FDP will „Migrationspakt der Mitte“ - Im Asyl-Streit gibt es eine letzte Chance – doch Grüne haben einen bösen Verdacht
Noch als am vergangenen Freitag im Bundestag die Redeschlacht um das Zustrombegrenzungsgesetz tobte, erhob der Journalist Michael Bröcker die FDP in einem Tweet zum Gewinner des Tages. Es dauerte nicht lange, bis Parteichef Christian Lindner den Post teilte. Es wirkte wie der Versuch, eine Erzählung zu befeuern, die der FDP im Wahlkampf noch helfen könnte.
Die Liberalen hatten zuvor vorgeschlagen, das Zustrombegrenzungsgesetz zusammen mit anderen Gesetzen noch einmal in Ruhe im Ausschuss zu besprechen und sie dann gemeinsam mit Union, SPD und Grünen zu verabschieden – ohne Stimmen der AfD. Geglückt ist das im Chaos des Freitags nicht. Doch am Montagabend hat die FDP einen neuen Anlauf gestartet – wohl auch aus strategischen Überlegungen.
FDP will Punkte der Union mit altem Ampel-Gesetz verbinden
Die Idee klingt pragmatisch: Die Punkte aus dem am Freitag durchgefallenen Zustrombegrenzungsgesetz sollen in ein anderes Migrationsgesetz übernommen werden, das SPD und Grünen wichtig ist. Dabei handelt es sich um das Gesetz zur nationalen Umsetzung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Es wurde noch am letzten Tag der Ampel im Kabinett verabschiedet, fortan fehlte aber eine Mehrheit im Bundestag.
Wenn nun FDP und Union ihre Blockade aufgeben würden, SPD und Grüne dafür die Punkte aus dem Sicherheitspaket akzeptieren würden, wäre allen geholfen – so zumindest argumentiert FDP-Fraktionschef Christian Dürr in einem Brief an seine Kollegen. Die FDP bietet sogar an, die Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte zeitlich zu befristen. So würde ein wichtiges rechtliches Argument der Sozialdemokraten entfallen.
FDP will zum Brückenbauer werden
Dürr betont in seinem Brief die konstruktive Rolle der FDP: „Die Freien Demokraten verstehen sich als Brückenbauer, damit in der Migrationspolitik endlich etwas gelingt.“ Als Brückenbauer dürften zuletzt aber nicht mehr allzu viele Bürger die FDP gesehen haben.
Viele Menschen ärgerten sich über den offenbar minutiös geplanten Koalitionsbruch von Lindner und seinen Vertrauten. Tenor vieler Kommentare nach entsprechenden Enthüllungen war es, dass die FDP in der Endphase der Ampel gar nicht mehr an Kompromissen interessiert war. In den Umfragen konnte die Partei die Fünf-Prozent-Hürde kaum noch überwinden.
Das ist nun einige Wochen her. Womöglich ist genug Zeit vergangen, um den Versuch zu starten, der Partei ein neues Image zu verpassen. Das Bild einer staatstragenden Partei, die eines der drängendsten Themen der Bürger anpackt, deshalb Gutes tut für Demokratie und dafür auch bereit ist, einen Schritt auf andere Parteien zuzugehen.
Christian Lindner kämpft um die Aufmerksamkeit
Der Vorstoß für den „Migrationspakt der Mitte“, wie Dürr ihn nennt, könnte nicht nur das Imageproblem beseitigen, sondern noch bei einem zweiten Problem helfen. Die FDP dringt im Wahlkampf nämlich nur schwer durch.
Die öffentliche Debatte bestimmte mal die AfD mit der Unterstützung von Elon Musk, mal sprachen die Bürger tagelang über den Grünen-Vorstoß zu Sozialabgaben, zuletzt stand in der Migrationsdebatte vor allem die CDU im Mittelpunkt. Dass die FDP als kleine Partei nur noch wenig in ARD und ZDF stattfindet, hilft ebenfalls nicht.
Parteichef Lindner müht sich deshalb ab. Mit mehr als 70 Wahlkampfauftritten im Januar und Februar ist sein Pensum deutlich höher als das seiner Spitzenkandidaten-Kollegen. Doch das allein reicht nicht, die FDP müsste mal wieder ins Zentrum – nach Möglichkeit positiver – Berichterstattung gerückt werden. Eine Bundestagsdebatte über den Migrationspakt, den die FDP eingefädelt hat, wäre dafür perfekt.
Mützenich hat Vorschlag offenbar erst aus Medien erfahren
Bei SPD und Grünen ist man aber wenig begeistert. Rolf Mützenich, Fraktionschef der Sozialdemokraten, hält den Vorstoß für ein allzu offensichtliches Wahlkampfmanöver. In einer Antwort am Dienstag beschwert er sich darüber, zuerst über die Medien von dem Kompromissangebot erfahren zu haben.
Mützenich zeigt sich zwar weiter offen für pragmatische Lösungen, will die offenbar aber nur zu seinen Bedingungen. So spricht er auch davon, dass das Zustrombegrenzungsgesetz zu Recht abgelehnt worden sei, er sieh unter anderem juristische Bedenken. Das heißt auch: Eine Übernahme in das GEAS-Gesetz ist wahrscheinlich keine Option.
Noch schärfer weist SPD-Innenpolitiker Hakan Demir den Vorstoß zurück. „Auf einen Mord an Kindern damit zu reagieren, dass Kriegsflüchtlinge, die rechtmäßig hier sind, ihre Familie nicht mehr nachholen dürfen, ist diese Woche genauso falsch wie am Freitag“, sagte er FOCUS online. Die SPD reagiere „nicht auf Straftaten von Einzelnen, indem wir die Rechte von völlig unbeteiligten Personen einschränken“.
Grüne wittern „ein politisches Spiel“ der FDP
Auch die Grünen lehnen den Vorschlag der FDP ab. Irene Mihalic, parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion, weist darauf hin, dass ihre Partei am vergangenen Freitag noch zu einem Last-Minute-Kompromiss bereit gewesen wäre, den dann aber die FDP abgelehnt habe. „Vor diesem Hintergrund können wir in dem Schreiben von Christian Dürr kein ernsthaftes Gesprächsangebot erkennen. Vielmehr scheint es der Versuch zu sein, das Desaster von Freitag zu überdecken.“ Mihalic vermutet „ein politisches Spiel“ der FDP.
Dabei gäbe es durchaus auch Argumente für den Kompromissvorschlag. Die grüne Außenministerin Annalena Baerbock hatte für eine möglichst liberale Umsetzung der europäischen Asylreform gekämpft. Sie hätte jetzt unverhofft die Möglichkeit, das GEAS-Gesetz in dieser Form durch den Bundestag zu bringen.
Und auch die Sozialdemokraten sind inhaltlich eigentlich nicht so weit entfernt vom möglichen Kompromiss. In der Großen Koalition unter Angela Merkel gab es nämlich schon einmal die befristete Aussetzung des Familiennachzugs. Die SPD-Ministerpräsidenten haben im vergangenen Jahr ebenfalls schon die Bereitschaft gezeigt, Inhalte des Zustrombegrenzungsgesetzes umzusetzen.
Der FDP bleibt nun aber wohl eine weitere Debatte zur Migrationspolitik verwehrt, in der sie sich als Brückenbauer präsentieren kann. Möglicherweise geht die Strategie sogar nach hinten los: Weil SPD und Grüne nun wieder argumentieren werden, Christian Lindner und Christian Dürr würden nur taktieren.