"Sieht man, wie primitiv der Mensch ist": Wiesn-Security scherzt über Kotzhügel

Zwei junge und sichtlich betrunkene Frauen im roten Dirndl knien am unteren Hang hinter den Festzelten auf dem Oktoberfest. Vorsorglich beginnt die Brünette, der anderen die blond gefärbten Haare aus dem Gesicht zu streichen und zusammenzubinden. 

Eine Gruppe Sicherheitsmitarbeiter in neongelben Westen bemerkt die beiden Frauen, nähert sich ihnen, fragt, ob alles in Ordnung sei. Die blonde Frau hebt den Kopf, lächelt, sagt etwas. Kaum entfernen sich die Mitarbeiter, erbricht sie sich mehrfach. 

"Jetzt kommt’s", sagt Oliver Schwäger, der die Situation aus ein paar Metern Entfernung beobachtet, süffisant. Seine Hände hat er an die Träger seiner Warnweste gelegt. "Jetzt geht’s los", sagt Nils Helmers, der neben ihm steht. 

Die brünette Frau reicht ihrer Freundin ein Taschentuch zum Mundabwischen, kurz darauf erhebt sich diese wieder und wankt so stark, dass sie im Kreis läuft. Aber sie lächelt. Auch Schwäger und Helmers müssen leise lachen. "Ein bisschen Schadenfreude gehört auch dazu", sagt Schwäger. "Das ist wie ein Unfall, man muss einmal hinschauen."

Die Hangstreife passt auf, dass den Wiesn-Besuchern auf dem Kotzhügel nichts passiert

Dort, wo der Besuch für viele Wiesn-Gäste endet, beginnt die Arbeit der sechsköpfigen Hangstreife vom Sicherheitsdienst Securitas – auf dem "Kotzhügel." Hier stranden all diejenigen Feierwütigen, die es mit dem Prosit auf die Gemütlichkeit übertrieben haben und mal eine Pause brauchen – in der "Chill-out-Area", wie die Mitarbeiter der Hangstreife den Hügel nennen. An sonnigen Tagen wälzen sich hier mehr als 1000 Leute.

Gemeinsam mit ihrem Team passen Einsatzleiter Helmers und Gruppenleiter Schwäger auf, dass es den Wiesn-Besuchern auf dem Hügel gewissermaßen nicht noch schlechter geht als ohnehin schon.

"Wir schauen, ob sie schlafen oder hilflos sind", sagt Helmers, braune Augen, sommersprossiges Gesicht, zurückgegelte dunkelblonde Haare. 

Schwäger, roter Bart, blaue Augen, Glatze, nickt und weist mit der Hand auf drei Männer in Tracht, die am oberen Hang liegen und in der Nachmittagssonne ein Schläfchen halten. "Die Hosen sind trocken, sie atmen; die Bäuche bewegen sich, sie haben sich noch nicht übergeben – hier ist alles gut." 

Die wenigsten Betrunkenen seien medizinische Notfälle. Falls es ernste Probleme gibt, ist die Hangstreife über ein Walkie-Talkie mit den Einsatzkräften von Ambulanz und Polizei verbunden.  

Einsatzleiter: "Man muss das aushalten"

Die Arbeit in der Hangstreife sei nicht für jedermann etwas, sagt Helmers. Betrunkene seien im Umgang oft nicht leicht, manche seien aggressiv, könnten kaum sprechen. "Man muss das aushalten und verschiedene Arten von Ausscheidungen abkönnen", sagt er. Desinfektionsmittel und Einmalhandschuhe hat er immer in der Brusttasche. 

Trotzdem macht Helmers, der normalerweise Securitas-Bereichsleiter in Stuttgart ist, der Job Spaß. Es ist bereits sein fünftes Oktoberfest im Dienst. Viele Securitas-Kollegen kämen aus ganz Deutschland extra für das Oktoberfest nach München, ließen sich dafür speziell schulen. "Es ist etwas völlig anderes als die normale Büroarbeit. Wir gestalten hier auf dem größten Volksfest der Welt die Sicherheit mit", sagt er. Aber: Seitdem er für die Hangstreife arbeitet, trinkt er weniger Alkohol.

Taschendiebstähle sind das größte Risiko

Helmers und Schwäger kommen an einem jungen Mann vorbei, der schlafend auf dem Rücken liegt. Sein schwarzes iPhone liegt gut sichtbar auf seiner Brust. "Wir achten auch darauf, dass niemand ausgeraubt wird", erklärt Helmers. 

