Angst vor dem Blechgeschoss: Warum Radwege kaum gegen Autounfälle geschützt sind

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Autowrack schlägt auf Radweg ein: Ein Trümmerfeld bot sich Ende Januar 2024 nach einem schweren Unfall an der B 304 bei Baldham. © stefan Roßmann

Leitplanken an Bäumen und Straßengräben, nicht aber zum Schutz von Radwegen: Weshalb auf freier Strecke welche Schutzvorrichtungen gebaut werden.

Landkreis – Es kann einem schon mulmig werden, wenn man von Ebersberg nach Markt Schwaben durch den Forst radelt, während wenige Meter neben dem Radweg der Verkehr vorbeipfeift. Auf kaum einer anderen Strecke im Landkreis wird so riskant überholt, immer wieder kommt es zu schweren Unfällen, bei denen das Blech nur in alle Richtungen fliegt.

Leitplanken zwischen Straße und Radweg auch bei Neubauten selten

Auf dem Radweg daneben ist man im Fall des Unfalls außer Kontrolle geratenen Fahrzeugen schutzlos ausgeliefert. Trennende Leitplanken gibt es kaum. Das gilt auch für die ebenfalls viel befahrenen Wege entlang der B 304 sowie für Radweg-Neubauten, etwa die Verbindung von Markt Schwaben Richtung Finsing. Über die frisch instandgesetzte Forst-Strecke ohne Schutzvorrichtung für den Radweg schreibt ein EZ-Leser aus Ebersberg der Redaktion: „Als ich das erste Mal nach der Sanierung diese Straße entlang gefahren bin, war ich entsetzt.“ Bei den Leitplanken werde für Fußgänger und Radfahrer nicht mitgeplant, so seine Kritik.

Etwas Abstand ja, Schutzbeplankung nein: Radweg von Markt Schwaben nach Finsing, eröffnet im September 2023.
Etwas Abstand ja, Schutzbeplankung nein: Radweg von Markt Schwaben nach Finsing, eröffnet im September 2023. © Johannes Dziemballa

Das Staatliche Bauamt Rosenheim, zuständig für die Bundes-, Staats- und Kreisstraßen im Landkreis Ebersberg antwortet ausführlich auf eine diesbezügliche Anfrage der Ebersberger Zeitung. Die Quintessenz: Der Schutz von Fuß- und Radwegen ist Abwägungssache, und natürlich gibt es dafür Richtlinien. Ob eine Leitplanke, auf Amtsdeutsch „Fahrzeug-Rückhaltesystem“ gebaut wird, hänge etwa vom örtlichen Tempolimit, der „Abkommenswahrscheinlichkeit“ und dem durchschnittlichen Verkehrsaufkommen ab. Eine Rolle spiele aber auch, ob der entsprechende Geh- und Radweg intensiv benutzt wird.

Staatliches Bauamt erläutert Rechtssituation und Abwägungsgründe

Die Behörde beruft sich auf Rechtssprechung, die etwa bei mehr als 50 Radfahrern pro Spitzenstunde, also zur radverkehrsreichsten Zeit, von einem „stark frequentierten“ Weg ausgehe. „Dies bedeutet, dass erst nach Vorliegen bestimmter Werte (...) eine Entscheidung (...) nach sorgfältiger Abwägung und im Einzelfall zu treffen ist.“ An den jüngst umgestalteten Strecken durch den Forst und nördlich von Markt Schwaben etwa habe es entsprechende Ortstermine und Abstimmungen mit den Fachbehörden gegeben. Offenkundig mit dem Ergebnis, dass es dort keinen zusätzlichen Schutz für Fußgänger oder Fahrradfahrer braucht.

