Deutschlands großes Solar-Problem: Chance für unsere Wirtschaft

Wer sich heute einen Fernseher oder ein Smartphone anschafft, bekommt mehr als ein Hightech-Gerät, nämlich Zugang zu einem riesigen digitalen Angebot. Technisch ist das ein hochkomplexer Vorgang, an dem zahlreiche Hersteller, Telekomanbieter, Kabelkonsortien, Cloud-Server-Betreiber usw. beteiligt sind. Die Kunden merken davon nichts, das Streaming oder die App starten per Fingertipp. Dieses Erfolgsbeispiel zeigt was möglich ist, wenn sich Geräte und digitale Infrastruktur gemeinsam entwickeln. 

Wer heute selbst Solarstrom erzeugen will, bekommt ebenfalls Hightech-Geräte – und das so günstig wie noch nie. Wechselrichter, Speicher und Energiemanager bieten je nach Hersteller viele intelligente Funktionen, eine Online-Verbindung ist ohnehin Standard. Mittlerweile gibt es mehr als drei Millionen PV-Anlagen auf den deutschen Dächern, zwei Millionen Speicher stehen in den Haushalten.

Strom wird billiger, doch die Kosten steigen

Das Problem: Das Wachstum der Erneuerbaren ging viel schneller als der Aufbau einer digitalen Infrastruktur. So stehen die intelligenten Funktionen der jeweiligen Geräte zwar den Besitzern zu Hause zur Verfügung, aber kaum dem Stromnetz. Damit bleibt der eigentliche Mehrwert dieser Technologie für das Energiesystem weitgehend ungenutzt, stattdessen entstehen sogar Mehrkosten. 

Prominentes Beispiel: Photovoltaik-Anlagen produzieren besonders am Mittag so viel Energie, dass die zunehmend nicht mehr ins Stromnetz passt. Die Netzbetreiber müssen viel häufiger eingreifen, um Überlastungen zu verhindern. Der Markt reagiert mit negativen Strompreisen. All das kostet Geld. Es entsteht die paradoxe Situation, dass Strom durch die Erneuerbaren immer billiger wird, die Kosten für die Allgemeinheit aber steigen.

Oliver Koch ist CEO der Sonnen Gruppe, einem deutschlandweit führenden Hersteller von Batteriespeichern aus dem bayerischen Allgäu. Zuvor war Koch Chief Operating Officer (COO) von Sonnen und hatte verschiedene Management-Positionen in anderen Firmen inne, unter anderem dem Bertelsmann-Konzern. 

Solar-Nutzer sind keine Egoisten

Heißt das, dass erneuerbare Energien eine teure Sackgasse sind? Oder Menschen, die eigenen Solarstrom nutzen, egoistische Steuersparer? Tatsächlich können Betreiber von Solaranlagen das Energiesystem deutlich entlasten – besonders wenn sie Speicher integrieren und den Marktsignalen von Angebot und Nachfrage folgen. Wer Strom selbst nutzt oder gezielt einspeist, reduziert Lastspitzen, senkt Redispatch-Kosten und stabilisiert das Netz. Das ist kein Steuersparmodell, sondern systemrelevant – wenn richtig eingebunden. 

Der Vorteil dabei ist, dass wir dafür keine Stromnetze brauchen, die auch mit der größten denkbaren Spitzenlast fertig werden, sondern dass wir sie intelligenter nutzen. Allein elf Gigawatt Heimspeicher stehen bereits in deutschen Kellern und Technikräumen, die meisten davon werden lediglich für den Eigenverbrauch genutzt und nicht auch für das Stromnetz. Vor diesem Hintergrund stellt sich auch die Frage, ob wir tatsächlich 20 Gigawatt neue Gaskraftwerke brauchen, ohne teure Parallelstrukturen aufzubauen. 

