Geheimverhandlungen zum Ukraine-Krieg? Dinner-Runde mit Scholz-Gesandten in Washington
Militärisch scheint der Ukraine-Krieg nur schwer zu gewinnen zu sein. Über andere Lösungen wird wohl schon diskutiert – ohne die Kriegsparteien.
Washington – Die Zukunft der Ukraine wird vor allem an der Front entschieden. In den Schützengräben. Auf dem Schlachtfeld. Also genau dort, wo die aus Kiew befehligten Streitkräfte und die Invasoren aus Russland samt ihren Unterstützern seit unzähligen Monaten aufeinanderprallen.
Ukraine-Krieg: Weiterer Verlauf hängt von Lieferungen aus dem Westen ab
Zumindest auf den ersten Blick hängt der Fortlauf des Ukraine-Kriegs eng mit den Gebietsgewinnen und -verlusten im Süden und Osten des Landes zusammen. Essenziell sind aber auch die Gespräche, die Tausende Kilometer entfernt geführt werden. An reich gedeckten Tischen, in wohltemperierten Räumen, unter teuer eingekleideten Männern und Frauen, die es gewohnt sind, dass ihre Entscheidungen Folgen für Millionen Menschen nach sich ziehen.
Denn eines sollte als Beobachter klar geworden sein: Die Ukraine hat vor allem so lange eine Chance, dem aus dem Kreml befeuerten Dauerdruck des Aggressors standzuhalten, wie ihre Unterstützer aus dem Westen ihr mit Lieferungen beistehen. Seien es Waffen, Panzer, Jets oder andere Militärgüter.
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Selenskyj wirbt um Unterstützung: Immer weitere Eskalationen und kaum Fortschritte in der Ukraine
Genau darum agiert – oder reagiert? – der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj so umtriebig. Wirbt um weitere Hilfe. Redet den Verbündeten ins Gewissen. Skizziert die prekäre Situation, in die sein russisches Pendant Wladimir Putin das größte komplett in Europa liegende Land gestürzt hat. Und malt die Schrecken aus, die ihm und seinen Landsleuten drohen.
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Selenskyj weiß, was die Stunde geschlagen hat. Auch angesichts weiterer eskalierender Brandherde wie dem Krieg in Nahost zwischen Israel und der Hamas. Schließlich wird es immer schwerer, den gemeinsam eingeschlagenen Weg zu befolgen, wenn kaum Fortschritte zu erkennen sind. In den Ländern der Unterstützer unter den Bürgern – was nur zu menschlich ist – die Kriegsmüdigkeit überhandnimmt und entsprechend die Zustimmung für weitere Lieferungen sinkt.
Ende des Ukraine-Kriegs: US-Experte fordert Entwicklung von Szenarien
Und so dürfte es sich für die Ukrainer zwar wie ein Nackenschlag anfühlen, aber niemanden wirklich überraschen, was der Spiegel (Artikel hinter einer Bezahlschranke) über „das heikle Russlanddinner beim deutschen Botschafter“ berichtet. Gemeint ist ein Zusammentreffen auf Initiative von Andreas Michaelis, dem deutschen Botschafter in den USA. Dieser habe am 24. Oktober führende amerikanische Russland-Experten begrüßt, als Vertreter der Bundesregierung entsandte Kanzler Olaf Scholz demnach einen seiner engsten Vertrauten, Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt.
Auf dem Plan standen neben einem dreigängigen Menü auch Gespräche über ein mögliches Ende des Krieges. Zu den geladenen US-Gästen zählte Samuel Charap, führender Politikwissenschaftler bei der gemeinnützigen und überparteilichen RAND-Corporation. Er forderte schon in jüngerer Vergangenheit, es müsse auch ein Szenario für das Ende des Krieges entwickelt werden. Denn keine der beiden Seiten habe die Kraft, diesen für sich zu entscheiden, sodass nur immer mehr Leid und Tod über die Ukraine hereinbreche.
