Kriegseinsatz, Wehrpflicht und Co.: Bundeswehr-Studenten sprechen offen über ihren Alltag
Es ist ein Leben zwischen Vorlesung und möglichem Kriegseinsatz, das die Studenten an der Universität der Bundeswehr in Neubiberg führen. Zwei von ihnen sprechen offen über ihren Alltag.
Den Risiken seiner Berufswahl ist sich Fähnrich Benjamin G. durchaus bewusst. „Ich weiß, wofür ich unterschrieben habe: im Zweifelsfall mein Land zu verteidigen – und nicht nur gut bezahlt zu studieren.“ Der 20-Jährige studiert im Rahmen seiner Offiziersausbildung an der Universität der Bundeswehr in Neubiberg. Er und seine Kameradin und Kommilitonin, Leutnant Anna-May A. (24), berichten davon, wie sie nach Ausbruch des Ukrainekrieges auf ihre Berufswahl blicken – und warum so viele Menschen ein schlechtes Bild von der Armee haben. Sie wollen dabei anonym bleiben, um ihre Identität zu schützen.
Ob er einen Einmarsch Russlands in die Ukraine für wahrscheinlich halte, wurde Benjamin G. noch im Januar 2022 in seinem Vorstellungsgespräch bei der Bundeswehr gefragt. Der Offizier, der ihn interviewte, glaubte nicht, dass es so weit kommen würde, während Benjamin G. den Krieg korrekt vorhersagte – einige Monate später begann er mit seiner Grundausbildung als Soldat. Ob sich nach Ankündigung der Zeitenwende in der Bundeswehr etwas verändert hat, kann er also nicht sagen. „Was ich aber bisher beobachten konnte, gibt man sich in der Bundeswehr alle Mühe und versucht, sich der Zeit anzupassen – vieles wird aber durch selbst auferlegte Vorschriften verlangsamt.“
Kriegseinsatz ein „Berufsrisiko“
Benjamin G., der ursprünglich aus Schleswig-Holstein kommt, ist seit zwei Jahren bei der Bundeswehr, davon bereits ein Jahr an der Universität, wo er Staats- und Sozialwissenschaften studiert, weil er sich für Politik interessiert. Für die Dauer des Studiums, das Teil der Offiziersausbildung ist, werden er und seine Kommilitonen nicht in der Truppe eingesetzt. Nach seinem Abschluss wird Benjamin G. in der Heeresaufklärung dienen. Auf die Frage, ob er befürchtet, einmal selbst in den Krieg zwischen der Ukraine und Russland verwickelt zu werden, sagt er: „Die Bundeswehr wird nur eingesetzt, wenn unser Parlament das beschließt. Und das wird sich das schon gut überlegen, Demokratien setzen ihre Armeen niemals leichtfertig ein.“ Dennoch sei ihm bewusst, dass ein Einsatz der deutschen Armee in dem Konflikt durchaus möglich sei. „Das gehört zum Berufsrisiko.“
„Nach Ausbruch des Ukrainekrieges ist einem die Bedeutung der Arbeit nochmal viel klarer geworden“, sagt auch Anna-May A. aus Hildesheim. Seit Abschluss ihrer Grundausbildung in der Truppe und einem Lehrgang an der Offizierschule studiert sie Management und Medien und wird danach in der Artillerie dienen. „Natürlich hat man sich am Anfang mal Gedanken darüber gemacht.“ Angst habe sie aber nicht. „Wir werden dafür ausgebildet und wir sind ja kein Pfadfinderverein.“ Durch den Krieg seien an der Bundeswehr-Uni viele Diskussionen angestoßen worden, das sei auch gut so. „Aber die Veränderung durch die Zeitenwende braucht natürlich Zeit, die Demokratie ist nun mal langsam.“ Dass US-Präsident Donald Trump angedroht hat, Europa müsse sich künftig selbst verteidigen, findet Anna-May A. gar nicht so schlecht, denn dadurch würden Europa und die Nato endlich mal wachgerüttelt.
