Merz muss pokern: An diesen Knackpunkten kann ein „Groko“-Deal platzen
Migration, Milliarden, Macht: Friedrich Merz will mit der SPD eine Koalition schmieden. Beide Parteien suchen im möglichen Miteinander ihre Identität.
Berlin – „Ich biete Ihnen an, lassen Sie uns das zusammen machen. Wir müssen dieses Problem lösen“, sagte Friedrich Merz. Mit „Problem“ meinte der damalige Oppositionsführer der CDU die Migration und sein Adressat war der damalige Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Jetzt haben sich die Vorzeichen geändert. Merz streckt wieder die Hand aus, aber: „Bundeskanzler Olaf Scholz, der Merz im Wahlkampf hart angegangen war, wird bei den Koalitionsverhandlungen keine Rolle mehr spielen“, stellt die Frankfurter Allgemeine Zeitung (F.A.Z.) fest. Damit bleiben die Koalitionsverhandlungen frei von persönlichen Animositäten zweier unterschiedlicher Alpha-Männer – dennoch steckt ohnehin genug Züdstoff drin.
Vor allem, weil die „GroKo“ eher eine „MiKo“ sein wird: Die SPD ist mit 16,41 Prozent der Wählerstimmen lediglich drittstärkste Kraft hinter der AfD. Die Sozialdemokraten werden also auch in der Regierung eher am Katzentisch sitzen und mangels Alternative für die CDU eher als das kleinste Übel angesehen werden. Eine Koalition mit der SPD sei keine „Liebesehe“, wie Jasmin Riedl gegenüber dem ZDF geäußert hat. Die Politikwissenschaftlerin von der Universität der Bundeswehr in München macht vor allem den Haushalt und das Soziale als mögliche Hürden einer Einigung aus.
„GroKo“ und Migration: „Bei keinem anderen Thema so verhakt wie bei diesem“
Aber die SPD-Fraktion geißelt Friedrich Merz vor allem in der Frage illegaler Migration als Fürst der Dunkelheit: „Ein CDU/CSU-Antrag zur Migrationspolitik hat mit den Stimmen der AfD-Fraktion eine Mehrheit im Bundestag bekommen. Die Unionsfraktion kündigt damit den Grundkonsens auf, mit Rechtsextremen nicht gemeinsame Sache zu machen“ schreibt die Fraktion auf ihrer Homepage und sieht darin einen „historischen Tabubruch“; schwer vorstellbar, dass zwischen den beiden Parteien gerade in dieser Frage ein Konsens möglich wird.
„Union und SPD lehnen sich aneinander wie zwei Betrunkene.“
„Bei keinem anderen Thema hatten sich Union und SPD im Wahlkampf so verhakt wie bei diesem“, urteilen die F.A.Z.-Autoren Mona Jaeger und Matthias Wyssuwa. Wir können nichts machen, was am Ende dazu führt, dass Deutschland faktisch die Grenzen zumacht“, hatte Lars Klingbeil (SPD) in einem Interview mit der Bild gesagt. Schwer vorstellbar, dass der neue Shooting-Star als möglicher Partei- und Fraktionsvorsitzender in einer Koalition davon abweiche. „Es gibt eine rote Linie, über die gehen wir nicht rüber“.
Obwohl Friedrich Merz von seinen ursprünglichen Plänen wie beispielsweise umfangreicher Abschiebehaft inzwischen abgerückt ist, sehen Kommentatoren auch seine Beweglichkeit eingeengt: „Ein Punkt aber, da sind die Signale klar, bleibt für die Union unverhandelbar: die Zurückweisungen von Asylsuchenden an den deutschen Grenzen“, wie die F.A.Z. festhält. Ein zweites Minenfeld eröffnet sich nach dem Kassensturz und einer Finanzplanung. „Wir müssen uns zunächst einmal jetzt darauf konzentrieren, für die nächsten drei bis vier Jahre zwei Prozent mindestens zu erreichen“, sagt Friedrich Merz zu seinen Ambitionen für eine Konsolidierung des Verteidigungshaushaltes; oder dessen Ausbau. Möglichst ohne Schulden.
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Wahlsieg der CDU: Die SPD muss in etwaigen Koalitionsverhandlungen das „S“ im Namen verteidigen
Das Geld wird er holen müssen aus der Kultur, aus der Bildung, aus dem Sozialen. Das Bürgergeld ist Merz ein Dorn im Auge und damit trifft er ein Herzensprojekt der Sozialdemokraten; das Bürgergeld mit seinem Schwerpunkt auf Förderung gilt als eines der wenigen aus dem Ampel-Koalitionsvertrag realisierten Projekte. Merz will das Fordern wieder in den Vordergrund rücken und die Sanktionen wieder verschärften – würde die SPD das mittragen, wäre sie wieder näher herangerückt an deren ungeliebtes Hartz-IV-Modell und würde in ihrer Stammwählerschaft Sympathien verspielen, beziehungsweise gegenüber der wieder erstarkten Linken deutlich an Kontur verlieren.
