Ehemaliger VW-Boss schießt gegen CDU und FDP: Schuld an der Krise ist auch ihre „Fata Morgana“
Die deutsche Autoindustrie steckt in einer Krise, Volkswagen hat nun sogar Werksschließungen in Deutschland nicht ausgeschlossen. Ex-Konzernchef Herbert Diess gibt der Politik eine Mitschuld.
Wolfsburg – Die deutsche Schlüsselbranche steht unter massivem Druck. Zulieferer gehen reihenweise Pleite, müssen Stellen abbauen und Standorte dichtmachen. Und auch die Autobauer selbst schwächeln, besonders prominent ist dabei Volkswagen, der größte Autobauer Europas. Auch dort sollen die Sparmaßnahmen ausgeweitet werden, betriebsbedingte Kündigungen werden nicht mehr ausgeschlossen, ebenso wie Werksschließungen in Deutschland.
Krise bei VW & Co: Deutschland kann mit China nicht mithalten
Wie immer bei solchen Krisen beginnt nun die Suche nach den Schuldigen. Daran haben wohl alle ihren Teil, so haben die Autobauer den Umschwung auf E-Mobilität verschlafen und kommen technisch mit der Konkurrenz aus China und den USA nicht mit. Noch dazu werden die Elektroautos aus Asien deutlich günstiger angeboten, als die Fahrzeuge aus Deutschland. In China ist VW nicht mehr der Marktführer, sondern der heimische Autobauer BYD.
Doch die Politik trägt auch ihren Anteil an der Schuld. Das überraschende Ende der E-Auto-Förderung von einem Tag auf den anderen hat Kunden und Autohersteller verärgert, die Nachfrage brach auch deshalb ein. Und dann noch das ewige Hin und Her auf EU-Ebene zum Thema Verbrenner-Aus, das weiter zur Verunsicherung beiträgt.
Ex-Chef von Volkswagen: Deutschland muss jetzt seine Hausaufgaben machen
All diese Punkte nennt der ehemalige Konzernchef bei Volkswagen, Herbert Diess, nun auch in einem Interview mit dem Stern. Europas größter Autobauer habe „Hausaufgaben zu machen, Produktivität zu verbessern und Effizienz zu steigern“, sagte er dem Magazin. Das betreffe besonders die deutschen Standorte der Kernmarke VW. „Das sind Themen, die man lange vor sich hergeschoben hat.“
Das Unternehmen leide darunter, dass zu wenige E-Fahrzeuge verkauft würden, sagte er. „Das ist eine Herausforderung.“ Davon unabhängig sei die Marke VW auch im internen Konzernvergleich zu ertragsschwach. Diess hatte bereits vor drei Jahren, als er noch Konzernchef war, von 30.000 Stellen gesprochen, die bei der Kernmarke wegfallen könnten – und hatte dafür von allen Seiten Kritik geerntet. Ein Jahr später musste er den Platz an der Konzernspitze räumen.
Nun spricht er auch Fragen an, die sich Manager und Unternehmen in Deutschland nun stellen müssten. „Wieso haben wir es nicht geschafft, einen Batteriehersteller auf die Beine zu stellen?“, so Diess. „Der Leitmarkt für E-Mobilität ist aufgrund der dortigen konsequenten politischen Entscheidungen China. Sich dort stärker zu orientieren, sich dort mit E-Fahrzeugen durchzusetzen, dafür ist es höchste Zeit. Allerhöchste Zeit.“
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Verunsicherung beim Verbrenner-Aus: E-Fuels sind eine „Fata Morgana“
Doch auch die Politik kommt nach Einschätzung Diess‘ nicht ungeschoren davon. Dabei greift er auch die von CDU und FDP geforderte Technologieoffenheit, insbesondere für synthetische Kraftstoffe (E-Fuels), an. „Den Käufer eines Autos hätte [die Politik] kaum mehr verunsichern können als mit der Fata Morgana von synthetischen Kraftstoffen. Da wurde der falsche Eindruck erweckt, man könnte Verbrennerautos und Tankstellennetze einfach CO₂-neutral weiterbetreiben.“
Damit ist auch klar, wie Diess zum Verbrenner-Aus steht, wobei ihm das finale Ausstiegsdatum aus der fossilen Mobilität „nicht so wichtig“ sei. „Aber die Industrie braucht einen Plan, auf den sich alle festlegen. Planungssicherheit ist für Industrie und Verbraucher wichtig.“
Erst vor wenigen Wochen hatte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) die Vorzüge von E-Fuels und Wasserstoff in der Mobilität hervorgehoben. „Auch Privat-Pkw könnten in Zukunft so betankt werden“, sagte er der Bild. Experten gehen bei E-Fuels im Privaten Bereich eher von einem Nischenprodukt aus.
