Liebe Ricarda Lang, liebe Luisa Neubauer, Ihr offener Brief an den Bundeskanzler spricht viele richtige Punkte an. Ja – wir sind uns einig: Frauen müssen sich sicher fühlen. Überall. Jederzeit. Aber Einigkeit braucht auch Ehrlichkeit.
Viele Menschen in unserem Land – und vor allem viele Frauen – beschäftigt die Frage, wie sicher ihre Stadt wirklich ist. Und diese Unsicherheit hat Ursachen, über die man sprechen muss, wenn man sie lösen will.
Stadtbild und Sicherheit: Wie Vielfalt Verantwortung braucht
Natürlich verändert sich unser Stadtbild – das ist Ausdruck einer lebendigen, vielfältigen Gesellschaft. Aber Vielfalt darf kein Deckmantel für das Schweigen über Probleme sein. Wenn unser Stadtbild ein Spiegel ist, dann zeigt er Schönheit, aber auch Schatten.
Und ja, in manchen Stadtteilen wechseln Mädchen und Frauen die Straßenseite, wenn sie auf eine Gruppe junger Männer treffen, die sich nicht zu benehmen wissen. Gerade als Frauen wissen wir, wie wichtig Sicherheit im Alltag ist. Mit Schweigen stärkt man keine Freiheit – man schwächt sie.
Freiheit und Sicherheit gehören zusammen
Deshalb ist die von Friedrich Merz angestoßene Debatte notwendig. Wir sind eine freie Gesellschaft – und wir wollen es auch bleiben. Doch Freiheit verlangt, dass man auch über die unbequemen Themen spricht. Denn: Sicherheit ist die Schwester der Freiheit.
Diese Realität lässt sich nicht ignorieren: Unser Stadtbild ist nicht nur Kulisse – es ist Bühne. Und dort spielen sich Konflikte ab, wenn geballte Männlichkeit auf ein Frauenbild trifft, das durch Erziehung oder kulturelle Prägung keine Gleichstellung akzeptiert. Aber genau darum geht es im Kern: um gegenseitigen Respekt und Toleranz – aber eben von beiden Seiten. Toleranz ist keine Einbahnstraße. Wer Regeln bricht, verletzt das Miteinander. Wer wegschaut, lässt andere im Stich.
Lehren aus der Silvesternacht: Konsequente Aufklärung statt Schweigen
Ich erinnere mich noch sehr gut an die Silvesternacht 2015/2016 in Köln – eine Nacht, die unser Land nachhaltig geprägt hat. Als Obfrau im Untersuchungsausschuss habe ich die Ereignisse über ein Jahr lang begleitet. Diese Nacht war ein Brennglas: Sie zeigte, was passiert, wenn versucht wird, Geschehnisse aus falscher Korrektheit nicht konsequent zu benennen und umfassend aufzuklären.
Es geht damals wie heute darum, den betroffenen Frauen eine Stimme zu geben, die zu oft ungehört bleibt. Sicherheit und Frauenrechte müssen ins Zentrum. Doch solange wir den Schatten, den wir absichtlich übersehen, nicht benennen, bleibt das Unbehagen real – und die Frauen, die sich nicht sicher fühlen, stehen allein und bringen ihre Erfahrungen nicht zur Anzeige.
Ina Scharrenbach ist Mitglied im Präsidium der CDU-Deutschland und seit 2022 Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung in NRW. Davor war sie seit 2017 Ministerin für Heimat, Kommunales, Bauen und Gleichstellung.
Ein Plan für sichere Städte mit Haltung und Herz
Es geht nicht um Schuld, sondern um Schutz. Nicht um Zuschreibungen, sondern um Zivilcourage. Wir brauchen klare, ehrliche Antworten, keine Ausweichdebatten.
Wenn das Sicherheitsgefühl vieler Menschen mit geballter Männlichkeit zu tun hat, die häufig mit einem anderen Frauenbild und mangelndem Respekt einhergeht, gilt es hinzusehen und nicht wegzuschauen. Das anzusprechen, heißt nicht auszugrenzen – es heißt, Verantwortung zu übernehmen.
Sicherheit beginnt nicht erst bei der Polizeistreife – sie beginnt auf dem Stadtplan
Mangelnde Beleuchtung, verwahrloste Plätze, dunkle Unterführungen: All das schafft Unsicherheit. Nur wenn Städte aus der Perspektive aller weiter geplant werden, entstehen öffentliche Räume, die Geborgenheit statt Angst ausstrahlen. Vieles ist bereits durch Städte und Gemeinden erreicht, aber vieles bleibt auch noch zu tun.
Wir brauchen wieder mehr Leben statt Leerstand. Handel, Kultur, Begegnung – das ist der Kitt unserer Städte. Kein Mensch fühlt sich auf verödeten Plätzen sicher.
Schrottimmobilien sind auch sichtbare Unsicherheitsfaktoren. Wo Häuser verfallen, verfällt auch das Vertrauen. Wenn gegen Problemimmobilien vorgegangen wird, wird Lebensqualität in die Stadtteile zurückgeholt.
Respekt und Verantwortung: Grundlage für ein sicheres Miteinander
Worauf es ankommt: ein Stadtbild, das Respekt sichtbar macht. Ein öffentlicher Raum, in dem sich alle sicher fühlen dürfen – nicht, weil alle tun, was sie wollen, sondern weil alle wissen, was sich gehört. Nur: Wegsehen und Schweigen ist die schlechteste aller Lösungen.