Taschendiebstähle seien das größte Risiko hier am Hang. Die Betroffenen sind schließlich ein leichtes Opfer. Bisweilen würden sich einige Langfinger neben sie legen und so tun, als seien sie deren Freunde. "Aber durch unsere Präsenz am Hügel werden mutmaßliche Täter schon früh abgeschreckt", sagt Schwäger. 

Diese Erfahrung machen auch zwei junge Männer in Tracht, die sich einem Mann in Alltagsklamotten nähern, der inmitten seines Erbrochenen liegt. "Ey!", ruft eine rothaarige Mitarbeiterin der Hangstreife und läuft energisch auf die Männer zu, die offenbar in keinem Verhältnis zu dem Mann stehen. Was sie von ihm wollen – unklar. Nach einer Ansage zucken die Männer mit den Schultern, rollen mit den Augen und ziehen von dannen.  

Mitarbeiterinnen zupfen Frauen die Dirndl wieder zurecht

Weibliche Kolleginnen gebe es in jeder Hangstreife. "Das ist total wichtig, auch bei sensiblen Themen wie Upskirting“, sagt Helmers. 

Was das konkret bedeutet, zeigt seine rothaarige Kollegin kurze Zeit später. Sie nähert sich einer jungen Frau, die neben ihrem Freund auf dem Hügel schläft. "Man kann dir unter das Dirndl gucken", sagt sie, richtet sie behutsam auf und zupft deren Dirndl zurecht. Gelegentlich erkundigt sich die Streife auch bei Frauen, die mit Männern zusammensitzen, ob sie diese überhaupt kennen, ob sie sich wohlfühlen.

Durch Präsenz der Hangstreife ist die Zahl der Delikte zurückgegangen

Insgesamt sei die Zahl der Delikte durch die Präsenz der Hangstreife, die es seit einigen Jahren gibt, zurückgegangen, sagt Helmers. Auch das Eingrenzen des Hügels mit Bauzäunen habe dazu beigetragen. 

Auf der anderen Seite der Fläche haben einige Wirte und Mitarbeiter ihre Autos geparkt. Menschen, die sich an die Autos lehnen, dahinter legen oder gegen die Zäune pinkeln, bittet Schwäger, woanders hinzugehen – wahlweise zur "Chill-Out-Area" oder auf eine richtige Toilette. 

Hangstreife
Die Hangstreife auf dem Oktoberfest hat alle Hände voll zu tun. FOCUS online

Beim Anblick eines Paares, das auf einem Bauzaunfuß eine Jacke ausgebreitet hat und dort seine Brotzeit abhält, stutzt er jedoch kurz. "Da haben doch Leute gegenpinkelt", sagt er. "So hässlich das manchmal ist – da sieht man, wie primitiv der Mensch sein kann", lacht er. Das Paar sucht sich schließlich einen anderen Platz. Die meisten Angesprochenen reagieren freundlich und kooperieren, einige entschuldigen sich. 

Oft würden sich die Leute auch bei der Hangstreife für ihre Hilfe bedanken. "Die Wertschätzung ist wirklich toll", sagt Schwäger. Eine höhere Aggressionsrate und Gewaltbereitschaft im Vergleich zu den Vorjahren könne er nicht feststellen.

"Wir haben so viel Kotze gesehen wie sonst in einem ganzen Leben – und wir sind Türsteher in Berlin"

Inzwischen tummeln sich immer mehr Menschen auf und vor dem Festgelände; es ist Tischwechselzeit. Helmers Walkie-Talkie funkt eine Meldung durch, er wird zu einem der nun geschlossenen Wiesn-Eingänge gebeten. Auch Schwäger wechselt seinen Einsatzort. 

Nun kontrollieren Justin Thimm und Peter, der seinen Nachnamen nicht verraten möchte, den Hang. Sie stehen ganz oben, um auch die Absperrung im Blick zu behalten, sodass sich niemand unerlaubt Zutritt verschafft. Für die beiden jungen Männer ist es die erste Wiesn im Dienst der Hangstreife. "Wir haben hier so viel Erbrochenes gesehen wie sonst in einem ganzen Leben – und wir sind Security aus Berlin", sagt Justin. "Die Leute können sich volltrunken einfach nicht benehmen." 

Peter nickt. "Vorhin hat sich hier jemand erleichtert, man sieht Leute miteinander intim werden … es gibt nichts, was man hier nicht sieht", sagt er. Bis knapp 1 Uhr werden sie heute im Dienst sein.