„Die zweite Sünde an der Jugend“ – Wie die Signa-Gruppe Immobilienpreise aufblies

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Ein ganzes Land fragt sich, wie es mit der Signa-Gruppe zum größten Insolvenzverfahren in Österreichs Geschichte kommen konnte. Nun bringt ein Finanzbeamter Licht ins Dunkel – zumindest ansatzweise.

Wien – Nachdem kurz vor dem Jahreswechsel bereits zwei der wichtigsten Immobilienunternehmen des Signa-Imperiums Insolvenz angemeldet haben, geht es aktuell mit neuen Insolvenzen verschiedener Warenhausimmobiliengesellschaften weiter. Zu den Gründen für die um sich greifenden Insolvenzen gehören unter anderem ein schwieriges Zinsumfeld und Vorwürfe der EZB – soweit zumindest die Erklärung von Signa selbst. Ein österreichischer Finanzbeamter hat eine andere Erklärung.

Name des Unternehmens Signa Holding
Abstimmung der Gläubiger über den Sanierungsplan 12. Februar
Schulden des Konzerns (Stand 6. Januar 2024) 12 Milliarden

Das Geschäftsmodell der Signa-Gruppe

„Das Geschäftsmodell von Benko ist eine zweite Sünde an der Jugend nach der Klimakatastrophe.“ Mit diesen Worten fasste Dr. Wolfgang Peschorn, Präsident der Finanzprokuratur in Österreich, die aktuellen Geschehnisse um die Signa-Gruppe zusammen. Im Interview mit dem ORF Anfang Januar gab Peschorn einen Überblick darüber, mit welchen Praktiken und Problemen sich die Gläubiger der Signa-Gruppe derzeit auseinandersetzen. Eines dieser Probleme sind die International Financial Reporting Standards (IFRS). Diese sehen unter anderem vor, dass auch zukünftige Gewinnerwartungen bilanziell erfasst werden können. Als Erklärung dafür eignet sich eine fiktive Galeria-Kaufhof-Filiale mit dem erdachten Wert 100.

Ein mit dem Thema vertrauter Insider erklärt dies – stark vereinfacht – wie folgt: „Gehen wir von einer Beraterin aus, die sich im Bewertungsbereich von Immobilien gut auskennt. Sie sagt mir, dass ich die bestehenden Gebäude abreißen und durch ein größeres und anders zu nutzendes Gebäude ersetzen könnte. Sie denkt dabei an eine gemischte Nutzung, vielleicht mit Geschäften, Büros und Apartments, um einen höheren Antrag aus der Vermietung zu erlösen. Wenn ich das denke und bilanziell umsetze, ist die Liegenschaft nicht mehr 100 Wert, sondern plötzlich 300. Nun muss ich es nur mehr schaffen, diese vermeintliche Wertsteigerung über eine Ausschüttung für mich und meine Investoren als Gewinn zu effektuieren.“

Sicherheitsnetze im Immobiliensektor schlagen fehl?

Wichtig dabei sei allerdings, dass diese Maßnahmen gesetzlich erlaubt sein müssen. Und dass sie nach Vollzug aus heutiger Sicht erwartete Einnahmen bringen. Diese Gewinne könne man dann in die Bücher aufnehmen. „Es ist sicherlich dann ein Problem, wenn Personen agieren, die die notwendige Verantwortung vermissen lassen“, erklärt Peschorn im ORF. „Und hier sind einige verantwortlich für diese Bilanzvorstellungen. Zum Beispiel der Vorstand und die Wirtschaftsprüfer, die auf der einen Seite als Berater im Immobilienbereich tätig werden.“

Baustopp am Rohbau des Elbtowers in Hamburg. Gesucht wird ein neuer Investor.
„Die zweite Sünde an der Jugend“ – Wie die Signa-Gruppe Immobilienpreise aufblies © IMAGO / Markus Tischler

Die Signa habe hier einschlägige Prüfer als Berater gehabt. Grundsätzlich gebe es mehrere Sicherheitsnetze. „Aber wenn das so stattfindet wie hier, muss man sich ernste Sorgen machen.“

