NATO-Manöver ist mehr als nur Signal an Russland: „Es gibt eine konkrete Bedrohung“

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Das NATO-Großmanöver „Steadfast Defender 2024“ soll abschreckend sein. Doch die Truppen brauchen vor allem praktische Übung, sagt ein Verteidigungsexperte.

Berlin/Oslo – Der Name soll Programm sein: Steadfast Defender heißt das NATO-Großmanöver, also „Standhafter Verteidiger“. Es ist die größte NATO-Übung seit dem Ende des Kalten Krieges, rund 90.000 Soldatinnen und Soldaten werden bis Ende Mai daran beteiligt sein. Die erste große Live-Übung startet am Sonntag im belgischen Mons. Ein Ziel der riesigen Militär-Aktion: Abschreckung. Das Signal geht vor allem in Richtung Russland und Wladimir Putin. Aber das Manöver ist sehr viel mehr als ein Symbol, sagt der Verteidigungsexperte Robin Allers.

NATO-Großmanöver „Steadfast Defender 2024“: Vorbereitung auf den Krisenfall

Allers ist Associate Professor an der Hochschule für Verteidigung in Norwegens Hauptstadt Oslo, wo junge Soldatinnen und Soldaten ihre Offizierslaufbahn antreten. „Das NATO-Großmanöver ist keine Provokation, aber ein Hinweis an Russland: Wir zeigen, deutlich, was wir haben. Denn es gibt eine konkrete Bedrohung und die Erkenntnis, dass es tatsächlich Krieg in Europa geben kann“, sagt er. „Aber es ist nicht nur ein Signal an Russland. Die NATO will für den Krisenfall konkret vorbereitet sein.“ 

Robin Allers, Associate Professor am Institut für Verteidigungsstudien (IFS) an der FHS in Oslo.
Robin Allers ist Associate Professor am Institut für Verteidigungsstudien (IFS) an der FHS in Oslo. © Peter Sieben

Seit dem Angriffskrieg Russlands stellt sich NATO komplett neu auf

In den ersten Jahrzehnten nach dem Ende des Kalten Kriegs haben die NATO-Verbündeten solche Großübungen so gut wie gar nicht mehr durchgeführt. „Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine stellt sich die NATO aber komplett neu auf. Auf dem Gipfel von Vilnius im letzten Jahr wurden neue Verteidigungspläne verabschiedet, die jetzt geübt werden“, so der Verteidigungsexperte.  „Die Sicherheitslage hat sich deutlich verschlechtert. Deswegen ist das NATO-Manöver auch diesmal so groß. Es ist noch wichtiger geworden.“

Tatsächlich haben sich die Vorzeichen im letzten Jahr gravierend verändert: Finnland ist inzwischen NATO-Mitglied und Schweden steht kurz vor dem Beitritt, die Verteidigungssituation ist eine ganz andere als noch vor wenigen Jahren. Beim NATO-Gipfel Mitte Juli im litauischen Vilnius hatten die Bündnisstaaten unter anderem eine Stärkung der Ostflanke und höhere Verteidigungsausgaben beschlossen. „Jetzt muss man schauen: Funktioniert das überhaupt? Wie flexibel sind wir? Wo darf man mit Truppen Grenzen überqueren?“, so Robin Allers.

Transport in Richtung Ostsee und Baltikum soll bei „Steadfast Defender“ geübt werden

Szenario des Großmanövers ist ein russischer Angriff auf alliiertes Territorium. Der würde zum sogenannten Bündnisfalls nach Artikel 5 des NATO-Vertrags führen, der besagt, dass ein bewaffneter Angriff gegen einen oder mehrere Alliierte als ein Angriff gegen alle NATO-Partner angesehen wird. Einerseits geht es bei der Übung darum, Truppenverlegungen aus dem Ausland Richtung Osten und Norden durchzuspielen. „Deutschland hat eine wichtige Rolle bei dem Großmanöver, als Drehscheibe der NATO. Militärgerät, Versorgung und Truppen kommen in Deutschland an und müssen weiter transportiert werden, also in Richtung Baltikum, an die Südflanke und auch an die Nordflanke“, so Allers.  

Bundeswehr-Truppen müssen bei NATO-Manöver auf schwierigem Gelände üben

Aber es geht auch um die Frage: Sind die alliierten Streitkräfte überhaupt in der Lage, Einsätze in extremem Terrain zu bewältigen? Im Krisenfall wären schnelle Truppenbewegungen in Richtung Ostsee und in den hohen Norden Norwegens nötig. Direkt an der nordöstlichen Grenze des NATO-Landes Norwegen liegt die Kola-Halbinsel, wo ein großer Teil des russischen Atomwaffenarsenals lagert. Die Bedingungen am Polarkreis sind rau, mit zweistelligen Minustemperaturen und oft unwegsamem Gelände. „Truppen der Bundeswehr, aber auch aus Großbritannien, den Niederlanden oder Frankreich müssen das üben. Solche topografischen und klimatischen Gegebenheiten sind sie sonst nicht gewohnt“, sagt Allers. „Wenn es zu einer Krise kommt und man dann erst merkt: Die Logistik beherrschen wir gar nicht oder unsere Truppen sind für Schnee und Eis nicht gewappnet, ist es zu spät.“ 

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