Vielleicht wollte er ein Bild zeichnen, über das Stadtbild, die Bürgerinnen und Bürger, das Gemeinwesen. Doch was Friedrich Merz dann sagte, hat viele Menschen irritiert: In einem Interview sprach er davon, „wie sich das Stadtbild in vielen deutschen Städten verändert habe“ und verknüpfte das mit „Problemen, die vor allem unsere Töchter betreffen“.
Eine Aussage, die Migration, Sicherheit und Geschlechterrollen verband und so den Eindruck weckte, Frauen müssten vor „anderen“ geschützt werden. Später versuchte Merz, das zu präzisieren: Er habe nur „auf subjektive Wahrnehmungen vieler Bürgerinnen und Bürger“ hingewiesen. Doch die Wirkung blieb. Denn Worte schaffen Wirklichkeit, und gerade junge Frauen fühlten sich davon nicht gemeint, sondern instrumentalisiert.
Junge Frauen und politische Instrumentalisierung
Wer sich in eine moderne Gesellschaft einfügt, will nicht als Schutzbedürftige behandelt werden, schon gar nicht als Teil eines „wir gegen die Anderen“. Auch und gerade dann nicht, wenn das „wir“ suggeriert: Ich passe auf euch auf und weiß, was gut für euch ist. Junge Frauen wollen nicht symbolisch mit „Töchtern“ angesprochen werden, wenn sie längst selbst gestalten, mitentscheiden, Verantwortung tragen.
Die Daten geben Hinweise darauf, dass genau hier ein Graben existiert: Bei der Analyse der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Bundestagswahl 2025 zeigte sich, dass die CDU/CSU bei den 18- bis 24-Jährigen nur rund 13 Prozent erreichte, im Vergleich zu 17 Prozent bei den 25- bis 34-Jährigen.
Zudem zeigen Studien aus mehreren westlichen Ländern, dass junge Frauen politisch zunehmend progressiver denken als gleichaltrige Männer. Diese wachsende Differenz ist mehr als ein Statistikdetail. Sie zeigt, wie stark sich die Lebensrealitäten und Wertevorstellungen verändert haben. Der wachsende „Gender Gap“ stellt vor allem Parteien der Mitte-Rechts vor Herausforderungen. Auch die CDU spürt, dass ihre Sprache und Themen bei jungen Wählerinnen weniger Resonanz finden.
CDU verliert junge Wählerinnen
Konkreter: Laut einem Artikel der "Financial Times" fanden im März 2025 nur 15 Prozent der befragten Frauen, dass Merz zur Kanzlerschaft besonders geeignet sei – gegenüber 21 Prozent der Männer.
Diese Zahlen lassen sich nicht eins zu eins auf junge Frauen übertragen, aber sie deuten auf ein Muster hin: Die Bindungskraft bei jungen Wählerinnen ist geringer, insbesondere dann, wenn Sprache und Symbolik nicht anschlussfähig sind.
Wenn Merz vom „Stadtbild“ spricht, klingt es zunächst harmlos, doch im politischen Kontext entsteht daraus ein problematisches Narrativ: Wer gehört dahin? Wer prägt unser Bild der Stadt, unsere Stadtgesellschaft?
Und wer wird damit ausgeschlossen? Das Stadtbild wird so zum Stellvertreter für Identität, Zugehörigkeit und eben Nicht-Zugehörigkeit. Dabei wünschen sich viele Bürgerinnen und Bürger ein buntes, vielfältiges Stadtbild, wie sie jetzt auch auf zahlreichen Demonstrationen im gesamten Bundesgebiet deutlich machen.
Stadtbild und gesellschaftliche Vielfalt
Und wenn dann noch die Formulierung kommt: „unsere Töchter“, wird deutlich: Es geht um Schutz, nicht um Teilhabe. Der Ton wird hier klassisch: Ich als (an-)sprechende Instanz, ihr als zu Schützende. In einer Zeit jedoch, in der junge Frauen ganz selbstverständlich Teilhaberinnen sind, Verantwortung übernehmen und eigene Lebensentwürfe leben, kann das als Rückschritt und Bevormundung wahrgenommen werden.
Auch das Nachlegen von Merz, der Versuch, sich hinter der Meinung der Bürgerinnen und Bürger zu verschanzen, wirft Fragen auf. Denn es zeigt: Wenn die erste Aussage solche Wellen schlägt, ist nicht nur der Ton schief, sondern die Zielgruppe fühlt sich insgesamt nicht verstanden.
