Von der Demokratie bis zum Exorzismus: AfD-Wahlkampf und Gegendemo in Starnberg

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„Willkommen in Starnberg“ hieß AfD-Kreisvorsitzender Prof. Info Hahn (in Lederhose) unter anderem Parteivorsitzenden Tino Chrupalla. © Dagmar Rutt

Die AfD wartete in Starnberg mit einem „Überraschungsgast“ im Europawahlkampf auf. Am Kirchplatz fanden sich kurz vorher rund 300 Gegendemonstranten ein.

Starnberg – Oben in der Schlossberghalle AfD-Europawahlkampf, unten am Kirchplatz die Gegendemo: Die Polizei zeigt schon ein paar Stunden vor Beginn der beiden Veranstaltungen am Donnerstagabend Präsenz. Sieben Fahrzeuge und schwarz uniformierte Kräfte verbarrikadieren den Zugang zur Halle. Kurze Zeit vor dem Einlass tauchen zwei vermummte junge Männer mit Antifa-Flaggen auf, brüllen Anti-Nazi-Parolen. Später werden ein paar Menschen mit „No-AfD“-Spruchband und einer Regenbogen-Fahne im Regen vor den Polizisten ausharren. Ansonsten bleibt es ruhig, keine besonderen Vorkommnisse meldet das Polizeipräsidium Oberbayern Nord auf Nachfrage.

Rückschau auf einen politischen Abend in der Kreisstadt am 75. Geburtstag des Grundgesetzes – mit einem notgedrungenen Überraschungsgast und einer Kundgebung mit widrigen Bedingungen.

Anti-AfD-Demoauf dem Kirchplatz

Um 17.30 Uhr, genau eine Stunde, bevor die AfD auf dem Schlossberg loslegt, treffen sich ihre Gegner auf dem Kirchplatz. Kurz davor setzt heftiger Regen ein, der die Veranstalter dazu zwingt, den ursprünglich geplanten Ablauf der Gegendemo umzustellen und zu kürzen. Beispielsweise fallen die musikalischen Einlagen von Claus Angerbauer komplett ins Wasser. Trotz der widrigen Wetterbedingungen finden sich laut Polizei rund 300 mit Regenschirmen ausgerüstete Bürgerinnen und Bürger auf dem Kirchplatz ein. „Wir sind sturmerprobt“, sagt SPD-Kreisvorsitzende, Landtagsabgeordnete und Versammlungsleiterin Christiane Feichtmeier. Die Rednerinnen und Redner unter einem Pavillon sind teils schwer zu verstehen. Simon Döbrich, evangelischer Pfarrer in Starnberg, ist als einer der ersten dran – und gibt die Richtung vor: „Wer von Remigration spricht, legt die Axt an die Wurzeln der Demokratie.“ Dr. Ute Eiling-Hütig (CSU) weist danach darauf hin, dass es mit der AfD eine Partei im Landtag gebe, „die nicht für Demokratie und Vielfalt steht“.

Eine Kundgebung gegen die AfD, initiiert von den Jusos und veranstaltet von der SPD, fand am Kirchplatz statt. Weitere Parteien und Organisationen beteiligten sich bei strömendem Regen.
Eine Kundgebung gegen die AfD, initiiert von den Jusos und veranstaltet von der SPD, fand am Kirchplatz statt. Weitere Parteien und Organisationen beteiligten sich bei strömendem Regen. © Dagmar Rutt

Größtenteils wiederholen sich die Inhalte der Protagonisten – unter anderem Dr. Philipp Hildmann vom Bayerischen Bündnis für Toleranz, SPD-Co-Landesvorsitzende Ronja Endres, Johannes Becher, Co-Landesvorsitzender der Grünen, Hans-Georg Frinder, stellvertretender Kreisvorsitzender der Freien Wähler oder Benedict Lang, Landesvorsitzender der Jusos. Kernaussage fast aller: Es gelte uneingeschränkt Artikel 1 des Grundgesetzes „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Doch leider würden nicht alle Parteien – insbesondere die AfD – diesem Grundsatz gerecht.