Gewinne der Zukunft, heute realisiert

Der Zweck der so erklärten Praxis ist vor allem eine sofortige Realisierung von Gewinnen. Mit diesem Gewinn müssen dann die Investoren und auch der Konzern selbst bedient werden. Das Unternehmen weise keine echten Gewinne in der Bilanz aus, sondern lediglich prognostizierte, und schütte diese trotzdem an Aktionäre und Investoren aus. „Das ist derselbe sorglose Umgang wie mit den Ressourcen dieses Planeten“, sagt der Präsident der Finanzprokuratur dazu. „Ich entziehe der Zukunft die Gewinne, um sie in der Gegenwart zu transformieren.“

In der tatsächlichen Zukunft könnten diese Gewinne also nicht mehr gemacht werden – sie sind schließlich schon realisiert, mitsamt aller makroökonomischen Umstände, die den tatsächlichen Gewinn vielleicht beeinflussen. Weiterhin betreffe diese Praxis nicht nur ein paar „reiche Leute“, die dann eben noch reicher werden, sondern seiner Meinung nach alle. Ein solches Geschäftsmodell bedeute im Grunde nur, dass die Bodenressourcen unter wenigen aufgeteilt und anderen entzogen würden. Peschorn wird deutlich: „Das ist eine soziale Frage von erheblicher Bedeutung.“

Wertverlust bei Immobilien aus der Signa-Gruppe

Während der laufenden Insolvenzverfahren kam es außerdem zu teils massiven Wertverlusten bei den Immobilien in den Portfolios der Sub-Unternehmen im Signa-Konzern. Ein Insider stellte hier zweierlei klar: Erstens müsse geprüft werden, von welchem Wert ursprünglich ausgegangen wurde. Wenn ein Konzern Immobilien künstlich hochbilanziert, schrumpfe der Puffer, den er sonst im Bilanzierungsspielraum hätte.

Kommen externe, tatsächliche Markteffekte dazu, etwa ein Attraktivitätsverlust des Standortes Frankfurt, so schlagen diese sofort durch. „Wenn wir zu unrealistischen Werten jetzt realistische Werte setzen, ist allein rechnerisch ein Wertverfall gegeben“, erklärt der Insider, der namentlich nicht genannt werden will.

Beteiligung statt Assets bei der Signa-Gruppe

Aber wie sieht es mit dem Wertverfall bei Signa tatsächlich aus? Wichtig ist hier, dass die Gruppe aus unzähligen weiteren Gesellschaften besteht. Drei große Gesellschaften sind nun insolvent: Signa Holding, Signa Prime und Signa Development, bei der die erstgenannte über den anderen beiden Firmen steht.

Die Signa Holding hat dabei keine tatsächlichen Assets, sondern Beteiligungen an verschiedenen Gesellschaften. Bei Prime und Development ist das genauso, nur dass sie wesentlich näher an den tatsächlichen Assets dran sind. Wenn also die Holding Wertverluste hinnimmt, dann nur auf der Beteiligungsseite. Der Insider spricht hier von einem mittelbaren Effekt: Der Wertverfall von Signa Holding spiegelt vor allem den Wertverlust ihrer Beteiligung an Signa Prime oder Signa Development wider.

„Das Leben ist gefährlich“

Und wie geht das Ganze weiter? Aktuell versucht die Signa-Gruppe, ihr Inventar zu veräußern. Unter anderem stehen Sessel, Schuhmatten, Tische und Mülleimer zur Auktion. Am 12. Februar stimmen die Gläubiger über den Sanierungsplan des Konzerns ab.

Ob die Insolvenz-Welle für das Gesamtmanagement und die Aufsichtsräte etwaige strafrechtliche Folgen haben könnte, steht noch in den Sternen. „Natürlich kann es strafrechtliche Konsequenzen geben“, sagt Peschorn gegenüber dem ORF. Unter anderem zählt er die Verschleppung der Insolvenzeröffnung, Untreue und gar Betrug als mögliche Ursachen dafür auf. „Das Leben ist gefährlich.“

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