Berlin. Kreuzberg. 9 Uhr in der Früh. In der Nähe des Drogen-Hotspots Görlitzer Park richten sich Händler und Gewerbetreibende, Späti-Verkäufer und Cafébetreiber auf den Tag ein. Viel ist noch nicht los auf den Straßen. Nur am „Görli“ selbst stehen Drogendealer, augenscheinlich afrikanischer Provenienz im Pulk vor dem Eingang zu einem großen Kinderspielplatz.

Autoteile-Händler gibt Merz recht, hat aber einen Hinweis an ihn
Ist es dieses “Stadtbild”, welches Kanzler Friedrich Merz meint? Merz lobte sich jüngst in einer Pressekonferenz dafür, die illegale Migration um 60 Prozent eingedämmt zu haben. Und dann fiel er, der Satz: "Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem.“ Meinte er damit Orte wie den "Görli“? Oder gar ganz Kreuzberg, mit seinen Döner-Buden, Shisha-Bars und vielen ausländischen Einwohnern? Das fragen sich auch die Einheimischen hier.
In der Nähe betreibt der 45-jährige Hakan Bayraktar, ein in Deutschland geborener Türke, seit sechs Jahren einen Autoteile-Handel. Vor seinem Laden zeigt er die Straße entlang und sagt: "Sehen Sie, hier gibt es kaum noch Deutsche, die Läden betreiben, dafür haben wir hier in der Gegend Drogendealer.“
Den Merz, sagt Bayraktar, möge er gar nicht, aber: "Bei den illegalen Migranten hat er Recht, aber das Problem gibt es ja nicht nur hier, sondern überall in Deutschland.“ Trotzdem hält Bayraktar einen kritischen Hinweis für den Kanzler bereit: "Der Satz ist so, wie er ihn gesagt hat, trotzdem beleidigend.“
„Merz lügt nicht: Es sind vor allem Ausländer, die Stress machen“
In einem Laden arbeiten zwei Männer – ein etwa 60-Jähriger mit seinem jungen Neffen – beide mit türkischem Migrationshintergrund. Ihre Namen möchten sie nicht sagen, denn sie wollen hinterher keinen Ärger, sagen sie.
Der Onkel schimpft, es helfe nicht, immer mit dem Finger auf andere zu zeigen: "Wenn ich als weiße Schafherde schwarze Schafe zu mir auf die Weide hole, muss ich mich doch nicht wundern, wenn das schief geht. Da ist doch die Politik selbst schuld.“ Er meint damit die Flüchtlingskrise 2015. Außerdem erschwere die Politik die Integration, kritisiert er: "Wir gehören auch nach 200 Jahren noch nicht dazu, auch, wenn wir arbeiten und Steuern zahlen“.
Sein Neffe findet den Merz-Satz gut und kann die Kritik daran nicht verstehen: "Merz lügt doch nicht. Die, die Stress auf der Straße machen, sind doch vor allem Ausländer und das fällt auf uns dann zurück.“ Damit müsse Schluss sein: "Dann werden auch in den Medien wieder gute Geschichten über Ausländer berichtet und die Leute denken anders über uns.“
"Das ist doch kein Benehmen“, kritisiert eine Frau Merz
In der Nähe vom "Görli“ räumt eine junge türkischstämmige Verkäuferin in ihrem Späti auf, die sich nur als „Dudu“ zitieren lassen möchte. Sie schaut sich das Merz-Video auf dem Smartphone an und schüttelt den Kopf.
"Das ist doch kein Benehmen für einen Politiker. Das hat mit Führung nichts zu tun. Man darf Menschen nicht nach ihrem Äußeren beurteilen.“ Sie erzählt, dass auch sie im Laden aufmerksam werde, wenn Leute reinkommen, die wie Dealer oder Drogenkonsumenten aussehen, aber das betreffe Deutsche wie Ausländer.
Eine Kreuzbergerin, rein äußerlich sehr deutsch, die gerade ihren Hund ausführt, ist sichtlich empört, als sie sich das Video ansieht: "Der will offenkundig, dass hier nur noch Weiße rumlaufen. Geht gar nicht!“
"In Schulen sprechen 90 Prozent nicht richtig deutsch“
In einem Barber-Shop an der Skalitzer-Straße finden sowohl der Friseur wie auch sein Kunde – beide türkischstämmige Deutsche, dass sich das Stadtbild tatsächlich verändert habe. "Aber was haben die denn gedacht: Es kommen Leute, die nur Krieg erlebt haben, die anders ticken als wir.“ Der Friseur-Kunde erzählt, er arbeite im öffentlichen Dienst: "Da erlebe ich oft, dass die keinen Respekt vor uns haben, aber es hat ihnen auch keiner beigebracht.“
So sieht es auch ein 63-jähriger Deutscher kurdischer Herkunft, der in einem Späti arbeitet: "Merz hat doch recht. Natürlich geht es so nicht weiter!“ Er sei als Kind mit seinen Eltern nach Deutschland gekommen. Damals habe es noch Industrie gegeben und Arbeitsplätze und gute Schulen, in denen alle Kinder Deutsch gelernt hätten.
„Heute gibt es Schulen, in denen über 90 Prozent nicht richtig Deutsch können. Da geht doch keine Bildung mehr.“ Es seien auch zu viele Menschen hergekommen, die keinen Respekt für Frauen mitbrächten. Er mache sich ernsthaft Sorgen, sagt der Mann, der seinen Namen ebenfalls nicht sagen möchte: "In den 60ern ging es mit Deutschland immer vorwärts und jetzt seit Jahren immer rückwärts.“
Merz‘ Satz hat sich auch in Kreuzberg herumgesprochen. Dennoch rätseln viele, was genau er mit ihm meinte. Und an wen er sich eigentlich richtet. Der Händler Hakan Bayraktar bringt es auf den Punkt: „Der Satz ist für nichts gut“. Und so verbleibt dieser Merz-Satz – anders als seine klare Aussage zu den „kleinen Paschas“ in einer nutzlosen Trübheit.