Erfolgreiche Energieprojekte - Fünf deutsche Orte zeigen, dass sich Klimaschutz längst lohnt
Mörsdorf im Rhein-Hunsrück-Kreis ist das Paradebeispiel für die erfolgreiche Energiewende
Der Rhein-Hunsrück-Kreis zeigt, wie aus Visionen Wirklichkeit werden kann. Die ehemals strukturschwache Region, in der Anfang der Neunziger Jahre noch 8,3 Prozent der Menschen arbeitslos waren, wurde mit Windrädern reich. Heute ist der Ort ein Vorbild für die Energiewende, mit der höchsten Zahl an Windrändern in Rheinland-Pfalz.
Dabei waren Windräder für die Stromerzeugung damals für die meisten Menschen im konservativen Hunsrück eine kühne Spinnerei von Friedensbewegten und Ökos. Dennoch wurde 1994 in Beltheim die erste Windkraftanlage hochgezogen: Die 600 Kilowatt-Anlage versorgte 200 Haushalte mit klimaneutralem Strom. Der Erfolg sprach sich herum.
Aus der armen Gegend wurde eine reiche – und eine saubere dazu. Seit Ende des Jahres 2018 liegt der Ausstoß des klimaschädlichen Kohlendioxids (CO2) im Rhein-Hunsrück-Kreis bei Null. Noch 1990 bliesen die 104.000 Einwohner in den 137 Gemeinden jährlich 682.000 Tonnen CO2 in die Luft, und waren damit bundesweit in bester Gesellschaft.
Ein Paradebeispiel für die Kehrtwende ist der 650-Einwohner-Ort Mörsdorf. Anfang der 90er gab es „kein Restaurant und keine Bäckerei mehr, 14 Häuser standen leer“, sagte Bürgermeister Marcus Kirchhoff (64) zu FOCUS online Earth. Junge Familien nahmen Reißaus, heute bewerben sie sich aus Frankfurt um ein Grundstück. Noch vor zehn Jahren konnte sich die Gemeinde keine 500 Euro für eine Weihnachtsbeleuchtung leisten, heute stehen der Gemeinde eine Millionen Euro zur Verfügung.
Die Haupteinnahmequellen: Zwölf Windräder und die Geierlay, eine der größten Hängebrücken Europas - ebenfalls einst eine kühne Vision. Die Windräder spielen der Gemeinde jährlich 315.000 Euro ein, die Geierlay bringt durch eine kluge Parkplatzbewirtschaftung 650.000 Euro. Geld, das die Gemeinde sofort an die Bürger weitergibt: für Schulen, Kindergärten und ein nachhaltiges, energieeffizientes und klimaneutrales Dorfgemeinschaftshaus, das als neues Leuchtturmprojekt gilt und im Frühjahr 2025 eröffnet werden soll. Mörsdorfs Bürgermeister Kirchhoff weiß: „Ohne die Energiewende wäre es überhaupt nicht möglich gewesen, hier eine Entwicklung reinzubringen.“
Der Windpark Letter Bruch in Coesfeld kennt nur Gewinner
Das 36.000-Einwohner-Städtchen Coesfeld im Münsterland gilt bundesweit als Vorbild dafür, wie Konsens bei der Energiewende gelingt.
Während in vielen Gemeinden in Deutschland Windparks Zankäpfel sind, weil sie Vögel bedrohen, die Aussicht versperren oder nachts blinken und dröhnen, waren sich in Coesfeld alle Parteien einig. Die Idee kam im Jahr 2011 von den Landwirten rund um den Ort herum, die sich mit der Windkraft ein weiteres Standbein aufbauen wollten. Die Politikerinnen und Politiker unterstützten das Projekt parteiübergreifend und wiesen geeignete Flächen aus. Allerdings stellte die Stadt eine Bedingung: Die Bewohner müssen an den Planungen beteiligt werden. Und: Die Stadtwerke müssen als Teilhaber des Projektes eingebunden werden.
In der Bürgerschaft stieß der Windpark Letter Bruch auf breite Zustimmung: Die Menschen in Coesfeld beteiligten sich durch Crowd-Investing mit insgesamt fünf Millionen Euro an dem 80 Millionen Euro teuren Projekt. Dabei konnten sie Beträge zwischen 500 und 25.000 Euro anlegen. Die Verzinsung liegt bei sechs Prozent.
Dreizehn Windräder stehen in dem Windpark, sie produzieren jährlich insgesamt 125 Kilowattstunden Strom und können damit 40.000 dreiköpfige Haushalte versorgen. Insgesamt spielt der Windpark jährlich zehn Millionen Euro ein, sagt der Geschäftsführer von SL Naturenergie, Milan Nitzschke (53), zu FOCUS online Earth. Alle Beteiligten profitieren:
- Die Bürger bekommen jährlich 300.000 Euro Rendite.
- Die Stadt Coesfeld erhält nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) 0,2 Cent pro Kilowattstunde. Bei 125 Millionen Kilowattstunden macht das 250.000 Euro für die kommunalen Kassen.
