Nächste Zeitenwende für Bundeswehr: Merz will massiv reformieren

Mehr Geld, mehr Rohre, mehr (Wehr-)Pflicht, mehr Taurus. Friedrich Merz‘ CDU will Putin Kontra geben. Zwei CDU-Abgeordnete hoffen auf Ministerposten.
Berlin – „Die zwei Jahre, die mir zur Verfügung standen, sind nicht genug“, sagte Boris Pistorius (SPD) Mitte Januar gegenüber dem Sender n-tv. Der unter Ex-Bundeskanzler Olaf Scholz zum Verteidigungsminister Deutschlands Spätberufene, erklärte weiterhin, dass er nach der nächsten Bundestagswahl als Verteidigungsminister weitermachen wolle, auch eine Zusammenarbeit unter einem Kanzler Friedrich Merz (CDU) schloss er nicht aus. Pistorius oder sein Nachfolger stehen vor einer Mammutaufgabe – Pistorius hat sich hohe Beliebtheitswerte erkämpft, sein Nachfolger wäre ob der Kriegsgefahr durch Wladimir Putins Invasionstruppen auch kaum zu beneiden.
Lars Klingbeil könnte den SPD-Parteivorsitz gegen das Verteidigungsministerium eintauschen, wenn Pistorius ins Innenministerium wechsle, vermuten manche Medien. Sollten die Sozialdemokraten das Verteidigungsressort abgeben, bringt Der Westen zwei CDU-Politiker ins Spiel: Johann Wadephul aus Schleswig-Holstein gilt dem Medium als der wahrscheinlichste Kandidat der Union. In der vergangenen Legislaturperiode war der Bundestagsabgeordnete stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit Zuständigkeit für die Bereiche Auswärtiges, Verteidigung, Interparlamentarische Konferenz für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) und Europarat.
Bundeskanzler dezidiert: Deutschland beziehungsweise Europa müssten „den Krieg nach Russland tragen“
Auch dem Unions-Abgeordneten Roderich Kiesewetter aus Baden-Württemberg werden Ambitionen nachgesagt. Gleichermaßen wie Wadephul ist Kiesewetter Reserveoffizier. Wadephul als Major der Reserve, Kiesewetter als Oberst. Er hat als Artillerist gedient und zum Ukraine-Krieg eine dezidierte Position: Bereits Anfang 2024 hatte Kiesewetter gegenüber der Deutschen Welle (DW) geäußert, Deutschland beziehungsweise Europa müssten „den Krieg nach Russland tragen“. Er wolle auf russischem Territorium die Schaltzentralen angegriffen wissen, also dorthin zurückschlagen, wo der Ukraine-Krieg geplant würde. Kiesewetter hält insofern Russlands Verteidigungsministerium und die Zentrale des Geheimdienstes für legitime Ziele.
„Auch die zusammengeschrumpfte Bundeswehr hat heutzutage mehr Panzer (300) als Geschütze (100). Die Armee wird in den kommenden Jahren also ihre Feuerkraft deutlich erhöhen müssen, um für den Artilleriekrieg der Zukunft gewappnet zu sein“
Auch mit Taurus-Marschflugköpern, wie er der DW gegenüber geäußert habe. Ihm zufolge hätte die Ukraine die Waffen schon längst geliefert bekommen sollen. Darin ist er sich mit dem wahrscheinlich neuen Bundeskanzler Friedrich Merz einig. Wie Merz zuletzt im Oktober in der ARD-Sendung Caren Miosga betont hatte, würde er unter der Bedingung einer einheitlichen Linie in Europa beziehungsweise in Übereinstimmung mit den USA die Marschflugkörper aushändigen. Er hatte das abhängig gemacht von der Aufhebung der Reichweitenbegrenzung US-amerikanischer Waffen – was ja inzwischen erfolgt ist.
„Das müssen wir tun“, sagte Merz ebenfalls gegenüber Caren Miosga und meinte eine massive Erhöhung des Verteidigungshaushalts. „Wir müssen uns zunächst einmal jetzt darauf konzentrieren, für die nächsten drei bis vier Jahre zwei Prozent mindestens zu erreichen“, sagt Friedrich Merz und geht damit klar auf Konfrontationskurs zu Donald Trumps Forderung an die Partnerländer, künftig fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben.
Meine News
Ukraine-Krieg deckt die Mängel auf: „Die Bundeswehr pfiff schon 2001 auf dem letzten Loch“
„Die Bundeswehr pfiff schon 2001 auf dem letzten Loch“, sagte Sönke Neitzel im ZDF. Jahrzehntelang sei es im Grunde genommen nicht um Rüstungsbeschaffung für die Bundeswehr gegangen, erläuterte der Militärhistoriker der Universität Potsdam. „Wenn Sie eine Bundeswehr haben, die nicht kämpfen muss, kann sie in Mali oder Afghanistan auch in Friedensmissionen eingesetzt werden. Richtig kämpfen mit Panzern und Flugzeugen musste sie nicht.“
Und obwohl der Generalinspekteur die Regierung zur Eile antreibt, sieht auch Carsten Breuer eher die Fähigkeiten als die Finanzen im Vordergrund stehen, wie er gegenüber n-tv nochmals deutlich gemacht hat. Selbst wenn Geld fließen würde, müsste die Rüstungsindustrie auch in der Lage sein, entsprechend zu produzieren: „Ich glaube, man muss das Ganze schrittweise angehen. Das tun wir jetzt ganz vernünftig. Ob es dann am Ende zwei Prozent, drei Prozent „oder mehr sein werden, das wird man sehen“, sagte Breuer.
