Weihnachten im Hospiz Pfaffenwinkel: Willkommen im Abschied
Der Tod macht auch an Weihnachten keine Pause, die Zimmer im Pollinger Hospiz sind immer belegt. Auf die Gäste und die Mitarbeiter warten schwere und doch schöne Stunden.
Polling – Auf dem Hof des Hospizes parkt ein Auto. „All I need is love an champagne“ („Alles, was ich brauche, ist Liebe und Champagner“) steht auf dem Aufkleber an der Heckscheibe. Ganz kurz wirkt es an diesem Ort unpassend. Und danach umso passender. Ja, im Hospiz im Pfaffenwinkel im schönen Pollinger Kloster sterben Menschen. 100 bis 120 pro Jahr. Es ist ein Ort des Abschieds und der Trauer, des Schmerzes und der Sprachlosigkeit. Es ist aber auch ein Ort der Liebe, des Genusses, der Zuwendung und der Vergebung. Ein Ort, in dem das Leben ein letztes Mal gefeiert wird.
Auch an Weihnachten. Im Hospiz in Polling ist das ein besonderer Tag. Und doch auch einer wie jeder andere. Weil hier jeden Tag ein bisschen Weihnachten ist, täglich Wünsche in Erfüllung gehen – große und kleine. Weil jeder Wunsch der letzte sein könnte. Wer ins Hospiz nach Polling kommt, der gilt als „austherapiert“. Die Medizin ist an ihre Grenzen gekommen. Hier gibt es keine Chemo mehr, keine piependen Geräte, keinen Notarzt, der mitten in der Nacht ins Zimmer rennt.
Hier hört man bisweilen spanische Musik aus dem Raum mit der großen Badewanne, wenn ein Gast das erste Bad seit vielen Jahren genießt – mit Musik, einem Glas Rotwein und stimmungsvollem Licht. Hier duftet es nach frischgebackenem Leberkäs aus der Küche, deren Tür immer offen steht. Dort hängt eine große Tafel mit den Vorlieben der Bewohner. „Semmel horizontal geteilt, mag Teewurst und Käse“ ist bei einer Bewohnerin vermerkt.

„Geht nicht, gibts nicht“, sagt Pfleger Balu. Ein Bär von einem Mann, der seinem Namen alle Ehre macht. Sein ansteckendes Lachen schallt durch den Gang. Eine Dame, erinnert er sich, die wollte noch einmal eine Schifffahrt machen. Eine Kreuzfahrt, das ging nicht mehr. Aber einen Tag auf dem Starnberger See, den hat er mit ihr verbracht. Hinterher hat sie allen erzählt, dass sie mit ihm beim Nacktbaden war. Hat ihn angezwinkert und gemeint, jetzt solle er schauen, wie er das den anderen erklärt.
Ein Gast wollte so gern noch einmal den Geschmack von Bier im Mund schmecken. Er konnte nicht mehr schlucken. Also haben sie ihm einfach mit Bier die Zähne geputzt. Sie waren mit ihren Gästen beim Eishockey in Peiting, haben den neuen Hof des Sohnes im Allgäu besucht. Immer bestand das Risiko, dass der Gast die Fahrt nicht überstehen würde. „Und doch ist erstaunlich, wie viel Kraft der Willen mobilisieren kann“, sagt Renate Dodell, die Vorsitzende des Hospizvereins Pfaffenwinkel.
Zu den Besonderheiten im Hospiz gehört, dass wenig wirklich konkret planbar ist. Keiner weiß, wie lang die Gäste bleiben, wann der nächste kommt. Sicher ist nur, dass die zehn Betten längst nicht ausreichen, um den Bedarf zu decken. Deswegen soll erweitert werden (wir berichteten).
Das erschwert ein wenig die Vorbereitungen auf die Weihnachtstage. Aber natürlich hat Pflegedienstleiterin Barbara Rosengart mit ihren Kollegen bereits vor Wochen geklärt, wer an Heiligabend, den Feiertagen und an Silvester Dienst macht. Das sei auch für die Kollegen schwer, sagt Rosengart. Es sind emotionale Dienste. Die Familien, die feiern daheim, die Mitarbeiter im Hospiz. „Doch es ist eine Gemeinschaft, die hier entsteht“, sagt die Pflegedienstleiterin.