- Hinzu kommen noch 300.000 Euro an Gewerbesteuer.
- 150.000 Euro gehen jährlich an die Bürgerstiftung für Kulturelles und Soziales.
- Einnahmen gehen auch an die Stadtwerke, die so günstigere Stromtarife anbieten können.
- Erträge erhalten auch die Landwirte, die ihre Flächen zur Verfügung stellen.
„Coesfeld ist ein Musterbeispiel für eine Partnerschaft zwischen Bürgerschaft und Windkraftbetreiber “, sagt Geschäftsführer Nitzschke zu FOCUS online Earth. Die Gemeinde unterstütze konsequent den Ausbau einer sauberen Energieversorgung - und die Bürger profitierten davon. Der Letter Bruch sei einer der wenigen Windparks in Deutschland, bei dem es keine Konflikte und Klagen gebe. „Alle wissen, dass sie etwas davon haben, dass auf dem Gelände der Stadt saubere Energie erzeugt wird“, sagt Nitzschke.
In Haßfurt leben die Menschen die Energiewende
Die kleine Stadt Haßfurt in Unterfranken 20 Kilometer östlich von Schweinfurt ist ein Pionier der Energiewende. Die Menschen in der 13.000-Einwohner-Kommunen setzen bereits seit den 1990er Jahren auf den Ausbau erneuerbarer Energien.
Die Heinrich-Böll-Stiftung hat Haßfurt bereits 2017 als „Perle der Energiewende“ ausgezeichnet; die Agentur für Erneuerbare Energien hat die Kleinstadt ein Jahr später zur Energie-Kommune des Jahres gekürt.
Das Ziel der Haßfurter ist eine ganzheitliche Energiewende und die Vermeidung von CO2-Emissionen auf allen Ebenen. Mit grünem Strom ist Haßfurt bereits zu fast 100 Prozent versorgt. Zudem produzieren die zehn Windräder aus dem „regionalen Bürgerwindpark“ auf dem Höhenrücken des Sailershäuser Waldes zusammen mit zahlreichen Photovoltaik-Anlagen Strom für die Erzeugung von Wasserstoff.

Wasserstoff ist das „Leuchtturmprojekt“ der Haßfurter. Während diese Technologie in Deutschland nur sehr mühsam Fuß fasst, läuft in der Kreisstadt zwischen Würzburg und Bamberg bereits seit 2016 eine sogenannte Power-to-Gas-Anlage. Mit Hilfe von Elektrolyse erzeugt sie Wasserstoff aus Erneuerbaren Energien und speist ihn ins Gasnetz ein. Der Vorteil: Wasserstoff ist speicherbar, er kann daher auch im Wärme- und Verkehrsbereich flexibel eingesetzt werden.
Die Betreiber, die Stadtwerk Haßfurt GmbH und die Greenplanet Energy, haben für die Anlage keine finanzielle Förderung erhalten und versuchen, die rund zwei Millionen Euro Investitionskosten selbst wieder einzuspielen.

Auch bei der "erneuerbaren" Wärme spielt die im Jahr 1230 als Grenzbefestigung gegründete Kleinstadt vorne mit. In einem Neubaugebiet wurde ein sogenanntes "kaltes" Nahwärmenetz verlegt. Durch die Kombination von Sonnenkollektoren, Wärmepumpen und einem Blockheizkraftwerk können die Häuser zu 40 Prozent mit regenerativen Energieträgern beheizt werden. Darüber hinaus versorgt eine Biogasanlage Privathaushalte mit Strom sowie das Schul- und Freizeitzentrum und ein großes Gewerbegebiet mit Wärme.
Zum Energiewendeportfolio gehört auch die Elektromobilität: Das Stadtwerk betreibt fünf E-Ladesäulen, die mit Ökostrom versorgt werden und besitzt mehrere Elektrofahrzeuge. Weitere Säulen sind in Planung.
In Haßfurt leben alle Menschen die Energiewende: Landwirte betreiben Biogas-Anlagen, und die Bürgerinnen und Bürger sind sowohl am Windpark als auch an den großen Photovoltaik-Anlagen beteiligt. Zu den Anführern der Pioniere gehört der Geschäftsführer der Stadtwerke, Norbert Zösch. Sein Motiv erscheint alternativlos: „Ich habe vier Enkelkinder, für die möchte man ja noch eine lebenswerte Zukunft erhalten“, sagt Zösch zu FOCUS online Earth. „Und mit der Integration der Erneuerbaren Energien in ein bestehendes städtisches Energienetz wollen wir beweisen, dass das auch funktioniert.“
Saerbeck im Münsterland: Energiewende "in den Köpfen und Kommunen"
Die Energiewende, sagt Saerbecks parteiloser Bürgermeister Tobias Lehberg, „findet an zwei Orten statt: in den Köpfen und in den Kommunen.“ Nicht die Frage sei entscheidend, wieviel Megawatt Strom produziert wird. Viel wichtiger sei, dass alle an einem Strang ziehen, sagt Lehberg in den ARD-Tagesthemen. Die kleine Gemeinde mit 7200 Einwohnern aus dem Münsterland ist im vorigen November berühmt geworden. Die Tagesthemen zeigten zum Auftakt der Weltklimakonferenz in Baku in ihrer Rubrik „Mittendrin“ einen Film über die „Klimakommune Saerbeck.“ Deutlich wurde: Klimaschutz und Energiewende können nur funktionieren, wenn alle Menschen ihn leben und sich in den Kommunen zusammenschließen. Und er zeigte auch, dass alle davon profitieren.