Die SPD muss in etwaigen Koalitionsverhandlungen also das „S“ im Namen verteidigen – das Soziale. Allerdings zählt der Machterhalt wohl mehr, wie der Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich Ende vergangenen Jahres in ZDF heute hatte verlauten lassen: Demnach ließe sich seine Partei zu einer Reform des Bürgergelds hinreißen, äußerte der SPD-Politiker – er finde richtig, nicht durchgehen zu lassen, wenn jemand das System ausnutze. Und gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) habe er eingeräumt, ein Teil der Ukraine-Flüchtlinge habe offenbar „einen Mehrwert abgeschöpft, der nicht gerechtfertigt“ sei. „Sollten wir Gelegenheit dazu haben, würden wir in einer neuen Regierung nachsteuern“, sagte Mützenich dem ZDF.
Nachsteuern müsste eine der Parteien auch bei der Finanzierung: die Union. Mehr Kredite seien kein völliges Tabu mehr, hatte der Tagesspiegel bereits vor der Bundestagswahl veröffentlicht und den damaligen Kanzler-Anwärter aus dem TV-Duell zitiert: „Man kann über alles diskutieren, aber das kommt sicher nicht am Anfang. Am Anfang kommt das Einsparpotenzial, kommt das Wachstum und kommen wirklich mal Umschichtungen im Haushalt, die dringend notwendig sind.“ Das birgt Konflikte mit der SPD, die bereits unter Olaf Scholz niemandem etwas wegnehmen und Widersprüche in der Finanzierbarkeit mit noch mehr Geld deckeln wollte. Geld, das vorn und hinten gefehlt hat.
CDU contra SPD: „Durch Vermittlung von Bürgergeld-Beziehern in Arbeit ließen sich viele Milliarden sparen“
„Allein durch die Vermittlung von Bürgergeld-Beziehern in Arbeit und durch eine Reduzierung der Asyl-Migration ließen sich deshalb schon viele Milliarden sparen“, sagte Haushaltspolitiker Matthias Middelberg dem Tagesspiegel. Das allerdings lässt aufhorchen. Schließlich haben gerade die Schwierigkeiten in der Vermittlung beispielsweise von langzeitarbeitslosen Menschen die Einführung des Bürgergeldes scheinbar aufgezwungen, wie die Ampel-Regierung glauben machte. Der Anreiz war ja das Novum dieser Reform. Insofern erschließt sich der Optimismus des Unionsfraktionsvize nur schwerlich. Die Re-Reformierung des Bürgergeldes würde insofern den herausfordernden Zustand der Hartz-IV-Periode neu beleben.
„Wer eine große Koalition halbwegs erfolgreich führen will, muss eher gelassen sein“, hat 2017 Kurt Kister geschrieben. „Ist er schwach wie Kurt Georg Kiesinger, wird sein Führen nicht von langer Dauer sein. Ist er (oder sie) dagegen zu deutlich alphatierig, kommt es viel zu schnell und viel zu häufig zu großen Konflikten innerhalb der Koalition“, so der Autor der Süddeutschen Zeitung. Anders als mit Angela Merkel und Olaf Scholz werden jetzt ausgefeiltere Egos miteinander verhandeln.
Bürde des Bundeskanzlers: Die „GroKo“ ist eine nostalgische Illusion alter Bundesrepublikaner
Und dennoch hat eine große Koalition in Deutschland noch nie den großen Wurf geschafft. Eine große Koalition deckt die Mitte ab, den größten gemeinsamen Nenner. Echte Quantensprünge sind kaum zu verzeichnen, auf echte Innovation wird zugunsten der Stabilität verzichtet: „Was sich im ehrwürdigen Begriff der Großen Koalition spiegelt, ist eine nostalgische Illusion alter Bundesrepublikaner – nämlich jene, dass CDU/CSU und SPD als große Volksparteien die ganze Bandbreite der Gesellschaft abdecken“, schreibt Andreas Rosenfelder. Der Welt-Kommentator sieht in dieser Allianz die Verschmelzung der in der Bevölkerung vorhandenen Widersprüche.
Eine der Herausforderungen einer neuen „GroKo“ wäre, dass die Illusion einer breiten Mitte an den Rändern Farbe und Kontur erhält. Die AfD auf Rechts wäre die eigentliche Junior-Partnerin einer großen Koalition, die diesen Namen verdiente. Die Linke auf Links hat sich bis auf rund drei Prozentpunkte an die bisherigen politischen Revolutionäre der Grünen angenähert. Darüberhinaus hätte die „GroKo“ 328 Sitze, also nur zwölf über einer einfachen Mehrheit – der Spielraum für abweichende Meinungen ist also gering. Zur qualifizierten Zweidrittel-Mehrheit fehlt viel. Wenn sich die Oppositionsparteien quer stellten, wäre die Reform der Schuldenbremse beispielsweise passé.
Nico Fried findet im Spiegel denn auch einen drastischen Vergleich für zwei Koalitionäre, die sich offenbar in eine toxische Beziehung stürzen: „Union und SPD lehnen sich aneinander wie zwei Betrunkene.“