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Ansonsten kann selbst wenige Wochen vor dem Fest noch niemand sagen, welche Gäste über die Feiertage im Hospiz sein werden. Wer an Heiligabend von seinen Angehörigen nach Hause geholt wird, wen seine Lieben besuchen, die sich in dieser Zeit in einem der einfachen, aber schönen Appartements einquartieren, die dafür im Kloster eingerichtet wurden und auf Spendenbasis an Besucher von Hospizgästen vermietet werden.
Das Hospiz ist auf Spenden angewiesen
Eine Feierstunde wird es am Heiligabend geben. Würschtl und Kartoffelsalat für die, die mögen. Dann sitzen sie alle und schauen den Weihnachtsbaum an, der heuer von Gut Achberg bei Oberhausen spendiert wurde. Vor Jahren hatte Renate Dodell einen anderen Christbaumhändler aus der Region gefragt, ob er einen Baum sponsern würde. Der meinte, er müsse überlegen – viele Vereine fragen, ob er einen Gratisbaum spendiert. „Das habe ich komplett verstanden, angeboten, dass wir auch gern zahlen, wenn er einen liefert“, sagt Dodell. Am nächsten Morgen rief der Tannenhändler zurück, erinnert sich die Vorsitzende des Hospizvereins. Sagte, er habe die ganze Nacht nicht geschlafen, weil er nicht gleich zugesagt hatte. Und brachte zwei Bäume vorbei.
Dodell und Anton Schuster vom Vorstand freut das. Nicht nur, weil das Geld immer knapp ist – 200 000 Euro an Spenden müssen Jahr für Jahr gesammelt werden, damit das Hospiz weiter bestehen kann. Sondern weil es zeigt, dass die Menschen in der Region „ihr“ Hospiz kennen und schätzen.
Oft sind es Kleinigkeiten – die Bienenwachskerzen der Jungimker aus Seeshaupt, selbstgebackene Platzerl, selbstgestrickte Socken – die im Hospiz abgegeben werden. Aber sie zeigen, dass das Bewusstsein, dass das Sterben zum Leben gehört, mit jedem Jahr des Bestehens des Hospizes bei den Menschen in der Region größer wird. Und dass die Arbeit, die in Polling Tag für Tag geleistet wird, wahrgenommen und geschätzt wird. Vereine verkaufen Glühwein am Christkindlmarkt und spenden den Erlös ans Hospiz, Firmen verzichten auf Weihnachtskarten und sorgen mit dem gesparten Geld dafür, dass einem Menschen am Ende des Lebens ein Wunsch erfüllt wird, dass er in einer Umgebung von Wärme und Zuwendung gehen kann.
Wenn ein Gast verstorben ist, darf er einen Tag in seinem Zimmer bleiben, damit sich seine Angehörigen dort von ihm verabschieden können. Die Mitarbeiter gehen ins Zimmer und kleiden den Verstorbenen so, wie er es wollte. „Das kann durchaus auch der Jogginganzug sein“, sagt Barbara Rosengart. Der Papa, der zeitlebens immer leger gekleidet war, er soll auch im Tod nicht auf einmal verkleidet sein.

Eine Kerze brennt dann vor der Tür. Und die Mitarbeiter gestalten eine weitere Seite im Gedenkbuch. Es liegt im Gang des Hospizes aus. Eine Möglichkeit für die Mitarbeiter, sich von ihren Gästen zu verabschieden. In den 21 bis 28 Tagen, die ein Gast im Schnitt im Hospiz verbringt, entstehen enge Bindungen zwischen Pflegekräften und Gästen. Bindungen, die im Gedenkbuch illustriert werden. Vorher wird geklärt, wer namentlich aufgeführt werden möchte, wer ein Foto im Gedenkbuch haben will und wer nicht. Wie immer im Pollinger Hospiz stehen die Wünsche der Gäste, die hier nie jemand Patienten nennen würde, im Mittelpunkt.
Die Angehörigen können die andere Seite im Gedenkbuch gestalten. Wenn sie es möchten. Wenn sie es können. „Man muss in der Trauer auch die Sprachlosigkeit zulassen“, sagt Dodell. Viele kommen später noch einmal ins Hospiz, um die Gedenkseite zu gestalten oder an einer der Gedenkfeiern teilzunehmen, die regelmäßig veranstaltet werden.
42 000 Menschen sterben in Deutschland statistisch gesehen während der Weihnachtsfeiertage. Es ist möglich, dass auch im Pollinger Hospiz in dieser Zeit einer der Gäste für immer gehen muss. Bis dahin erwarten sie auch an Weihnachten Tage voller Zuwendung und Fürsorge, Tage voller Liebe – und vielleicht auch ein Glas Champagner.