Hohl und von Pilzen befallen: 130 Jahre alte Linde an der Schongauer Stadtmauer gefällt

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Ganze Arbeit leistete das Team um Baumpfleger Tobias Baab. Um zu veranschaulichen, wie groß der Hohlraum im Stamm war, hat er sich in den Stumpf gestellt. © Hans-Helmut Herold

Weil sie in hohl und massiv von Pilzen befallen war, musste eine Winterlinde an der Schongauer Stadtmauer gefällt werden. Der Baum drohte auf einen Fußweg zu stürzen.

Schongau - Wer kurz innehält und aufmerksam lauscht, der kann Baumpfleger Tobias Baab mit seiner Akkusäge schneiden hören. Zu sehen bekommen ihn aber nur wenige. Rot-weiße Absperrbänder und große Banner mit der Warnung „Vorsicht, Lebensgefahr!“ verhindern am Freitagvormittag, dass sich Schaulustige der forstwirtschaftlichen Baustelle am östlichen Stadtgraben nähern.

Mehr als zwanzig Meter über dem Fußgängerweg steht Tobias Baab auf einer Hebebühne und ist damit beschäftigt, den Stamm einer über 130 Jahre alten Winterlinde frei zu schneiden. Im Minutentakt ergeben sich Äste aus dem Kronendach der Schwerkraft und rauschen knirschend zu Boden.

Knapp 30 Meter hoch und rund 130 Jahre alt war die von Pilzen befallene Winterlinde am östlichen Stadtgraben.
Knapp 30 Meter hoch und rund 130 Jahre alt war die von Pilzen befallene Winterlinde am östlichen Stadtgraben. © Hans-Helmut Herold

Auf dem Wiesenhang, der zur nahe gelegenen Stadtmauer hinaufzieht, wächst innerhalb kürzester Zeit ein beachtlicher Berg an Ästen und Zweigen in die Höhe. Nach gut zwei Stunden ist von der prächtigen Linde nur noch ein hölzerner Obelisk übrig. Fast wie eine antike Säule sieht der kahle Stamm aus. Tobias Baab und seine Kollegin Paloma Ziegelmeier blicken zufrieden in die Höhe und verkünden: „Zehn Minuten Brotzeit.“

Millimeterdickes Pilzgeflecht

Erst tags zuvor war ihnen an der knapp 30 Meter hohen Linde etwas aufgefallen, erzählt Baab. An der Westseite des Stamms prangte ein Loch von derartiger Größe, dass man es gut und gerne für einen Fuchsbau hätte halten können. Zur Demonstration klopft Tobias Baab daraufhin gegen das Holz und entlockt dem Stamm so ein unangenehm hohles Geräusch. Das Loch und der dahinterliegende Hohlraum allein seien aber noch nicht zwingend ein Grund, den Baum umzusägen, bemerkt Stadtförster Klaus Thien.

Neben dem massiven Loch weist die Rinde allerdings auch deutliche Spuren von Pilzbefall auf. Nordseitig wächst sogar ein stattliches und mehrere Millimeter dickes Wurzelgeflecht des Hallimasch-Pilzes aus dem Stamm heraus. Doch damit nicht genug: Insbesondere an Linden sei häufig der äußerst schädliche Brandkrustenpilz zu finden. Den haben die Experten auch an dem 130 Jahre alten Exemplar in Schongau entdeckt.

„Den müssen wir sofort umschneiden!“

Für den Baum in der Regel ein „Todesurteil“, erklärt Baab. Aber auch zahlreiche weitere Merkmale, wie beispielsweise die Verdickung am Ansatz des Stamms – ein sogenannter „Flaschenhals“ – ist dem geschulten Auge der Forstarbeiter nicht entgangen: Ein weiteres Signal dafür, „dass mit dem Baum etwas nicht in Ordnung ist“, so Baab. „Ein Wunder, dass er noch steht“, ergänzt Paloma Ziegelmeier.

Als Schongaus Stadtförster Klaus Thien am Donnerstag auf die besagte Winterlinde aufmerksam wurde und den Baum umgehend begutachtete, war für ihn schnell klar: „Den müssen wir sofort umschneiden!“ „Ein Laie sieht da aber gar nichts“, sagt der Stadtförster. Tatsächlich präsentierte sich der Baum bis zuletzt in saftigem Grün und erweckte auf den ersten Blick einen gesunden und kräftigen Eindruck. Dass sein Dasein schon seit geraumer Zeit buchstäblich am seidenen Faden hing, zeigte erst der Blick unter die Rinde. „Wenn er nicht auf den Fußgängerweg ragen würde, würde ich ihn aber stehen lassen – für Vögel oder Fledermäuse“, sagt Klaus Thien.

Nach einer kurzen Pause kommt die Hebebühne wieder zum Einsatz und befördert Tobias Baab zurück in luftige Höhe. Stück für Stück trägt er den Baum von oben nach unten ab. Alle paar Minuten wird der Stumpf der Linde um ein stattliches Stück kürzer. Ein besonders wuchtiger Brocken kippt nach seinem lautstarken Einschlag in der Wiese plötzlich zurück, kracht träge gegen den noch stehenden Stamm und lässt den Holzobelisk bedrohlich erzittern. Selbst für Klaus Thien ein unheimlicher Moment.

„Todesurteil“ Brandkrustenpilz

Doch kurz darauf ist es geschafft und Tobias Baab schwebt auf der angemieteten Hebebühne dem sicheren Boden entgegen. Zufrieden stellt er seine Motorsäge mit 60 Zentimeter langem Schwert neben die Reste des Stamms. Der ist auf einer Länge von knapp drei Metern beinahe komplett ausgehöhlt und voller Maden, Tausendfüßler und Ameisen. Dicht gedrängt fänden in seinem Inneren womöglich sogar zwei Personen Platz. Das unterste Stück der Linde haben Tobias Baab und Paloma Ziegelmeier bewusst stehengelassen. Aufgefüllt mit ein wenig Erde soll der Stumpf bald einer jungen Eiche als Substrat dienen – zumindest wenn es nach den beiden Profis geht. Dem Eichensetzling könne das Pilzgeflecht nämlich nichts anhaben.

Gesundes Holz besaß der Baum nur noch an den wenigen hellen Stellen unmittelbar hinter der Rinde.
Gesundes Holz besaß der Baum nur noch an den wenigen hellen Stellen unmittelbar hinter der Rinde. © Hans-Helmut Herold

„Das war mehr als höchste Eisenbahn“, seufzen Baab und Ziegelmeier. „Der hätte auch heute Nacht umfallen können“ – selbst ohne Wind und Wetter. Dass es eine mehr als gute Idee war, den Baum aus Sicherheitsgründen zu fällen, wird bei einem Blick in den hohlen Stamm deutlich: Nur etwa acht bis zehn Zentimeter weisen gesundes, hartes Holz auf – bei einem Durchmesser von über einem Meter wohlgemerkt. Den kläglichen Rest, der den knapp drei Meter hohen Hohlraum ummantelt, bildet nasses, morsches Totholz. Ein Anblick, der sogar den beiden Profis den Atem verschlägt: „So einen Extremen haben wir auch noch nicht gehabt.“

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