Entscheidung für Elektroauto ist gefallen: Autobauer wie VW müssen sich neu erfinden
Nach Ansicht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) haben die deutschen Automobilhersteller weiterhin „alle Möglichkeiten und Fähigkeiten, sich im globalen Wettbewerb zu behaupten“. „Dafür müssen sich die Automobilhersteller jedoch neu erfinden und ihre Innovationsstärke verlagern und nutzen, um den Umstieg auf E-Mobilität und autonomes Fahren schneller und besser umzusetzen“, sagte DIW-Präsident Marcel Fratzscher der dpa. „Die Behauptung, der Verbrennungsmotor sei zukunftsfähig, ist ein gefährlicher Irrglaube.“ Die Entscheidung für das Elektroauto sei weltweit längst gefallen.
Neben der ewigen Debatte zu den Verbrennern nimmt Herbert Diess im Gespräch mit dem Stern auch die Ampel in die Pflicht. Der Schlingerkurs bei der Förderpolitik und die fehlende Unterstützung für Ladeinfrastruktur hätten den Aufbau der E-Mobilität weiter ausgebremst. „Es ist schon sehr unstrukturiert, kurzfristig gedacht und verwirrend, was hier politisch vorgegeben wird“, so der Ex-Chef im Interview.
Krise in der Autobranche legt Schwächen der deutschen Wirtschaft offen
Die Krise der Autoindustrie legt nach Einschätzung von Experten aber schonungslos die Schwächen des Standorts Deutschland offen. Die deutsche Industrieproduktion liege viereinhalb Jahre nach Ausbruch der Pandemie immer noch zehn Prozent hinter Vor-Corona-Niveau, sagt ING-Volkswirt Carsten Breszki. Das alte Geschäftsmodell mit billiger Energie und leicht zugänglichen großen Exportmärkten funktioniere nicht mehr. Angesichts der nachlassenden Dynamik in den USA und China sowie zusätzlichen Handelsspannungen bleibe nur wenig Hoffnung auf eine starke exportgetriebene Erholung.
Bei den Automobilzulieferern mit noch etwa 270.000 Beschäftigten (2018 waren es etwa 311.000) ist die Krise längst angekommen. Schließlich bestellen die Autobauer nach Auftragslage. Laut einer Umfrage der Beratungsgesellschaft Horvath plant eine Mehrheit von 60 Prozent der Unternehmen einen moderaten Stellenabbau. So hat ZF angekündigt, bis Ende 2028 in Deutschland zwischen 11.000 und 14.000 Stellen zu streichen. Continental will sein Autozuliefergeschäft womöglich komplett abspalten und an die Börse bringen.
Gewinn sinkt bei VW, BMW und Mercedes-Benz: Autobranche strauchelt
Volkswagen hatte Anfang September angekündigt, den Sparkurs bei der Kernmarke VW deutlich zu verschärfen. Betriebsbedingte Kündigungen und auch Werksschließungen werden nicht länger ausgeschlossen. Die seit 30 Jahren geltende Beschäftigungssicherung wurde aufgekündigt. Betriebsrat und Gewerkschaft kündigten massiven Widerstand an.
Volkswagen meldete im ersten Halbjahr 14 Prozent weniger Gewinn, bei BMW ging es um fast 15 Prozent nach unten, bei Mercedes-Benz um fast 16 Prozent. Alle drei mussten ihre Gewinnziele fürs Gesamtjahr bereits kappen, zuletzt BMW am Dienstag (10. September). (mit Material von dpa)