Die Menschen unseres Landes, deren Meinung Merz vermeintlich einfangen wollte, distanzieren sich – in Demonstrationen, in der Wahlkabine, im Nicht-Mitmachen, im inneren Ausschluss.
Junge Frauen fühlen sich nicht ernst genommen
Wir leben in einer Gesellschaft, die stärker wird durch Vielfalt und durch Einbeziehung, nicht durch Abgrenzung. Dennoch erleben wir gerade überall Sprache, Metaphern und Bilder, die spalten.
Die traurige Konsequenz liegt in der Antwort auf die Frage, wer davon profitiert: Parteien oder Bewegungen, die Identität über Abgrenzung definieren. In der Analyse zur Bundestagswahl 2025 zeigt sich, dass die AfD gerade unter jüngeren Wählerinnen und Wählern an Boden gewonnen hat, im Umfeld großer Themen wie Migration und Identität.
Doch Spaltung schwächt das Gemeinwesen. Wenn Frauen sich nicht angesprochen fühlen, wenn junge Menschen nicht mitgenommen werden, wenn ein „wir“ und ein „die“ erschaffen werden, dann wird Teilhabe untergraben. Und das schadet uns allen: Nicht nur denjenigen, die sich ausgeschlossen fühlen, sondern der gesamten Gesellschaft, die dadurch weniger Vielfalt erlebt, weniger Perspektiven aufweist, weniger diskursfähig ist, weniger stark ist.
Gesellschaftlicher Zusammenhalt statt Spaltung
Sprache schafft Realität. Sie erzeugt Emotionen und entscheidet darüber, ob sich Menschen gesehen, akzeptiert und wertgeschätzt fühlen oder ob sie sich ausgegrenzt und beleidigt fühlen und innerlich dicht machen.
Deshalb wünsche ich mir eine Sprache, die einbezieht. Nicht das Gefälle „wir – die Anderen“, sondern die Frage: Wie gestalten wir gemeinsam? Nicht das Stadtbild als Abgrenzung, sondern das Stadtbild als Raum für Vielfalt.
Die Menschen mit Migrationshintergrund bereichern unsere Städte und Gemeinden – mit ihren gastronomischen Angeboten, Geschäften, ihrer Arbeitskraft, ihren Ideen und Impulsen und vor allem ihrem Willen, unsere Gemeinschaft mitzugestalten.
Vielfalt in Städten fördern
Bereits im Jahr 2011 sprach ich in einer Rede davon, dass Diversität kein Trend sei, sondern unsere neue Realität. Und damit meinte ich nicht ein kurzfristiges Management-Phänomen, sondern einen tiefen Wandel. Wenn wir ihn leben wollen, dann muss auch unsere politische Sprache dazu passen.
Ich bin davon überzeugt: Unsere Gesellschaft steht besser da, wenn wir zusammenhalten, statt uns weiter zu spalten. Wenn wir ein Stadtbild nicht als Referenz für Angst oder Zugehörigkeit nutzen, sondern als Spiegel unserer Vielfalt. Wenn Politik nicht mit Symbolen der Abgrenzung operiert, sondern mit der Einladung zur Mitwirkung.
Wer profitiert davon, wenn wir uns spalten? Kurzfristig vielleicht ein Stimmengewinn hier und da. Auf lange Sicht niemand: Weder die Menschen mit Migrationshintergrund, die sich plötzlich als Störfaktor im Stadtbild fühlen, noch die junge Frau, die sich nicht mehr gemeint fühlt. Und schon gar nicht das Gemeinwesen, das so viel Potenzial verliert.
Lasst uns also nicht darauf warten, bis andere für uns sprechen. Lasst uns vielmehr darauf drängen, selbst mitzureden und vor allem mitzugestalten. Und dafür braucht es Politik, die nicht nur redet über „unser Stadtbild“, sondern mit allen gemeinsam eins baut. Nur so schaffen wir Perspektiven, die tragen.
Ana-Cristina Grohnert ist eine deutsche Top-Managerin. Sie war Personalvorständin bei der Allianz Deutschland und Mitglied der Geschäftsführung bei Ernst & Young. Die studierte Betriebswirtin engagierte sich zehn Jahre als Vorstandsvorsitzende der „Charta der Vielfalt“ für Gleichberechtigung und ein neues Verständnis von wertschöpfendem und wertschätzendem Wirtschaften. Kürzlich hat Grohnert die Score4Impact gGmbH gegründet, ein Match-Making Netzwerk, das Hilfsprojekte mit dem sozialen Investitionspotenzial von Unternehmen zusammenbringt.