschen, weil wir IT-Lösungen speziell für Ärzte und Medizinische Versorgungszentren anbieten. Deshalb versuchen wir, unseren Bekanntheitsgrad zu erhöhen. Wir sind in Schulen präsent, besuchen Veranstaltungen, Jobmessen und Speeddating-Angebote. Praktikanten sind zum Beispiel einer der Schlüssel – viele bewerben sich später tatsächlich. Zwei von drei Azubis, die im September anfangen werden, kamen zum Beispiel beim Speed-Dating im Waitzinger Keller in Miesbach auf uns zu.

Persönlicher Eindruck statt Lebenslauf gefordert

War das früher anders?

Vogt: Früher haben wir uns leichter getan, weil sich die Leute einfach von sich aus auf Stellenanzeigen gemeldet haben. Heute sind wir neben den Veranstaltungen mehr auf Social Media präsent. Der Bewerbungsweg muss möglichst einfach gestaltet sein. Ein Lebenslauf war bei Azubis aus meiner Sicht immer schon fraglich – was soll da groß drinstehen, außer, dass sie zur Schule gegangen sind. Mittlerweile verzichten wir darauf im ersten Schritt ganz. Man muss eben pragmatisch sein. Bei uns zählt mehr der persönliche Eindruck.

Haben sich die Bewerber selbst auch verändert?

Vogt: Die Kommunikation ist anders geworden. Wenn wir früher Bewerbern zugesagt haben, haben sie sofort „Hurra“ gerufen und das Angebot angenommen. Heute bekommt man oft tagelang gar keine Antwort und dann die Nachricht: „Ja, ich überleg’s mir mal.“ Wir sind deshalb dazu übergegangen, sehr schnell einen Gesprächstermin mit Bewerbern zu finden und – wenn’s passt – auch schnell zur Unterschrift zu kommen. Kurze Wege und eine verbindliche, persönliche Kommunikation sind enorm wichtig. Die Einführung der Du-Kultur in unserem Unternehmen, bereits ab dem Erstkontakt, hat stark dazu beigetragen, die persönliche Kommunikation zu verbessern.

Neue Situation hat auch für Arbeitgeber Vorteile

Gibt es auch Dinge, die einfacher geworden sind?

Vogt: Durch die vielen Praktika, die wir anbieten, kennen wir viele Bewerber schon – und tun uns später leichter, sie einzustellen. Wir wissen einfach schon mehr, auf was wir uns einlassen. Zum Beispiel Dinge wie Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit lassen sich nach einer Woche schon gut beurteilen. Wir haben dadurch wenig Schwierigkeiten mit neuen Azubis – da bin ich durchaus positiv eingestellt.

Aber auch die Bewerber kennen ihre künftigen Arbeitgeber – und haben mehr Auswahl als früher.

Vogt: Der Ausbildungsmarkt ist tatsächlich deutlich größer als der Markt der zur Verfügung stehenden Azubis. Die Bewerber sind heute aber oft deutlich früher dran. Vor einigen Jahren wollten wir immer bis spätestens Weihnachten unsere Azubis für das Folgejahr gefunden haben. Heute ist es oft so, dass unsere Plätze schon im Oktober vergeben sind. Das schafft für beide Seiten Sicherheit. Trotzdem sind die Bewerber flexibel, was zum Beispiel die Anfahrt angeht. Obwohl Azubis meistens 16 oder 17 sind, finden sie immer kreative Lösungen, wie sie nach Waakirchen kommen. Früher gab’s da viel mehr Probleme – heute fahren sie mit 45-km/h-Autos. Es ist nicht alles schlecht an der Entwicklung. nap

Azubi-Mangel in Zahlen

Über 3000 zu besetzende Ausbildungsstellen sind der Agentur für Arbeit Rosenheim im laufenden Berufsberatungsjahr seit Oktober mitgeteilt worden. Dem gegenüber stehen 1220 gemeldete Bewerber im Bereich der Agentur, der die Landkreise Bad Tölz-Wolfratshausen, Miesbach sowie die Stadt und den Landkreis Rosenheim umfasst. Die Zahlen lassen sich zwar nicht direkt ins Verhältnis zueinander setzen, da weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer zur Meldung verpflichtet sind. Aber: „Rein rechnerisch kommen damit mehr als 2,4 Ausbildungsplätze auf einen Bewerber“, stellt die Agentur fest.

Ein klarer Bewerbermangel lässt sich auch aus den Zahlen zum Ende des abgelaufenen Berufsberatungsjahres ableiten. Demnach waren im vergangenen September 122 Ausbildungsstellen im Landkreis Miesbach unbesetzt – gut 23 Prozent mehr als noch im Vorjahresmonat.

Mehr als jeder zehnte unbesetzte Ausbildungsplatz im Landkreis entfällt dabei auf das Gastgewerbe, erklärt die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) in einer Pressemitteilung. NGG-Geschäftsführer Manuel Halbmeier fasst darin zusammen: „Wir haben einen Azubi-Mangel.“ Betriebe müssten sich aktiv darum kümmern, an junge Menschen heranzukommen, fordert er. „Es geht darum, sie für Ausbildungsberufe zu begeistern.“

Neben dem Gastgewerbe vom Mangel besonders betroffen waren zuletzt auch Stellen in den Bereichen Arzt- und Praxishilfe, Verwaltung, Versicherungs- und Finanzdienstleistungen, Unternehmensorganisation und -strategie sowie Feinwerk- und Werkzeugtechnik, Papier- und Verpackungstechnik und Metallbearbeitung. nap

Auch im Kreis Freising gibt‘s ein Azubi-Dilemma: Auf immer mehr Lehrstellen kommen immer weniger Bewerber.

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