Von Schmidt sei Charap bei jenem Zusammentreffen dafür gelobt worden, Denkräume für einen Verhandlungsfrieden zu öffnen, schreibt das Nachrichtenmagazin unter Verweis auf mehrere Teilnehmer. Der SPD-Politiker habe den US-Amerikaner sogar euphorisch gelobt, was aus Schmidts Umfeld allerdings bestritten werde.
Ukraine und die Nato-Frage: Deutschland will erst nach Waffenstillstand entscheiden
Derweil soll der Scholz-Vertraute selbst laut den Anwesenden betont haben, über einen Nato-Beitritt der Ukraine könne erst entschieden werden, wenn ein Waffenstillstand zwischen den Kriegsparteien ausgehandelt sei. Dies wurde laut Spiegel von einem Teilnehmer so verstanden, Schmidt und damit Deutschland würden sich ein Nein in der Nato-Frage offenhalten wollen, um Putin zu einem Friedensabkommen zu bewegen.
Aus dem Schmidt-Umfeld werde diese Denkweise jedoch bestritten. Über eine Mitgliedschaft der Ukraine im transatlantischen Verteidigungsbündnis könne schlichtweg erst nach dem Krieg entschieden werden. Das Treffen sei vielmehr als offener Gedankenaustausch angesehen worden, um auch die Ideengänge der US-Experten kennenzulernen.
Laut dem Bericht würde sich das Kanzleramt aber durchaus wünschen, dass in Deutschland beim Thema Ukraine-Krieg heikle Punkte öffentlich diskutiert werden könnten. Wozu eben auch Forderungen nach ukrainischen Zugeständnissen für ein Ende des russischen Angriffs gehören. Dies offen auszusprechen, käme wohl einem Tabubruch gleich. Der Aufschrei wäre zweifellos bis nach Washington zu hören.

Scholz-Vertrauter in Washington: Treffen mit US-Experten gilt schon als „Russlanddinner“
Schmidts Aussagen in der US-Hauptstadt sollen vor Ort aber für Aufsehen gesorgt haben. Unter Eingeweihten werde das Treffen als „Russlanddinner“ bezeichnet. Auch wenn wohl niemand so weit geht, zu befürchten, der Westen würde hinter dem Rücken der Ukraine heimlich mit Russland über ein Kriegsende verhandeln.
Was nach außen sickerte, nährt allerdings Zweifel an den Aussagen aus Berlin oder Washington, wonach allein die Ukraine entscheiden würde, wann sie bereit sei für Verhandlungen mit Russland. Womöglich soll sie, wenn auch nicht an den Verhandlungstisch gedrängt, so doch zumindest an diesen gewiesen werden.
Über allem steht offenbar nach wie vor die Befürchtung, die Nato könnte in den Krieg hineingezogen und zum aktiven Part werden. Die Folgen wären nicht absehbar: Allein Gedanken an einen möglichen Dritten Weltkrieg oder sogar einen Atomkrieg sind aber Abschreckung genug.
Ukraine abhängig vom Westen: Ende der Unterstützung würde als Schwäche interpretiert
Auf der anderen Seite schaut die Welt ganz genau hin, inwiefern sich der Westen gegen Putins imperialistische Pläne auflehnt. Oder ob die USA, Deutschland & Co. dann doch vor den geopolitischen Bestrebungen Russlands einknicken, um größeren Schaden vom gesamten Erdball abzuwenden.
Zweiteres würde unweigerlich als westliche Schwäche interpretiert werden. Und könnte weltweit Nachahmer Russlands auf den Plan rufen. Die Lage ist also in jedem Fall vertrackt, zumal auch die Moral-Frage nicht so leicht zu beantworten ist.
Die aus Berliner Sicht einzig einfache Lösung wäre ein von Putin befohlener Rückzug. Das bleibt jedoch Wunschdenken. Denn das würde selbst der mächtige Kreml-Chef innenpolitisch kaum überleben. Das weiß er ebenso, wie, dass der Ukraine-Krieg längst zum Kräftemessen zwischen Russland und der Nato mutiert ist. Wie das für die Ukraine endet, liegt schon lange nicht mehr in der Hand von Selenskyj oder den Soldaten, die rund um die Uhr Leben riskieren. (mg)