Dienst für die Gesellschaft
Warum entscheidet man sich als junger Mensch überhaupt für einen Berufsalltag in der Kaserne? „Ich wollte einen Job, in dem man jeden Tag etwas anderes erlebt“, sagt Anna-May A. Vor ihrem Dienst studierte sie ein Jahr lang zivil, merkte aber schnell, dass ein klassischer Schreibtischjob nichts für sie ist. „Ich wollte etwas, wo ich mich persönlich weiter entwickeln kann und einen Dienst für die Gesellschaft leisten kann.“
Auch die Disziplin, die sie in der Armee vermittelt bekommt, findet sie wichtig. „Und das ist ja bei der Bundeswehr nicht Drill und Rumschreien, wie manche meinen, sondern es sind auch Werte, die einem da mitgegeben werden.“ Besonders reize sie, dass man schon in jungen Jahren viel Verantwortung bekomme. Das sagt auch Benjamin G. Er durfte bereits für einige Zeit eine Gruppe leiten. Das Vorurteil, dass man in der Bundeswehr nur blinder Befehlsempfänger sei, stimme nicht: Das Ziel sei vorgegeben, doch wie genau dieses erreicht wird, liege im eigenen Ermessen.
Wir werden dafür ausgebildet und wir sind ja kein Pfadfinderverein.
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Materialmangel, schlechte Ausrüstung, zu wenig Personal: Über die Probleme in der Bundeswehr wird ständig berichtet. Gravierende Mängel in der Ausrüstung hat Anna-May A. bisher nicht erlebt. Jedoch findet sie: Die Bundeswehr müsste in der Gesellschaft wieder sichtbarer werden, damit man mehr Nachwuchs gewinnen könne. Oft hörten junge Leute von Angehörigen, dass man sich nicht bei der Bundeswehr bewerben solle, denn dort sei alles schlecht. Solche „unqualifizierten Aussagen von Leuten, die gar keine Ahnung haben oder vor x Jahren mal ihren Wehrdienst gemacht haben“ schrecken viele Interessierte ab, glaubt Anna-May A.
Benjamin G. sieht in der Abschaffung der Wehrpflicht einen Grund, warum viele mit der Armee fremdeln. „13 Jahre sind Generationen aufgewachsen, ohne dass sie in Kontakt mit dem Militär gekommen sind.“ Dass für viele Leute Soldaten etwas Außergewöhnliches sind, merken Benjamin G. und Anna-May A. an den vielen neugierigen Blicken, wenn sie in Uniform auf der Straße unterwegs sind. Einmal habe jemand zu Benjamin G. in der Bahn gesagt: „Sie werden sicher gerade dazu ausgebildet, Kinder zu töten, oder?“ Dennoch betont der junge Soldat: „Ich habe auch ganz viele tolle Gespräche gehabt.“ So erlebt es auch Anna-May A. Sie wird häufig in der Öffentlichkeit angesprochen – vor allem dazu, wie es als Frau in der Bundeswehr ist. Dazu sagt sie schlicht: „Man wird nicht anders behandelt.“ Dass die Leute interessierte Fragen stellen, findet sie gut.
Wieder Dienst an der Waffe für alle?
Was halten die beiden Soldaten von der Wiedereinführung der Wehrpflicht, über die gerade viel diskutiert wird? Prinzipiell wäre es gut, wenn wieder alle Dienst leisten müssen, findet Anna-May A. „Ich glaube, es würde der jüngeren Generation nicht schaden, mal über den Tellerrand zu schauen, mal wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt zu werden.“ Sie glaubt aber auch: Die Infrastruktur der Bundeswehr wäre damit aktuell überfordert, „weil die Bundeswehr jahrelang heruntergewirtschaftet wurde“.
Das Modell von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), nach dem jeder junge Mann einen Fragebogen der Bundeswehr ausfüllen muss, findet Benjamin G. sinnvoll. Er sagt aber auch: Eigentlich erfordere es die politische Lage, eine allgemeine Wehrpflicht einzuführen. „Europa ist einfach weniger friedlich als früher. Wir können es uns weniger leisten, unsere Verteidigung anderen Staaten zu überlassen.“