950 Quadratmeter geordnetes Engagement
Isen - Die Flüchtlingshilfe Erding gibt Einblicke in ihr Lager und die Dimension ihrer Initiative.
Sie bewegen etwas. Ganz konkret rund 350 Paletten, bestückt mit jeweils 20 großen Umzugskartons voller exakt sortierter Ware. Von Frauen-Kurzarm-Oberteilen XS über Männerschuhe, Größe 43, bis hin zu eigens genähten Baby-Bags mit allem, was kleine Erdenbürger so brauchen – bei der Bestückung der Stofftaschen wird zweckmäßig gegendert. Diese Genauigkeit hat der Flüchtlingshilfe Erding innerhalb eines großen Helfernetzwerks, das sich weit über die deutschen Grenzen hinweg spannt, einen guten Ruf beschert. Am Samstag zeigte die Helfergemeinschaft, wie sie vom 950 Quadratmeter großen Lager in Isen aus Dinge, die jemand nicht mehr braucht, dahin bringt, wo sie jemand dringend braucht.
45 Sattelschlepper mit über 1500 Paletten
Früher beherbergten die Gebäude an der Erdinger Straße in Isen eine Batteriefabrik. Jetzt reihen sich in der ersten Halle Kartons auf Metallregalen, jeder Stellplatz ist exakt gekennzeichnet, an jedem Karton ist der Inhalt schriftlich und piktografisch dokumentiert. 118 Kleidungs-Kategorien, die zwischen Sommer- und Winter-, Männer-, Frauen- und Kinderkleidung und Größen unterscheiden, ermöglichen eine bedarfsgerechte Versorgung. Eben diesen Service schätzen die Organisationen, die bei Sabrina Tarantik anfragen. Sie hat den Verein Flüchtlingshilfe e.V. im Jahr der großen Flüchtlingswelle 2015 gegründet, damals mit einer Tasche aussortierter Kleidungsstücke, wie sie selbst erzählt. Heute hat der Verein rund 200 Mitglieder und schickte zu Rekordzeiten im ersten Jahr des Ukraine-Krieges 45 Sattelschlepper mit über 1500 Paletten in Krisengebiete.
Die Liste der Abnehmer, die Tarantik am Tag der offenen Tür präsentiert, umfasst mehr als 100 Organisationen, darunter die Ankerzentren in Deggendorf und Manching, die Osteuropahilfe, die Tafel Bayern oder die Katholischen Männerfürsorgevereine Moosburg und München. Die Waren aus dem Isener Lager werden in alle Himmelsrichtungen transportiert. So verlassen demnächst Kartons auf mehreren Paletten den zweiten Lagerraum in Richtung Syrien und Ghana. Einmal im Monat transportiert ein Lkw der Osteuropahilfe sogenannte B-Ware nach Rumänien. Der Begriff B-Ware bezeichnet Kleidungsstücke, die zwar einwandfrei sind, aber nicht mehr der Mode entsprechen. „Da sind zum Beispiel Trainingsanzüge aus den 70ern dabei“, erläutert Tarantik.
Priorität: Hilfe für die Heimat
Priorität haben jedoch die Bedürftigen in der Heimat. Auch das Landratsamt Erding fragt spezielle Hilfsgüter an: Wird zum Beispiel eine drogenabhängige Mutter in ein Klinikum eingeliefert, bestellt die Behörde ein Care-Paket für das Kind. Für Babys näht Marika Hiermann Säcke aus bunten Stoffen, die mit sauber gefalteter Kleidung in geschlechtsspezifischer Farbe, altersgerechten Spielsachen und Bedarfsartikeln wie Nuckelflaschen bestückt werden. Auch Krankenhäuser wie das Klinikum Großhadern gehören zum Kundenkreis. Zusätzlich fragen Kindergärten und Schulen an, die vor allem ihr Angebot an Spielsachen aufforsten möchten. Sogar für die Klinikclowns gibt es eine eigene Box, in der etwa Kostüme oder Scherzartikel gesammelt werden. Weitere 65 Kategorien sind für den Kleiderladen in Erding vorgesehen. Weggeworfen wird nichts. So landen zum Beispiel abgelaufenes Desinfektionsmittel und alte Handtücher bei der Igelhilfe oder im Tierheim.
