Die Ausstellung „Zero“ ist zu Gast am Gymnasium. Zum Auftakt spricht Dr. Gisela Bolbecher über Schule und Kinder, die unter FASD leiden.
Geretsried – Ein Gläschen Sekt oder ein Radler in der Schwangerschaft machen doch nichts, oder? Ein Irrglaube, der fatale Folgen haben kann. Welche Folgen, das veranschaulichte Dr. Gisela Bolbecher. Die Vorsitzende des FASD-Netzwerks Nordbayern hielt im Rahmen der Ausstellung „Zero“, die derzeit in Geretsried zu sehen ist, einen Vortrag für Lehrkräfte, bei dem es um Schädigungen, die durch mütterlichen Alkoholkonsum während der Schwangerschaft entstehen können, ging. Unsere Zeitung war dabei.
„Alkohol verursacht beim Ungeborenen irreparable Schäden und ist die häufigste Ursache für Entwicklungsverzögerungen bei Kindern“, so Bolbecher. Sie zeigt den Zuhörern Bilder von Kindern und Jugendlichen, sie sollen schätzen, wie alt diese sind. Bei fast allen liegt das Publikum richtig - nur bei einem Mädchen nicht. Sie schätzen es auf elf, zwölf Jahre. In Wirklichkeit ist es 23. Es hat FASD, die Fetale Alkoholspektrum-Störungen (englisch: Fetal Alcohol Spectrum Disorder/FASD). Aber nicht nur was das Aussehen anbelangt, werden Kinder mit FASD jünger geschätzt - auch vom Verhalten her. Mehrere tausend Kinder mit FASD kommen Bolbecher zufolge jährlich in Deutschland zur Welt.
Alkohol ist in jedem Stadium der Schwangerschaft gefährlich, sagt sie. Über Mutterkuchen und Fruchtwasser gelangt es zum Kind. „Ein Ungeborenes hat keine Enzyme, um Alkohol abzubauen“, so Bolbecher. „Alkohol bleibt viel länger im Fruchtwasser, als im mütterlichen Blut. Das Kind trinkt also immer wieder davon.“ Das beeinflusst viele Prozesse im Körper des Ungeborenen negativ. Körperliche Folgen können ein kleiner Kopf, eine schmale Oberlippe, eine kurze Lidspalte oder ein geringes Gewicht sein, zählt Bolbecher einige Merkmale auf. Geistig macht sich FASD häufig durch einen niedrigen IQ oder Lern- und Konzentrationsschwierigkeiten bemerkbar. Auch zeigt sich FASD oft in auffälligem Verhalten: Betroffene haben häufig ein reduziertes Schmerzempfinden, sind schnell reizbar und kennen keine Distanz.
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In der Schule kann all das für FASD-Kinder zum Verhängnis werden, weiß Bolbecher. Sie kümmert sich selbst um Kinder mit FASD. „FASD-Kinder müssen sich beim Lösen einer Aufgabe viel stärker anstrengen, als gesunde Kinder. Wenn sie eine eigentlich schon bekannte Aufgabe lösen wollen, müssen sie im Gehirn jedes Mal neu nach der Lösung suchen. Die nächste Folie, die Bolbecher in ihrer Präsentation zeigt, ist ein Text, über den gekritzelt wurde. „So ist Schule für Kinder mit FASD“, erklärt sie den anwesenden Pädagogen. „Sie müssen sich die ganze Zeit anstrengen.“ Diesen Kindern werde oft unterstellt, dass sie nicht lernen wollen. Dabei fällt es ihnen schwer, so die Expertin, mehrere Dinge parallel zu erledigen. Zudem können sie Regeln nicht umsetzen, verwechseln Bücher, Hefte und Mappen. „Sie werden entweder zum Außenseiter oder zum Klassenclown“, stellt Bolbecher klar. „Wer mit FASD nicht die richtige Behandlung erhält, wird im Leben scheitern.“
Deshalb ist Bolbecher die Aufklärung so wichtig: „Wir müssen darüber reden“, betont sie immer und immer wieder während ihres Vortrags. Sie plädiert für eine Anpassung von Lehrstilen an FASD-Kinder, genauso wie dafür, Aufgaben an deren Fähigkeiten anzupassen sowie eine Integration in die Klassengemeinschaft und Schulbegleitung. „Schulbegleiter geben Struktur“, unterstreicht sie. „Sie kann die Selbstständigkeit und das Selbstbewusstsein fördern.“ Genauso können sie den FASD-Kindern Informationen verständlich übersetzen oder die Hausaufgaben aufschreiben. Bei den Lehrerinnen und Lehrern im Publikum appelliert sie an Geduld für viele Wiederholungen und dafür, das Klassenzimmer möglichst reizarm zu gestalten. Die Pädagogen lauschen konzentriert und machen sich fleißig Notizen.
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Ausstellung kann an zwei Tagen besichtigt werden
Mehr über Schwangerschaft, Alkohol und FASD erklärt die Wanderausstellung „Zero“, die derzeit im Gymnasium in Geretsried zu Gast ist. Ein begehbares Kuppelzelt stellt die Gebärmutter dar. Darin werden 40 Wochen Schwangerschaft aus der Perspektive des ungeborenen Kindes erlebbar. Finanziert wird die Ausstellung unter anderem Bundesministerium für Gesundheit und der Techniker Krankenkasse, im Landkreis von KoKi, dem Netzwerk frühe Kindheit. Angemeldete Schulklassen können die Ausstellung von 20. bis 28. Juni besuchen, daneben ist sie an diesem Samstag, 22. Juni, von 11 bis 15 Uhr, sowie am Donnerstag, 27. Juni, von 16 bis 20 Uhr, für jeden, der sich für das Thema interessiert, geöffnet. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Der Eintritt ist frei.