Reise durch die Emotionen des Komponisten
Es war keine dystopische oder politisch aufgeladene Inszenierung: Das Freie Landestheater Bayern brachte den Klassiker „Don Giovanni“ volksnah und mit lokalen Bezügen auf die Bühne. Von der hervorragenden Besetzung bis zum ausdrucksstarken Orchester war es eine erfolgreiche Premiere im Waitzinger Keller.
Miesbach – Mit grandioser Orchesterleistung und stringent-pointierter Inszenierung inklusive lokaler Bezüge zeigte sich Wolfgang Amadeus Mozarts „Don Giovanni“ des Freien Landestheater Bayerns (FLTB) als volksnaher Spaß. Die Premiere machte deutlich: Die neue FLTB-Produktion ist geradezu gemacht für Klassik-Einsteiger und wirksam gegen die Verdrossenheit bestehender Opern-Fans.
Der „Don Giovanni“ aus dem Hause FLTB mit Rudolf Maier-Kleeblatt als Leiter des Freien Landesorchesters Bayern und Jörg Fallheier als Regisseur war eine handfeste Angelegenheit. Und somit eine wohltuende Abwechslung zu den hypermodernen, bisweilen dystopischen und politisch aufgeladenen Operninszenierungen, die aktuell en vogue sind. Der FLTB-Don Giovanni ist ein frauen- und menschenverachtender, egomaner, rücksichtsloser, manipulierender Antiheld, dem zu Mozarts Zeiten vielleicht noch schillerndes Charisma zugeschrieben wurde. Mit Andreas Agler war die Titelrolle hervorragend besetzt. Allein optisch war der Bariton die Idealbesetzung. Und schauspielerisch brachte er den Unsympathen fulminant auf die Bühne.
Überzeugender Hauptcharakter
So sehr, dass man ihm Leporellos – wunderbar zerrissen dargestellt von Bass Raphael Sigling – Auflistung seiner multilingualen Eroberungen ohne weiteres abnahm: „64 in Italien, 100 in Frankreich, 130 in der Schweiz, 90 in England, 1003 in Spanien, 16 in Schliersee, 13 in Hausham und 202 in Miesbach“. Zumal Agler die berühmte Verführungsszene „Reich mir die Hand zum Leben“ in Italienisch, Englisch und Französisch sang. Er war so überzeugend, dass die Zuschauer selbst am Ende, als Don Giovanni grandios effektvoll, umgeben von Geistern und Kreuzen der in rotes Licht getauchten Friedhofsszene zur Hölle fährt, keinerlei Mitleid empfand.
Dafür lagen die Sympathien von Anfang an bei den Frauen: bei Elisabeth Rauch als verführter Donna Anna, deren Vater – Bass Andreas Fimm als Komtur – Don Giovanni tötete und der laut Grabinschrift „Rache an dem Gottlosen, der ihn erschlug“, erwartete. Bei der geprellten und verlassenen, aber immer noch zur Verzeihung und Versöhnung bereiten Verlobten Donna Elvira (Maria Helgath) und der gar nicht so naiven Zerlina. Sopranistin Nicole Tschaikin sang diesen Part überragend, grandios und mitreißend. Aber auch Tenor Stephan Lin beeindruckte stimmlich und spielerisch als tuntiger, bonbon-farben gewandeter, wenig viriler Don Ottavia. Rau, Helgath und Lin ergaben zusammen eine starke Kraft, die weibliche Stimme der Ethik und Gerechtigkeit.
Charaktere mit Tiefe
Durch ihr pointiertes Spiel verliehen die Sänger ihren Rollen zusätzlich Tiefe. Beispielsweise, wie Zerlina/Tschaikin sich mit ihrem Verlobten, dem hölzneren Masetto – perfekt besetzt mit Philipp Gaiser –, nicht nur versöhnt, sondern nach allen Regeln der Kunst verführt. Auch die Kostüme von Anne Hebbeker spielen in dieser Inszenierung eine erklärende Hauptrolle. So subtil Farbe und Form gewählt sind, die Kostüme, die von zwei Gewandmeisterinnen – Christl Gebhardt und Marianne Herkenrath – umgesetzt wurden, sprechen Bände. Die Unterwäschen schon während der Ouvertüre, feuerrote Negligés und lasziv fallende Beinkleider künden von der Unwiderstehlichkeit auf die Weiblichkeit aller sozialer Schichten. Die offenherzige sonnengelbe Robe, die mit einer eifersüchtig-grünen Borte durchwirkt ist, weist auf den Charakter von Donna Elvira. Und die das rote Kleid mit der pfeilartig auf die Körpermitte weisende Corsage erklärt Donna Annas Antrieb.
Ausdrucksstarke Inszenierung
Dass die ganze Handlung vor einer immerwährenden mediterranen Naturlandschaft, mobilen Stadt-Kulissen, aber auf einem gigantischen feuerroten, gefallenen Kreuz, ersonnen von Bühnenbauer Christian Kern, stattfindet, gibt der Inszenierung zusätzlich Ausdruck, der lange in Erinnerung bleiben dürfte – insbesondere bei der Schlussszene.
Meine news
Die Ausdruckskraft der Inszenierung aber liegt in der sensationellen Leistung des Orchesters, die das Premierenpublikum im ausverkauften Waitzinger Keller fulminant durch alle Emotionslagen nicht nur der Mozart’schen Literatur, sondern des Empfindens des großen Komponisten führte. Chapeau dafür! Aber auch für das ganze volksnahe Gesamtkunstwerk.
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