200 Mitglieder, viele Helfer
„Wir liefern 100 Prozent einwandfreie Ware, andere Organisationen haben das logistische Know-How, um sie dorthin zu bringen, wo sie gebraucht wird“, erklärt Tarantik. Ihre frühere Arbeit im Vertrieb eines Steinhöringer Unternehmens kam ihr sowohl beim Aufbau eines funktionierenden Netzwerks als auch bei der Planung innerhalb des Helferkreises zugute. „Ich bin gut im Projektmanagement“, sagt sie. Ihr Credo: „Aus nix vui macha.“ Zu ihren zentralen Aufgaben als Geschäftsführerin des Vereins gehört es, Menschen für die ehrenamtliche Tätigkeit zu begeistern und ihre freiwilligen Arbeitseinsätze zu koordinieren und zu organisieren.
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Neben den rund 200 zahlenden Mitgliedern gibt es noch viele Helfer, die Kleidung falten, Waren sortieren oder bei technischen Problemen einspringen. Wie zum Beispiel der technisch versierte Besucher am Tag der offenen Tür, der Tipps gibt, um den Energieverbrauch in den Lagerhallen zu reduzieren. Und der ist erheblich: Im Winter belaufen sich die Nebenkosten auf 1000 Euro – damit die Kleidung keine Stockflecken bekommt, bedarf es einer Raumtemperatur von mindestens 16 Grad und einer maximalen Luftfeuchtigkeit von 45 Prozent.
Essen in Isen kommt aus Passau
Das Geld macht Tarantik zu schaffen: Noch kann sie die monatlichen Fixkosten in Höhe von 15 000 Euro mit Rücklagen aus Spendengeldern bezahlen. Doch so viel wie im ersten Jahr des Ukraine-Kriegs gehen nicht mehr auf dem Konto ein. Um die Mietkosten von 6000 Euro monatlich zu bestreiten, hat sich der Verein eine Patenschaft von sieben Euro für einen Lager-Quadratmeter einfallen lassen. „Wir machen weiter, so lange das Geld reicht“, sagt Tarantik, die ihren Job aufgab, um die Fülle an Aufgaben im Verein überhaupt noch bewältigen zu können. Zunächst bezahlte sie das Rote Kreuz, nach dem Auszug aus dem Lager auf dem Bundeswehr-Areal in Erding stellte sie der Verein an. Auch ihr Lohn wird mit Spendengeldern finanziert.

Doch ohne die Unterstützung anderer engagierter Menschen läuft auch bei der Flüchtlingshilfe Erding nichts. Zum Tag der offenen Tür ist das Ehepaar Weigel mit seinem Umino-Transporter samt Anhänger von Passau nach Isen gefahren. Stefan Weigel, Ingenieur und Rettungssanitäter, hat mit seiner Frau Brigitte einen Anhänger in eine rollende Profiküche umgebaut und den Verein Unterstützung für Menschen in Not, kurz Umino, gegründet. Bekocht werden vor allem Opfer von Katastrophen wie dem Hochwasser in Pfaffenhofen dieses Jahr, aber auch bei Veranstaltungen von Partnern wie dem Tag der offenen Tür der Flüchtlingshilfe Erding gibt es gutes Essen zum Nulltarif.
Bald anderer Name für Flüchtlingshilfe
Mit dem Transporter bringt das Paar Hilfsgüter in Krisengebiete auf dem Balkan oder Flüchtlingsanlandungen in Italien. Sie arbeiten deshalb gerne mit dem Erdinger Verein zusammen, weil sie hier exakt die Güter bekommen, die vor Ort gebraucht werden. „So hilft man den Leuten dort am besten, andernfalls bringt man ihnen ja nur mehr Arbeit“, sagt Brigitte Weigel.

Viele Besucher setzen sich selbst für soziale Projekte ein, sind aber doch überrascht von der Dimension des Engagements in Isen. Dafür braucht es die Unterstützung von Menschen wie Alexandra Hohberger, die das „super Miteinander“ schätzt und sichtlich begeistert ist, „etwas Sinnvolles und etwas Gutes zu tun“.
Auch Isens Bürgermeisterin Irmgard Hibler nimmt an einer der Führungen teil und zeigt sich beeindruckt. Mit einem Hinweis auf das Engagement der Flüchtlingshilfe Isen, die sich auf die Einzelbetreuung von Migranten spezialisiert hat, findet sie, dass sich die Flüchtlingshilfe Erding einen anderen Namen geben sollte. „Keiner weiß eigentlich, was die machen“, sagt sie. Dieses Manko haben die Vereinsmitglieder bereits selbst ausgemacht. Ab Januar werden sie unter neuem Namen helfen. Aber nach dem alten Credo: „Wir kriegen’s umsonst und geben’s umsonst weiter.“