Sogar ein irres Putin-Szenario ist denkbar: Wie es in Nahost jetzt weitergeht

Ist es vorstellbar, dass es zu einer diplomatischen Initiative zur Beendigung der gegenseitigen Luft- und Raketenangriffe zwischen dem Iran und Israel kommt?

Natürlich ist das vorstellbar. Es ist sogar davon auszugehen, dass es dazu kommen wird. Denn die eine oder die andere Seite wird an das Ende ihrer Möglichkeiten kommen und dann nach entsprechenden Wegen für eine „politische Lösung“ Ausschau halten. Aus früheren Regionalkonflikten zur Zeit des Kalten Krieges weiß man, dass sich meistens ein großer Verbündeter der in die Defensive geratenen Seite einschaltet, um sich als Vermittler zu positionieren. 

In der Regel versucht dieser Verbündete, sich nicht selbst zu exponieren, sondern erst einmal den Hauptverbündeten der gegnerischen Seite zu kontaktieren, um diesen dazu zu bewegen, eine entsprechende Initiative zu starten. 

So lief das während des Sechs-Tage-Krieges 1967 und des Yom-Kippur-Krieges 1973 ab. Jedes Mal, wenn die arabischen Staaten in die Defensive gerieten, drängte der Kreml die US-Administration dazu, unter Hinweis auf angebliche Eskalationsgefahren eine Initiative für einen Waffenstillstand zu starten. 

Jetzt sieht das ähnlich aus. Iran ist in der Defensive, denn israelische Flugzeuge beherrschen den iranischen Luftraum und zerstören dort ein strategisches Ziel nach dem anderen. Und sie dezimieren die Führungsriege der Revolutionsgarden und zerbrechen deren Machtbasis. 

Die iranischen Raketenangriffe gegen Israel können das nicht verhindern. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass nach einem Telefonat zwischen Trump und Putin der amerikanische Präsident nunmehr vorschlägt, dass Putin als Vermittler fungieren solle. Ich denke, die Idee kam von Putin. Trump hat das einfach nur aufgenommen und den Gedanken bei „Truth Social" in die Welt gesetzt, wohl wissend, dass daraus nichts wird.

Wäre Putin als Vermittler geeignet?

Nein, denn Russland ist ein enger Verbündeter des Regimes in Teheran und damit für Israel kein vertrauenswürdiger Vermittler. Putin könnte aber ebenso wie der damalige starke Mann im Kreml, Leonid Breschnew, 1967 oder 1973 die Kooperation mit den USA suchen. Ziel wäre es, gemeinsam den Krieg zu beenden, um die Niederlage des eigenen Verbündeten zu verhindern. Ob Putin das will, ist schwer zu bestimmen. 

Einerseits will er seinen bedrängten Partnern in Teheran helfen, andererseits hätte diese Kooperation aus seiner Sicht auch Risiken. Präsident Trump könnte tatsächlich fordern, dass er nur dann mit Putin kooperiert, wenn dieser gleichzeitig einem Waffenstillstand in der Ukraine zustimmt und diesen auch umsetzt. Das wäre für Putin wiederum eine ziemlich große Kröte, die er schlucken müsste. 

Andererseits könnte das für ihn vielleicht ein willkommener Anlass sein, den Krieg in der Ukraine gesichtswahrend zu beenden. Denkbar ist alles, aber angesichts der von Putin angeheizten Kriegspsychose in Russland ist eine solche Entwicklung auch wiederum nur schwer vorstellbar.

Was will Donald Trump?

Trump will tatsächlich keinen Krieg im Nahen Osten und er hat sich auch stark von Netanjahu nach der Wiederaufnahme der Offensive im Gaza-Streifen distanziert. Er will – wie immer – viele „Deals“ machen, was immer das sein soll. Seine wirklichen Freunde sind die Scheichs am Persischen Golf und auf der arabischen Halbinsel. Und da kommt eine zu große Nähe zu Israel nicht gut an. 

Aber andererseits ist man auch dort sehr besorgt über den Iran und dessen Atomwaffenpläne. Auch unter Trump bleibt es bei der Unterstützung Israels mit Flugzeugen, Distanzwaffen, Raketen und Raketenabwehrsystemen. 

Trump steht innenpolitisch zudem unter dem Druck unterschiedlicher Richtungen in seiner MAGA-Bewegung: Auf der einen Seite sind da die radikalen Evangelisten, die für eine unerschütterliche Unterstützung für Israel stehen, auf der anderen Seite stehen die Isolationisten, die neo-reaktionären Libertären und die zumeist antisemitischen Rechtsextremisten, die betonen, dass der Krieg zwischen Israel und dem Iran nicht ihr Krieg sei.

