Wenn Sie diese Frau cool finden, brauchen Sie kein schlechtes Gewissen zu haben
Was hat blonde lange Haare, ist Tattoo-bedeckt, räkelt sich nackt in der Badewanne und macht in Deutschland Werbung für ein Produkt namens Wunderland – Rainbow Edition?
Bill Kaulitz, der mit seinem Bruder Tom und dessen Frau Heidi Klum in einer Patchwork-Familie lebt. Sein Geschlecht ist klar, seine sexuellen Vorlieben sind – nun ja – divers, vorzugsweise männlich gerade. Es war auch einmal anders.
Und – hat das den Bundeskanzler aufgeregt? Weder Olaf Scholz noch Friedrich Merz haben sich dafür überhaupt interessiert. Was Bill Kaulitz treibt, gilt als verspielt, exzentrisch, aber vor allem: als normal.
Kaulitz ist sehr erfolgreich, über seine ganz persönliche Emanzipation, die auch eine Leidensgeschichte ist, hat er selbst berichtet. Man kann jedenfalls mit einem Werbeträger wie ihm Geld verdienen, sonst hätte Haribo es sein gelassen.
Blond, Blauäugig, katalogschön
In Amerika ist vieles anders. Dort sorgen gerade lange blonde Haare auf makellos tattoofreier Haut an einem 90-60-90 Frauenkörper, selbstbewusst-lasziv in Szene gesetzt, für Furore. Die American-Eagle-Werbung mit Sydney Sweeney – als Ikone einer konservativen Gegenbewegung - hat es inzwischen gar ins Weiße Haus geschafft.
Amerikas Linke, also die woke, linke Klasse dort, die in den letzten Jahren den gesellschaftlichen Mainstream glaubte zu dominieren – bevor Trumps Wahl sie eines Besseren belehrte – wittert nicht weniger als ein „Nazi“-Revival.
Blond, Blauäugig, katalogschön – und neben weiblichen Kurven mit der Werbe-Botschaft ausstaffiert, „genetisch“ auf der Gewinnerseite zu stehen. Im Amerikanischen hört sich „Genes“ eben an wie „Jeans“ – die Firma American Eagle spielt damit, und man kann sagen, die linksgrüne "taz" liegt - sachlich - gar nicht einmal falsch, wenn sie urteilt: „Zuerst die schlechte Nachricht: Sex sells. Dann die noch Schlechtere: White Supremacy sells better. Und weil aller guten Dinge drei sind, eine noch: Diversity doesn’t sell.“
"Normal hot girls are back"
Man kann vielleicht sagen, die "taz" hat in ihrer Aufzählung noch den deutschen Schäferhund vergessen, der es sich in dem einen oder anderen Motiv an Sydney Sweeney gemütlich machen darf. Der heißt zwar nicht „Blondi“, wie Adolf Hitlers letzte Schäferhündin, aber die Kombination aus blond, blauäugig plus Schäferhund lässt so viele Interpretationen auch wieder nicht übrig.
Wenn man politisch so konditioniert ist wie inzwischen wir. Wir haben uns die Unbeschwertheit abgewöhnen lassen, uns über einen schönen Körper einfach nur zu freuen. Man möchte seinen Landsleuten ein fröhliches:
Wenn Sie diese Frau cool finden, brauchen Sie kein schlechtes Gewissen zu haben – entgegenrufen. Jene – hochpolitische - Freude, die auch die kanadische Comedienne Nicole Arbour verspürt haben muss angesichts der Videos von Sweeney, die sofort millionenfach viral gingen und den Börsenkurs von American Eagle erst einmal in die Höhe katapultierten. Arbour:
„Normal hot girls are back.
Not porn.
Not trans.
Not gay.
Not obese („fett“) to make a point.
Not wearing a headscarf (Schleier) to be inclusive.
Not political.
Just hot girls in Jeans.
The world is healing.“
Die Welt wird geheilt. Gemeint ist: Geheilt vom Wokeness-Streben. Im Kern alles das, was man hierzulande aus der grünen Welt kennt, die zunehmend eine gesamtlinke Welt geworden ist (Ist die SPD auch deshalb so klein geworden?). Dahinter steckt eine Ideologie, die stark genug war, die kulturellen Eliten in den Vereinigten Staaten zu erobern, und die von dort aus nach Deutschland eingesickert ist.