Das Ende einer Ära

Mit einem digitalen Energiesystem wird es möglich, Angebot und Nachfrage von Solar- und Windstrom in Einklang zu bringen, um deren enorme Kostenvorteile an die Bevölkerung und Industrie weiterzugeben. Dafür braucht es die richtigen Anreize für die Menschen und intelligente Technologien. 

Zumindest bei den Anreizen ist in diesem Jahr etwas Historisches passiert. Denn bisher gab es nur eine Anreiz-Größe: die Anzahl der eingespeisten Kilowattstunden. Egal wann oder wo – Nur wer viel einspeiste, konnte auch viel verdienen. Denn die Vergütung für jede Kilowattstunde war stets gleich. Diese Zeiten sind vorbei.

Aufbruch in eine neue Ära

Denn in einer Welt mit Überangebot an Sonnenstrom ist der Zeitpunkt entscheidend, wann Energie ins Netz gelangt – und wann nicht. Die Politik hat erkannt, dass sie die Bürger an dieser neuen Welt beteiligen muss: Die Pflicht für dynamische Stromtarife, flexible Netzentgelte und das Solarspitzengesetz schaffen erstmals zeitbasierte Anreize und stellen die richtigen Weichen. Angebot und Nachfrage kommen besser zusammen, die Eingriffe der Netzbetreiber oder die Zeiten mit negativen Strompreisen sinken perspektivisch. 

Unsere Aufgabe als Hersteller ist es, intelligente und sichere Technologien als Basis für das neue Energiesystem bereitzustellen. Wir machen aus Marktsignalen neue Produkte. Wenn zu viel Strom im Netz ist und die Preise niedrig sind, müssen Speicher oder E-Autos beladen werden. Wenn Strom im Netz benötigt wird, und die Preise hoch sind, kann man Geld mit vorher gespeichertem Strom verdienen. In unserem virtuellen Kraftwerk lassen sich heute bereits Einspeisung und Bezug von Strom Hausnummer-genau prognostizieren und steuern. Haushalte können so auch Versorgungssicherheit bieten und das Netz stabilisieren, bis hin zur Regelleistung. 

Mit der Digitalisierung unseres Energiesystems stellt sich aber auch eine sicherheitspolitische Kernfrage: Wer kontrolliert die Technologien dahinter? Wenn Produkte intelligent und vernetzt werden, birgt die Abhängigkeit von nicht-europäischen Anbietern ein systemisches Risiko. Wechselrichter, Speicher und Energiemanager dürfen nicht zu politischen Druckmitteln werden. IT-Souveränität muss deshalb eine europäische Kernkompetenz sein, als Grundvoraussetzung für ein stabiles Energiesystem.

Die große Chance für Deutschland und Europa

Was jetzt noch fehlt, ist lange bekannt: In Deutschland sind wir vom flächendeckenden Smart-Meter-Einbau und von einheitlichen digitalen Prozessen bei Netzbetreibern noch weit entfernt. Die neuen Anreize sind deshalb vielen Menschen noch nicht zugänglich, die Kosten für die Energiewende steigen weiter. Aber das muss nicht so bleiben, andere Länder machen es uns vor. Das Potenzial der Erneuerbaren lässt sich entfesseln, wenn sie intelligent werden und auf die richtigen Anreize treffen. Privater und volkswirtschaftlicher Nutzen sind keine Gegenspieler, sondern sie ergänzen sich!

Hier liegt eine enorme Chance für Deutschland und Europa: Unsere Unternehmen gehören zur Weltspitze in der intelligenten Steuerungstechnik, der Netzsteuerung und dem Energiemanagement. Wer jetzt in digitale Energiesysteme investiert, schafft Versorgungssicherheit sowie wirtschaftliche und sicherheitspolitische Souveränität in einer Zeit globaler Umbrüche. Digitalisierung ist dabei kein Selbstzweck, sondern unsere Chance, dass Energie endlich so günstig, sauber und sicher wird, wie noch nie.