„Eindeutig nicht erlaubt und verboten“: Europarechtsexperte ordnet Merz‘ Asylpläne ein
Merz‘ Pläne für Deutschlands Asylpolitik verstoßen gegen mehrere EU-Regeln. Es gibt nur eine Möglichkeit, die Maßnahmen durchzusetzen.
Berlin/Innsbruck – CDU-Chef Friedrich Merz wünscht sich eine strengere Migrationspolitik in Deutschland. Mit Hilfe von Stimmen der in Teilens als rechtsextremistisch eingestuften AfD hat am Mittwoch ein Antrag zur Verschärfung der Migrationspolitik die Mehrheit im Parlament erhalten. Doch was wäre aus dem Fünf-Punkte-Plan von CDU/CSU rechtlich überhaupt umsetzbar? Der Europarechtsexperte Walter Obwexer von der Universität Innsbruck ordnete die Pläne der Union kurz und knapp ein.
In dem Nachrichtenmagazin ZiB 2 ging Obwexer den Plan der CDU/CSU-Fraktion Punkt für Punkt durch:
1. Dauerhafte Grenzkontrollen zu den deutschen Nachbarstaaten
„Dauerhafte Grenzkontrollen sind beim derzeitigen Stand des Unions-Rechts zweifelsohne nicht möglich“, betonte der Europarechtsexperte in der Sendung. „Sie sind maximal sechs Monate erlaubt und können maximal für weitere sechs Monate bis zu zwei Jahren verlängert werden.“ Dabei brauche es für jede Verlängerung wieder einen anderen, neuen Grund, der vorgelegt werden muss. Laut Obwexer könne das „einmal der Schutz der öffentlichen Ordnung und inneren Sicherheit sein, sowie derzeit geltend gemacht.“ Das bedeute aber auch: „Für die nächsten sechs Monate müsste Deutschland bereits einen neuen wichtigen Grund nennen und glaubhaft machen.“

2. Menschen ohne gültige Papiere sollen abgewiesen werden – auch, wenn sie einen Asylantrag stellen
Stimmt es, dass diese Forderung von CDU-Chef Friedrich Merz nicht nur gegen das deutsche Grundgesetz verstößt, sondern auch gegen Europarecht? „Das ist richtig, insbesondere was das Europarecht betrifft“, ordnet der Experte den zweiten Punkt ein. Das Europarecht sehe vor, dass Drittstaatsangehörige im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates, einschließlich an der Grenze, das Recht haben, einen Asylantrag stellen.
Der Mitgliedstaat, in dem Fall Deutschland, muss den Antrag anschließend prüfen. Wenn dabei festgestellt wird, dass ein anderer EU-Mitgliedstaat für den Schutzsuchenden verantwortlich ist, kann dieser an das entsprechende Land übergeben werden. Falls Deutschland zuständig ist, wird der Antrag im nächsten Schritt inhaltlich geprüft. Obwexer machte deutlich: „Eine Zurückweisung an der Grenze ist vom geltenden europäischen Asylsystem derzeit eindeutig nicht erlaubt und verboten.“
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3. Wer in Deutschland ausreisepflichtig ist, soll in Haft kommen
Die Inhaftierung von Ausreisepflichtigen sei theoretisch möglich, laut dem Europarechtsexperten aber nur unter „ganz bestimmten Voraussetzungen“. Diese Voraussetzungen seien zum Beispiel gegeben, wenn eine Fluchtgefahr besteht oder der Drittstaatsangehörige die Rückführung zu vereiteln versucht. „Dann ist Haft erlaubt, allerdings nur mit richterlicher Anordnung und für maximal sechs Monate“, so Obwexer.
Diese sechs Monate könnten unter sehr strengen Bedingungen um ein weiteres Jahr verlängert werden – „aber nur dann, wenn die erforderlichen Dokumente vom Drittstaat nicht kommen“. Zusammengefasst: Eine unbefristete Haft ohne dringenden Grund und ohne richterlichen Beschluss ist laut Unionsrecht nicht erlaubt.
4. Mehr Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan
Grundsätzlich sagt der Experte: nein. „Nur ganz eingeschränkt, wenn es in Syrien und Afghanistan Zonen geben sollte, in denen die Sicherheit dieser Menschen gewährleistet ist, ginge das nach der Genfer Flüchtlingskonvention.“ Doch selbst das sei im Rahmen des geltenden Unionsrechts derzeit nicht erlaubt. Dazu müsse „nach Rechtssprechung des Gerichtshofes in Luxemburg der gesamte Staat sicher sein“. In Afghanistan ist das laut Obwexer derzeit nicht der Fall. In Syrien scheine sich die Situation zumindest in diese Richtung zu bewegen.
5. Für ausländische Straftäter und Gefährder droht ein unbefristeter Ausreise-Arrest
Die Antwort auf diese Forderung von Friedrich Merz geht bereits aus Punkt 3 hervor. Eine unbefristete Haft ohne richterlichen Beschluss ist demnach auch in diesem Fall nicht möglich. Das „würde gegen das Grundrecht auf persönliche Freiheit verstoßen“, setzt der Experte nach.
Wie es doch noch klappen könnte: Merz bräuchte Notstandsklausel im EU-Recht, um Asylpläne umzusetzen
Die Maßnahmen will Merz nach eigener Ankündigung sofort umsetzen, wenn er neuer Bundeskanzler werden sollte. Dass seine geplante Asylpolitik gegen mehrere EU-Gesetze verstößt, stört ihn wohl nicht. In den CDU-Anträgen heißt es, dass es die Pflicht Deutschlands sei, jetzt nationales Recht vorrangig anzuwenden, weil das europäische nicht funktioniere. Einer Einordnung von tagessschau.de zufolge könnte die Union mit Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) argumentieren. Diese erlaubt Ausnahmen, das Europarecht in diesen Asyl- und Migrationsfragen hinten anzustellen.
Auch laut Obwexer ist die Umsetzung der schärferen Migrationspolitik nur möglich, wenn Deutschland sich auf die Notstandsklausel im EU-Recht stützt. Diese verlange jedoch drei Voraussetzungen:
- Einen Nachweis, dass es eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gibt. Hier sei der Gerichtshof sehr streng.
- Einen Nachweis, dass alle EU-rechtlich gegebenen Möglichkeiten bereits genutzt wurden, um die Ordnung und Sicherheit zu schützen. Das sei aktuell nicht der Fall.
- die Forderung von verhältnismäßigen Maßnahmen. Vor allem dauerhafte Grenzkontrollen an allen Übergängen sowie unbefristete Haft seien „keinesfalls verhältnismäßig“, so die Einschätzung des Experten.
Sollte es dazu kommen, hätten Drittstaatsangehörige das Recht, sich gegen die Maßnahmen vor deutschen Gerichten zu wehren. Diese wiederum seien verpflichtet, dem Unionsrecht Vorrang vor dem deutschen Recht zu geben. Zudem könne die EU ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland in die Wege leiten, im Ernstfall mit finanziellen Sanktionen. (nz)