Anfang des Jahres hatte der Spiegel hochgerechnet, was fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts bedeuten könnten. Mit 90,5 Milliarden Euro hatte Deutschland mit 2,12 Prozent demnach im vergangenen Jahr erstmals das Nato-Ziel erreicht. Mit drei Prozent mehr könnten 118,8 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung stehen, wie das Nachrichtenmagazin geschätzt hat. „Damit könnte man ganze 4.068 Kampfpanzer Leopard 2A8 kaufen oder 33.942 Taurus-Marschflugkörper. Oder wenn die Luftwaffe verstärkt werden soll: 501 Tarnkappen-Mehrzweckkampfjets F-35 wären so drin“, schreibt Autor Malte Göbel.
Merz‘ große Baustelle: Artillerie bis heute eine klaffende Lücke in der Kriegstüchtigkeit der Bundeswehr
Damit nicht genug, wie bereits im vergangenen Jahr Eva Högel (SPD) gegenüber dem Deutschlandfunk kritisiert hatte: Verschimmelte Duschen, baufällige Unterkünfte, gesperrte Truppenküchen, hat die Wehrbeauftragte des Bundestages bemängelt. Die Kasernen seien in desolatem Zustand und neben Großgerät fehle eben auch viel kleines, beispielsweise Nachtsichtgeräte und digitale Funkgeräte.
In seinem Buch „Deutsche Krieger“ stellt Militärhistoriker Neitzel dar, dass die Bundeswehr ihrem guten Ruf immer hinterher gelaufen ist: Selbst im Kalten Krieg sei sie nie so leistungsfähig gewesen, wie sie sein wollte: „Schwachstellen gab es viele, etwa bei der Mobilmachung, der Sanitätsversorgung, der Artillerie – Letzteres im Übrigen eine Parallele zur Wehrmacht“, wie er schreibt; und was bis heute eine klaffende Lücke in der Kriegstüchtigkeit der Bundeswehr bleibt – gegenüber n-tv hat er noch 2022 geäußert, dass die Artillerie der Bundeswehr faktisch kaum vorhanden sei.
Zeitenwende nach Bundestagswahl: Armee wird ihre Feuerkraft deutlich erhöhen müssen
Er machte deutlich, dass der Ukraine-Krieg die Blaupause für eine Bundeswehr der Zukunft bilden müsse und betonte wieder die Bedeutung der Artillerie. Wie er schlussfolgerte, müsse sich eine deutsche Streitmacht eventuell von ihrer Doktrin der Beweglichkeit umorientieren zur Feuerkraft – im Kalten Krieg habe die Bundeswehr zwar 4.000 Panzer besessen, dagegen nur 1.000 Geschütze. In einem kleineren Maße ist dieses Verhältnis gleich geblieben: „Auch die zusammengeschrumpfte Bundeswehr hat heutzutage mehr Panzer (300) als Geschütze (100). Die Armee wird in den kommenden Jahren also ihre Feuerkraft deutlich erhöhen müssen, um für den Artilleriekrieg der Zukunft gewappnet zu sein“, sagt Neitzel.
Auch in der Beschaffung kritisiert Neitzel den „verbürokratisierten Friedensbetrieb“, in dem „von besonderer Eile“ nichts zu spüren sei. Dagegen galoppiert die russische Kriegswirtschaft unbeirrbar voran. Im ihren Wahlprogramm hatte die CDU/CSU angekündigt, die Axt an das Beschaffungsamt der Bundeswehr zu legen – im Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) die Prozesse spürbar zu straffen; überjährige Großprojekte sollen herausgelöst und in eine andere Agentur überführt werden; Planungssicherheit der Haushaltsmittel sei dafür ebenso nötig.
Wahlprogramm der CDU: „Aufwachsende Wehrpflicht einführen“
Ein Plus plant Merz in der Truppenstärke: „Aufwachsende Wehrpflicht einführen“, heißt das im Programm-Jargon; die Union setzt damit auf ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr, dass auch eine Musterung beinhalten soll. Wer aus dem Kreis der Gemusterten seine Bereitschaft zum Wehrdienst äußere, würde dann auf seine Tauglichkeit überprüft und im Rahmen der Personalplanung für den Truppendienst eingesetzt werden. Wie bereits vor Aussetzung der Wehrpflicht 2011 erlaubt die Idee der Union auch das ersatzweise Engagement in einer „Blaulichtorganisation“ wie dem Technischen Hilfswerk – damit soll neben dem militärischen Dienst auch die zivile Verteidigungsfähigkeit ausgebaut werden.
Wie Merz immer wieder durchblicken lässt, habe die Verteidigung in einer durch ihn geführten Regierung Priorität; allerdings hat Zeit Online moniert, dass gerade er eine plausible Finanzierung en detail schuldig bleibe – eine etwa so einfache, wie seine 2004 beispielhaft auf einem Bierdeckel vorgeschlagene Einkommenssteuer-Berechnung. Laut Zeit-Kommentator Fabian Reinbold erwarteten Experten einen Bedarf von 300 Milliarden Euro; deren Quelle würde Merz aktuell verschweigen, so Reinhold.
Allerdings scheinen Merz die Kosten auch eher marginal, wie er im Oktober gegenüber Caren Miosga erläutert hat, denn er rechnet anscheinend definitiv mit einer drohenden Konfrontation Russlands mit der Nato: „Deutschland und der Westen hätten sich geirrt, als angenommen wurde, Putin werde die Ukraine nicht überfallen“, sagte Merz. „Wir dürfen uns nicht noch einmal irren. Der Preis (eines neuerlichen Irrtums) wäre sehr viel höher.“