Manche Redner richten ihre Kritik aber nicht nur an die AfD. Vor allem Sinan Cokdegerli von der DGB-Jugend der Region München teilt kräftig aus. Er bezeichnet Mitglieder der Staatsregierung als Rassisten. „Es gibt rechte Hetzer in vielen Parteien, nur um Stimmen zu fangen“, brüllt er ins Mikro und nennt unter anderem Innenminister Joachim Herrmann (CSU) und Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger (FW) – was bei einigen Demoteilnehmern für Unmut sorgt und von anderen mit dem Schlachtruf „Alerta, alerta, antifascista!“ (Achtung, Achtung, Antifaschisten!) gefeiert wird. Ausgewogener äußert sich Paul Friedrich, Kreisvorsitzender der FDP. Der Tutzinger vergleicht die aktuelle Lage mit einem Horrorfilm, in dem die AfD der böse Schurke ist. Doch da gebe es auch einen Helden, und zwar die gesamte Bevölkerung, in deren Verantwortung es liege, die Demokratie zu beschützen. „Schön, dass ihr dieser Verantwortung gerecht werdet“, ruft er Demonstranten zu.

AfD-Wahlkampfin der Schlossberghalle

Stellen Sie sich vor, es ist bayerischer Europawahlkampf-Höhepunkt, und die Spitzenkandidaten gehen nicht hin. Weder AfD-Frontmann Dr. Maximilian Krah noch der bayerische Spitzenkandidat Petr Bystron erscheinen in der mit rund 200 Besuchern gut gefüllten Schlossberghalle. Dafür aber – zum mittlerweile dritten Mal in Starnberg – Parteivorsitzender Tino Chrupalla. Mit Deutschland-Flagge am Sakko wird er klarstellen, dass die mit „Vorwürfen und teilweise Kampagnen“ konfrontierten Krah und Bystron von sich aus entschieden hätten, dem Wahlkampf fern zu bleiben. „Das war keine Entscheidung des Bundesvorstands, wie mancherorts zu lesen war“, sagt Chrupalla. In Krahs Fall geht es unter anderem um verharmlosende Aussagen zur SS, gegen Bystron wird wegen Bestechlichkeit ermittelt. Auch deshalb hat die Fraktion „Identität und Demokratie“ im EU-Parlament die komplette AfD ausgeschlossen.

Abgeschirmt: Die Polizei baute sich vor Gegendemonstranten an der Schlossberghalle auf.
Abgeschirmt: Die Polizei baute sich vor Gegendemonstranten an der Schlossberghalle auf. © Dagmar Rutt

Umstände, von denen sich die Partei in der mit blauen Plakaten zugepflasterten Schlossberghalle nicht bremsen lässt. Chrupalla bittet vielmehr um „Respekt, sich nicht in Angelegenheiten anderer Länder einzumischen“ und meint mit Blick auf französische und italienische Parteien: „Wir werden nach der Wahl geeignete Partner finden.“ Einen geeigneten Ersatz für Krah und Bystron fand AfD-Kreisvorsitzender Prof. Info Hahn in Markus Buchheit, den er kurzfristig als „Überraschungsgast“ angekündigt hatte. Mit ihm erreicht die Stimmung beim ohnehin ständig kräftig applaudierenden Publikum ihren Höhepunkt – als er einen „Exorzismus“ im EU-Gebäude fordert oder als er dessen Mitarbeiter „hochbezahlte Sesselfurzer“ nennt. Buchheit, seit fünf Jahren Mitglied im EU-Parlament, Listenplatz sieben, soll es nun richten für die AfD in Brüssel und Strasbourg.

Der „Überraschungsgast“: EU-Parlamentsabgeordneter Markus Buchheit von der AfD.
Der „Überraschungsgast“: EU-Parlamentsabgeordneter Markus Buchheit von der AfD. © Dagmar Rutt

Vor Buchheit spricht auch noch Katrin Ebner-Steiner, Fraktionschefin im Landtag, die sich angesichts der Parteipersonalien an das Kinderlied „Zehn kleine hm hm hm“ erinnert fühlt. Sicherheitshalber schiebt sie die Erklärung „Zehn kleine schwarze Menschlein“ noch hinterher. Während Landschaftsökologe Hahn den menschengemachten Klimawandel stark in Zweifel zieht und vor „Windindustrieanlagen“ und „Monstertürmen“ in Gauting warnt, sagt Chrupalla in Richtung der Gegner auf dem Kirchplatz: „Die haben keine Angst um, sondern vor der Demokratie.“ Die Hauptgegner der AfD, die sich mehrfach um die Meinungsfreiheit sorgt, heißen am Grundgesetz-Geburtstag jedenfalls Ursula von der Leyen (Chrupalla: „Die gefährlichste Politikerin Europas“) und „Strack-Rheinmetall“. In solchen Momenten klatscht die Menge nicht mehr nur – sie johlt.

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