Schlammiger Boden und Drohnen am Himmel: Ukrainische Soldaten kämpfen in misslicher Lage
Von der anfänglichen Hoffnung der Ukraine im Krieg gegen Russland ist wenig übrig. Es fehlt an Munition und Personal. Kann das Land den Krieg gewinnen?
Kiew – Seit zwei Jahren tobt der Ukraine-Krieg inzwischen. Zunächst schien es, als könne sich die Ukraine überraschenderweise erfolgreich gegen die russischen Invasoren zur Wehr setzen. Inzwischen hat sich Ernüchterung breit gemacht. Zwei Jahre des Krieges gegen einen überlegenen Feind haben das Militär geschwächt und die Soldaten ausgezehrt. Hinzu kommt ein vergleichsweise milder Winter, der die Schlachtfelder früher als sonst im Schlamm versinken lässt.

„An einigen Abschnitten der Front ist die Lage extrem schwierig“: So beschrieb der ukrainische Präsident, Wolodymyr Selenskyj, unlängst die Lage im Osten des Landes. Nachdem Awdijiwka nach schier endlosen Kämpfen gefallen ist, rücken die Russen jetzt immer weiter nach Westen vor. Nach Schätzungen der US-Regierung waren bereits im August letzten Jahres 100.000 russische und 70.000 ukrainische Soldaten gefallen. Noch immer ringt man in den USA um weitere Hilfszusagen; auch Europa wird bis März nur die Hälfte der versprochenen Munition liefern können. Für die sowjetischen Waffensysteme, die in der Ukraine in großer Stückzahl im Einsatz sind, haben die westlichen Verbündeten ohnehin kaum noch Nachschub.
„Die Leute haben die Begeisterung verloren“ - Im Ukraine-Krieg mangelt es an Soldaten und Munition
Das macht sich bemerkbar: An der Moral der Truppe, aber auch an ihren Einsatzfähigkeiten. „Wir haben ein großes Problem mit der Truppenstärke. Und fehlen einfach Männer. Die Leute haben die Begeisterung verloren, die sie zu Beginn der Invasion noch hatten. Wir brauchen Verstärkung. Viele unsere Leute sind erschöpft“, so der Kommandant der 59. Brigade der ukrainischen Armee im Interview mit dem Sender ntv. Je weniger Männer es gebe, desto länger müssten die verbleibenden dann im Schützengraben auf Stellung liegen, so der Kommandant weiter. Schnee und Regen würden sich abwechseln, was zusätzliche Probleme bereite: „Die Leute werden krank davon, bekommen eine Grippe oder Angina. Dann fallen sie aus und Ersatz gibt es nicht“.
Auch der Führung in Kiew ist dieses Problem bewusst, weshalb im Anfang Februar ein Gesetz verabschiedet hat, das die Einführung elektronischer Vorladungen sowie neue Strafen bei Wehrdienstverweigerern vorsieht. Der Menschenrechtsbeauftragten des ukrainischen Parlaments, Dimitri Lubinets, sieht das Gesetz als Verstoß gegen internationale Menschenrechtsabkommen. Schließlich dürfe das Militär nicht darüber bestimmen, ob und wann ein ukrainischer Bürger das Land verlasse. Zudem grassieren Bestechungsvorwürfe gegen die regionalen Militärkommissariate. Diese sollen wehrfähige Männer für Millionen Dollar untauglich schreiben, wie die ARD-„Tagesschau“ berichtete. Vom anfänglichen Enthusiasmus der Heimatverteidigung ist also wenig übrig.
Auch Russland setzt massiv auf Drohnen - und hat doppelt so viel Geld zur Verfügung wie die Ukraine
Hinzu kommt, dass auch die Russen ihr Vorgehen stetig anpassen. Drohnen beherrschen inzwischen den Himmel über den Schlachtfeldern. „Sogar eine Infanteriestellung zu graben, ist schon ein Problem. Kaum ist jemand draußen, sieht ihn eine Kameradrohne. Dann kommt eine zweite Drohne und lässt etwas fallen“, so der Kommandant der 59. Brigade gegenüber ntv.
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Nach Angaben der Ukraine kann das Land rund 800.000 Soldaten aufbieten - gegen 1,3 Millionen Soldaten, die Russland zur Verfügung hat. Hinzu kommt, dass Russland laut ntv etwa doppelt so viel Geld zur Aufrüstung zur Verfügung hat wie die Ukraine. Ohne massive westliche Unterstützung kann das Wettrüsten nicht gewonnen werden.
Übertrieben optimistische Hoffnungen: Das Blatt im Ukraine-Krieg scheint sich gewendet zu haben
Die Strategie der Regierung von US-Präsident Joe Biden besteht inzwischen darin, die ukrainische Verteidigung bis nach den US-Präsidentschaftswahlen aufrechtzuerhalten, in der Hoffnung, die russischen Streitkräfte in einem langen Zermürbungskrieg zu schwächen. Das schreibt das US-Nachrichtenmagazin Time. Die Ukraine auf unbestimmte Zeit in der Defensive zu halten, bedeute jedoch, dass die derzeit von Russland besetzten Gebiete verloren seien. Russland werde am Verhandlungstisch niemals bereit sein, Gebiete aufzugeben, die es auf dem Schlachtfeld halten konnte. Die Befürworter eines vollständigen ukrainischen Sieges würden sich weiterhin übertrieben optimistische Hoffnungen machen - was jedoch töricht sei.
Damit die Ukraine eine Chance habe, brauche sie, wie die Militärgeschichte zeige, einen Überhang von 3:2 an Personal und erheblich mehr Feuerkraft. Diese Vorteile habe die Ukraine im ersten Jahr des Krieges genossen, aber jetzt lägen sie bei Russland. Und es sei sehr schwer zu erkennen, wie die Ukraine sie zurückgewinnen kann. Letztlich seien die Ukrainer aber auch bereit, den Verlust einiger Gebiete als Preis für den Frieden zu akzeptieren, wenn es der Ukraine nicht gelänge, sie auf dem Schlachtfeld zurückzuerobern - vorallem wenn die Alternative ein jahrelanger blutiger Krieg mit wenig Aussicht auf Erfolg wäre. (tpn)