Der Startpunkt für den Aufstieg zur Klimakommune war ein Wettbewerb des Landes NRW: Im März 2009 hat Saerbeck zusammen mit der Stadt Bocholt den ersten Preis bei der "Aktion Klimaplus - NRW-Klimakommune der Zukunft" des nordrhein-westfälischen Umweltministeriums gewonnen. Der Grundstein für viele Klima- und Energieprojekte in Saerbeck.
"Wir fokussieren uns hier auf Lösungen, auf wirklich konkrete Projekte", erklärt der 34-Jährige Klimaschutzmanager Martin Sammler. So wie etwa die Photovoltaik: 1000 Solarpanels liegen auf den Dächern der kleinen Gemeinde im Kreis Steinfurt im nördlichen Münsterland. Bei lediglich 2000 Haushalten.
Auf dem Gelände eines ehemaligen Munitionsdepots liegt jetzt ein Bioenergiepark. Strom wird hier aus dem Zusammenspiel von zehntausenden Solarpanelen, mehreren Windkraftanlagen und Biomasse gewonnen. Der Biopark kann insgesamt 70.000 Megawattstunden Strom im Jahr erzeugen. Das ist mehr als das Doppelte von dem, was Saerbeck mit seinen etwas mehr als 7.000 Einwohnern und der gesamten Industrie mit über 2500 Arbeitsplätzen verbraucht. Überschüssige Energie wird in das Netz eingespeist.
Energieprobleme kennt man in Saerbeck nicht. "Unser Fokus hier liegt nicht darauf, die Leute dauerhaft aufzuklären, wie dramatisch die Klimakrise wirklich ist", erzählt Sammler. "Sondern wie wir gemeinsam daran arbeiten können, dass wir unseren Teil zur Verbesserung beitragen."
Sauerlach, Otterfing und Aying: Drei bayerische Gemeinden zeigen, wie es mit der Windkraft klappen kann
In den drei bayerischen Gemeinden Sauerlach, Otterfing und Aying ist die Windkraft ein Rendite-Renner. Innerhalb von knapp zweieinhalb Stunden waren alle Anteilsscheine für den Bau einer Windkraftanlage ausverkauft. Mit Beträgen zwischen 500 und 25.000 Euro konnten sich die Bewohnerinnen und Bewohner der drei Orte im Süden Münchens an einem Crowd-Funding für den Bau von Windrädern im nahegelegenen Hofoldinger Forst beteiligen. Insgesamt sechs Millionen Euro kamen so in kürzester Zeit zusammen, freute sich Michael Falkenhahn, der Bürgermeister von Otterfing. Und für die Menschen lohnt es sich: Sie erhalten jährlich eine Verzinsung von sechs Prozent.
Lediglich 1000 der 19.000 Menschen in den drei Gemeinden Otterfing, Sauerlach und Aying ergatterten einen Anteilsschein. „Es war so schnell vorbei", berichtet eine Bürgerin aus Sauerlach gegenüber FOCUS online Earth: "Wir haben es gerade noch geschafft.“ Wo der Bau von Windrädern im Wald anderswo für Debatten und Proteste sorgt, waren die Menschen südlich von München höchstens unzufrieden damit, dass sie zu spät dran waren mit dem Investieren.

Zwar gab es auch im Hofoldinger Forst Aktionen gegen das Windkraftprojekt, vor allem beim Natur- und Artenschutz habe es Zweifel gegeben, sagt Bürgermeister Falkenhahn. Doch mit geschickter Kommunikation sei es gelungen, den Bürgerinnen und Bürgern die Bedenken zu nehmen.
Das Wichtigste? „Alle Bedenken ernst nehmen.“ Kritische Nachfragen habe er versucht, offen und transparent zu begegnen. Auf mehreren Veranstaltungen konnten die Einwohner Fragen stellen und Kritik anbringen, eine Bürgerbeteiligungsgruppe „Energie und Umwelt“ habe sich ihrer angenommen. So konnte vielen „Mythen die Kraft genommen werden“, sagt der Bürgermeister.
Falkenhahn glaubt, dass dieser Konsens auch in anderen Gemeinden Deutschlands möglich sei. Seine Forderung: Die Bundes- und die Landespolitik sollten einen besseren Rahmen schaffen, damit es für Gemeinden in Zukunft einfacher wird, „in solchen Dingen den Hut aufzusetzen.“