Trump hat wiederholt deutlich gemacht, dass der Krieg sofort beendet werden könne, wenn der Iran seinen Vorschlag annimmt. Diesem Vorschlag zufolge soll der Iran auf sein Anreicherungsprogramm für Uran vollständig verzichten. Der Vorschlag ist vernünftig, wird aber von Teheran vehement abgelehnt.

Über Joachim Krause

Prof. Dr. Joachim Krause war bis 2016 Professor für Politikwissenschaft an der Universität Kiel und ist Direktor emeritus des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel. Er hat die Zeitschrift für strategische Analysen „Sirius“ gegründet und war dessen Chefredakteur. Er war früher stellvertretender Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und Leiter des Forschungssekretariats der Stiftung Wissenschaft und Politik. Er hat über 40 Bücher verfasst oder herausgegeben und über 300 wissenschaftliche Aufsätze verfasst. Neben seiner akademischen Laufbahn hat er an internationalen diplomatischen Missionen teilgenommen und auch an den Universitäten Potsdam, Bonn, München, Bamberg und an der Johns Hopkins Universität (Bologna) unterrichtet.

Könnte Erdogan ein Vermittler sein?

Auf keinen Fall. Der türkische Präsident Erdogan hat sich derart radikal von Israel und von dessen Premier Netanjahu distanziert und diesen in ziemlich übler Weise herabgesetzt, dass Israel dessen Vermittlung ablehnen würde. Er hat auch keinerlei Hebel, um entweder auf Teheran oder auf Jerusalem Druck ausüben zu können. Erdogan wird auch auf der arabischen Halbinsel mit Misstrauen gesehen, weil er den radikalen Moslembrüdern nahesteht.

Was will der Iran? Wie und unter welchen Umständen könnte man sich einen Waffenstillstand im Nahen Osten vorstellen?

Meines Erachtens könnte es im Zusammenspiel zwischen Putin als Schutzmacht des Iran und Trump als Unterstützer Israels gelingen, eine einigermaßen haltbare Lösung zu finden. Aber die Hindernisse sind groß, denn die Interessen Israels und der Führung in Teheran sind völlig unvereinbar. 

Die iranische Führung unter Anführer Ali Khamenei hat wiederholt deutlich gemacht, dass sie Israel von der Landkarte getilgt sehen will. Israel sieht sich daher existenziell bedroht und reagiert besonders nervös auf die umfangreiche iranische Aufrüstung bei Mittelstreckenraketen (wie wir derzeit sehen, völlig zu Recht) und vor allem auf das angeblich zivile Nuklearprogramm des Irans, insbesondere auf dessen Anreicherungsanlagen. 

In der Tat gehen alle seriösen Beobachter davon aus, dass das angeblich zivile Atomprogramm des Iran nichts anderes ist als ein nur halbherzig versteckt gehaltenes Atomwaffenprojekt. Zwar hat Israel auch Atomwaffen, aber angesichts seiner geringen Größe ist es viel verwundbarer als der Iran. Eine Handvoll iranischer Atomwaffen, ausgebracht durch ballistische Raketen gegen die Bevölkerungszentren Israels, würde die Auslöschung des jüdischen Staates bedeuten.

Von daher ist ein vermittelter und einigermaßen dauerhafter Waffenstillstand nur dann möglich, wenn Russland die Führung in Teheran dazu bewegen kann, ihr Atomprogramm vollständig einzustellen, die Raketenrüstung massiv zurückzufahren und die Unterstützung von Terrormilizen zu beenden. 

Fortschritte beim Thema Ukraine?

Um dahin zu kommen, bedarf es weiterer militärischer Erfolge Israels im Iran und eines amerikanischen Präsidenten, der das nötige staatsmännische Gespür und die notwendige Bereitschaft aufweist, entsprechenden Druck auf Putin auszuüben. Denn Putin würde nur dann Zugeständnisse machen, wenn er den Eindruck hat, dass er ansonsten einen wichtigen geopolitischen Verbündeten verliert. 

Sollte das der Fall sein, könnte sich auch die Gelegenheit eröffnen, dass Trump Putin dazu bringt, in der Ukraine einem Waffenstillstand zuzustimmen. Dies kann allerdings nur dann gelingen, wenn die iranische Führung in einer wirklich verzweifelten Situation ist, wenn Putin seinen Bündnispartner auf keinen Fall im Stich lassen will und wenn Präsident Trump die Gelegenheit beim Schopf ergreift. 

Ob Trump dieses Geschick aufbringen wird, bleibt angesichts seiner bisherigen Amtsführung allerdings zweifelhaft.

Lesetipp (Anzeige)

"SIRIUS – Zeitschrift für Strategische Analysen" von Joachim Krause

Dieser Beitrag stammt aus dem EXPERTS Circle – einem Netzwerk ausgewählter Fachleute mit fundiertem Wissen und langjähriger Erfahrung. Die Inhalte basieren auf individuellen Einschätzungen und orientieren sich am aktuellen Stand von Wissenschaft und Praxis.