Innerorts schleudert ein Auto Ende Dezember 2023 in Vaterstetten auf den Radweg an der B 304.
Innerorts schleudert ein Auto Ende Dezember 2023 in Vaterstetten auf den Radweg an der B 304. © Thomas Gaulke

Die abschnittsweise installierten Leitplanken, etwa an der Hubertuskappelle mitten im Forst, seien nicht zum Schutz des Gebäudes oder von Bäumen gedacht. „Hierbei geht es in erster Linie darum, den Verkehrsteilnehmer im Falle eines Abkommens von der Fahrbahn vor schweren Verletzungen zu schützen“, erläutert die Sprecherin des Straßenbauamts. Das gelte bei „nicht verformbaren Hindernissen, besonders tiefen Gräben, Gewässern usw.“ Wenn „fehlerverzeihender Seitenraum“ fehle.

„Fehlerverzeihender Seitenraum“: Wenn die Fahrt ins Bankett Leben retten kann

Und genau dieser „fehlerverzeihende Seitenraum“ sei, unabhängig von der Kostenfrage, ein Faktor, der gegen die Installation von Schutzplanken am Straßenrand sprechen könne. Der Grünstreifen und der (in dem Moment hoffentlich unbenutzte) Radweg gelten also etwa als Notfall-Ausweichraum, um etwa einem Frontalzusammenstoß im Überholverkehr ausweichen zu können, statt durch die Leitplanke zum Verbleib auf der Straße gezwungen zu sein. Vulgo: Lieber in den Straßengraben als in den Gegenverkehr. Es solle „durch Fahrzeug-Rückhaltesysteme auch nicht zu einer weiteren Gefährdung von Verkehrsteilnehmern kommen“, argumentiert das Staatliche Bauamt.

Abgesichert ist die Hubertus-Kapelle im Ebersberger Forst. Der Radweg gegenüber ist nicht mit Leitplanken von der Staatsstraße getrennt. sro
Abgesichert ist die Hubertus-Kapelle im Ebersberger Forst. Der Radweg gegenüber ist nicht mit Leitplanken von der Staatsstraße getrennt. sro © stefan rossmann

Fälle betroffener Radfahrer und Fußgänger sind rar, aber es gibt sie

Das EZ-Archiv spuckt bei der Recherche in jüngerer Vergangenheit keinen Fall im Landkreis Ebersberg aus, bei dem ein Fußgänger oder Radfahrer von einem unkontrollierbaren Unfallauto „abgeräumt“ worden wäre. Allerdings gab es allein in den vergangenen Monaten mehrere Beispiele, wo zum Glück niemand auf dem Fuß- oder Radweg unterwegs war, sonst wäre es wohl schlimm ausgegangen. Im Netz finden sich vereinzelt Berichte solcher Unglücke andernorts in Deutschland.

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Wohnwagen gerammt und auf den Radweg geschleudert: Unfall bei Steinhöring im Juli 2023.
Wohnwagen gerammt und auf den Radweg geschleudert: Unfall bei Steinhöring im Juli 2023. © josef Ametsbichler

Polizeistatistik: Unfälle mit Fuß- und Radverkehr selten auf freier Strecke

Die Zahlen der Polizei untermauern diese Tendenz: Meistens geht es glimpflich aus. in den Jahren 2022 und 2023 habe es 141 Unfälle zwischen Kfz und Radfahrern gegeben, dazu 62 mit Kraftfahrzeugen und Fußgängern. Von diesen 203 Kollisionen fanden 19 an Fuß- oder Radwegen außerorts statt, so das für den Landkreis zuständige Polizeipräsidium Oberbayern Nord in Ingolstadt. Bei insgesamt 436 Unfällen habe es 78 schwer verletzte Fußgänger und Radfahrer gegeben. Es starb zum Glück niemand.

„Unfallursachen werden etwa hälftig von den Zu-Fuß-Gehenden und von den Kraftfahrenden gesetzt“, so ein Polizeisprecher auf Anfrage der Ebersberger Zeitung. Auch Radfahrer seien immer teils selbst für Kollisionen verantwortlich. Verletzungskritische Unfälle mit den schwächsten Verkehrsteilnehmern geschehen demnach in Kreuzungs- und Querungsbereichen und nur selten auf freier Strecke.

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