Zuerst in Universitäten – Gender-Lehrstühle - dann in Medien, schließlich in die Politik. Und auf die Straßen. Sichtbarster Ausdruck davon ist die Regenbogenfahne, für die der CDU-Politiker Kai Wegner ebenso wirbt wie Bill Kaulitz.
"Cancel culture run amok"
Aus Sweeney und dem uramerikanischen Produkt Jeans machen Linke wie Rechte ein Politikum. Die Linke mit dem „Nazi“-Etikett, die Rechte mit dem „Ende der Wokeness“. Was ein ideeller Kernbestand der Trumpschen Maga-Doktrin ist.
Und so feiern Trumps Anhänger bis hinein ins Weiße Haus den Sweeney-Akt. Steven Cheung, Kommunikationsdirektor dort, freut sich über die Aufregung bei den Linken: „Cancel culture run amok.“ Dieses „verquere, typisch liberale Denken ist ein wichtiger Grund dafür, dass die Amerikaner 2024 so gewählt haben, wie sie es taten.“
Eric Schmitt, republikanischer Senator, kommentiert ein New-York-Post-Video über das Nazi-Framing Sweeneys durch Linke so: „Ein weiterer Grund, weshalb die Demokraten junge Männer verlieren.“
Ein Trigger-Punkt der Wokeness-Kritik ist deren Angriff auf die „toxische Männlichkeit“, so muss man Schmitt verstehen. Und die wird jetzt zurückgedreht von der Make-America-Great-Bewegung. In Deutschland kennt man derlei auch: Von den Videos etwa, mit denen der sächsische AfD-Mann Maximilian Krah um die jungen Männer wirbt, indem er sie ermuntert, ihre Natur-gegebene Männlichkeit auszuleben.
Das Wachsein wurde übertrieben
Die US-Jeans-Spots inszenieren konventionelle Schönheit, Sweeney ist das, was man ein „all American girl“ nennt – auf eingängige Weise strahlend. In Wahrheit auch: Ein Körper-Ideal mit unliebsamen Folgen – für viele Mädchen und Frauen, die nicht so waren.
Und so störte sich die gesellschaftliche Bewegung, die an diesem Ideal Anstoß nahm, zurecht an dem, was man „pretty privilege“ nennt – der gesellschaftlichen Bevorzugung von Frauen, mit denen es die Gene gut gemeint haben.
Das „woke“, das Wachsein gegenüber gesellschaftlicher Benachteiligung bestimmter Gruppen, hat hier eine Wurzel und einen Grund. Aber: Es wurde übertrieben in den vergangenen 20 Jahren. Das durchaus fragwürdige Ideal sollte geradezu ausgetrieben werden. Es entstand eine Art Gegen-Didaktik. Und davon fühlten sich immer mehr Menschen genervt. Was auch kommerzielle Folgen hatte:
Die Übersetzung der neuen Linie führte auf dem Werbemarkt zu spektakulären Flops. Budweiser hat sich bis heute ökonomisch nicht von seiner Trans-Kampagne erholt. Und auch Harley Davidson ist sein Ausflug nach „Wokistan“ schlecht bekommen – in Europa Jaguar. Deren Absatzzahlen brachen nach einer „Rosa-Kampagne“, ausgerechnet für diese traditionell edle, saturierte, konservative, männliche Marke drastisch zusammen.
„Normalität“ statt „woke“?
Auf die Sex-Sells-Jahre, die Achtziger und die Neunziger, folgten die gesellschaftlichen, die politisierten „Erziehungsjahre“: Mit „diversity first“ als Erziehungsziel. Das links gewünschte Verhalten sollte zur Norm für alle werden.
Aber diese „alle“ machen eben nicht mehr mit. Freiheitliche Nicht-Erziehung ist längst eine Backlash-Bewegung geworden – zuerst in den USA, dann auch in Deutschland. Auch das erklärt den Aufstieg der AfD. „Normalität“ statt „woke“ – die konservative Gegenwelt bedient auch eine nostalgische Sehnsucht. Die Welt heute ist aber eine andere, berechtigt „bunter“. Ein simples Zurück gibt es nicht.
Werbung war und ist ein Gradmesser für die gesellschaftlichen Zustände. Richtig gut funktioniert sie, wenn sie einen Zeitgeist trifft – am besten, kurz bevor der überhaupt auftaucht. Wo weht der Zeitgeist in Deutschland? Konkreter: Haben wir den links-woken Achtsamkeits-Puritanismus schon wieder hinter uns – oder liegt er in Wahrheit noch vor uns?