Neue Bahn-Chefin macht große Versprechen - doch das "Tal der Tränen" wird bleiben

Wahrscheinlich gehört sie mittlerweile zu den Standard-Themen für Smalltalk, die bescheidene Performance der Deutschen Bahn (DB). Es wäre naheliegend: Dürften doch zahlreiche Menschen zu spät zu Verabredungen mit Freunden, Vorstellungsgesprächen oder anderen Terminen kommen, eben wegen der DB.

Unpünktlichkeit und Zugausfälle gehören schon lange zum Alltag vieler Bahnfahrer. Das bestätigen Zahlen, die der Staatskonzern auf seiner Webseite veröffentlicht hat. Im September 2025 kamen lediglich 61,9 Prozent der Züge im Fernverkehr rechtzeitig an. Im Regionalverkehr lag der Wert bei 87,2 Prozent. An manchen Tagen im Jahr 2025 erreichten nur 40 Prozent der Fernzüge pünktlich ihr Ziel.

Bahnreisende erwartet weiteres "Tal der Tränen"

Dass sich die Dinge wohl nicht so bald zum Guten wenden werden, zeigt ein aktuelles "Bild"-Interview mit Bahn-Chefin Evelyn Palla. Sie sprach zwar von einem "Neuanfang" und davon, die Bahn auf "links zu drehen" zu wollen. Das hört sich im ersten Moment vielversprechend an.

Allerdings ging es hauptsächlich um Verwaltungsaspekte und die Sauberkeit in Zügen und an Bahnhöfen. Die Pünktlichkeit der DB, die den meisten Reisenden vermutlich am wichtigsten ist, kommentierte sie nur knapp. 

"Leider müssen wir unsere Kundinnen und Kunden um Geduld bitten. Die Modernisierung der Bahn ist ein Marathon, kein Sprint", sagte Palla, die seit dem 1. Oktober 2025 im Amt ist.

Sie meint damit die sogenannte "Generalsanierung", die die Deutsche Bahn gerade vornimmt. Die marode Infrastruktur, die als Hauptgrund für die Unpünktlichkeit vieler Züge gilt, soll auf Vordermann gebracht werden. Der Prozess zieht sich noch bis 2036 hin und beinhaltet die Vollsperrung vieler zentraler Strecken.

Vollsperrungen als "Zwangsumerziehungsprogramm"

Bahnreisende müssen sich also auf weitere Jahre voller Verspätungen einstellen, ehe die Situation besser werden kann. Das prognostizierte der Wirtschaftswissenschaftler Sebastian Kummer bereits Ende 2024 im Gespräch mit dem "Spiegel". Er sprach von einem erneuten "Tal der Tränen", das vielen Kunden bevorsteht.

Auch Arno Luik, ein bekannter Journalist und Bestseller-Autor, der sich als Bahn-Experte einen Namen gemacht hat, sieht keine rosige Bahn-Zukunft. Pallas Aussagen liest er ernüchtert. In Luiks Augen wiederholt sie nur, was bereits ihre Vorgänger beim Amtsantritt versprochen haben. Kurzum: Dass jetzt alles besser werden soll.

Besonders kritisch sieht der Journalist die Vollsperrung zahlreicher Hauptstrecken im Rahmen der Generalsanierung, an der Palla festhält. Es ist ein beispielloser Vorgang in Europa. Denn: In der Regel finden Sanierungsarbeiten unter "rollendem Rad" statt, also mit Hilfe von abschnittsweisen einseitigen Sperrungen.

Reisende
Reisende am Berliner Hauptbahnhof. Die Unpünktlichkeit der Bahn ist für viele ein großes Problem. Imago

"Diese Vollsperrungen, abgesehen davon, dass sie Verschleuderung von Steuergeldern sind, sind ein Zwangsumerziehungsprogramm: Sie machen aus Bahnkunden Autofahrer", sagt Luik zu FOCUS online. Dass die Renovierungsarbeiten teuer sind, steht fest. Allein im vergangenen Jahr flossen 18,2 Milliarden Euro von Bund und Ländern in die Schienen­infrastruktur.

Unpünktlichkeit der DB sorgt auch im Ausland für Ärger

Grundsätzlich findet auch Luik: Das Wichtigste für Reisende ist Pünktlichkeit. Ohne sie wird Bahnfahren zum Stress. "Wenn ich höre, dass bis 2029 bei den Zügen eine Pünktlichkeitsquote von 70 Prozent erreicht werden sollen, dann wird klar, wohin die Reise geht: Richtung Prellbock. Unambitionierter lässt sich kaum agieren", sagt er.

Die Unzuverlässigkeit der Deutschen Bahn sorgt längst nicht nur hierzulande, sondern auch im Ausland für Frust. Mit teils harten Konsequenzen. Die Schweizer Bahnen ziehen deutsche Züge bei zu großer Verspätung aus dem Verkehr, um ihr eigenes System nicht durcheinanderzubringen. Manche Bahnen, die eigentlich nach Interlaken Ost und Zürich weiterfahren sollten, enden jetzt sogar in Basel.

Fachleute sehen den Grund für die Unpünktlichkeit der DB übrigens nicht allein in maroden Schienen, Brücken und Stellwerken. Sie prangern auch mangelnde Kontrollen beim Einsatz der zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel an.

Mitusch: Bahn gaukelte vor, alles im Griff zu haben

"Über Jahrzehnte hat die DB Geld vom Staat gewollt und bekommen, aber effektive und unabhängige Kontrollen der Qualität und des effizienten Mittelein­satzes abgewehrt", sagte Kay Mitusch, Professor für Netzwerkökonomie am Karls­ruher Institut für Technologie (KIT), der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ).

Die Bahn habe vorgegaukelt, alles im Griff zu haben und der Bund habe das "gern geglaubt". Mitusch glaubt, das Geld, das das Staatsunternehmen erhalten hat, wurde schlecht eingesetzt oder sogar verschwendet. "Die langjährige Erfahrung der DB lautet, dass sie genau dann mehr Geld vom Bund erhält – und ohne Kon­trollen –, wenn sie schlechtere Qualität und größere Finanzierungsprobleme produziert."

Der Ingenieur Markus Hecht brachte weitere Gründe für die Unpünktlichkeit der Bahn ins Spiel. Etwa den schlechten Umgang mit Fahrplanreserven sowie den mangelhaft organisierten Fahrgastwechsel in den ICEs. Beispielsweise die Türöffnungssteuerung hält er für unzulänglich.

Am Ende hören sich Pallas Worte vom "Neuanfang" bei der Deutschen Bahn zu schön an, um wahr zu sein. Schon jetzt scheint klar, dass sich das zentrale Problem der hiesigen Züge - ihre teils massive Unpünktlichkeit - nicht so bald lösen wird. Oder wie Luik es formuliert: "Ohne Hoffnung hoffe ich, dass es besser wird."