„Krieg so nicht zu gewinnen“ – Ukraine muss laut Kretschmer „vorübergehenden“ Gebietsverlust akzeptieren

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Der Tod lauert überall: Ukrainische Soldaten nehmen Abschied von einem getöteten Kameraden und werden von ihren Emotionen übermannt. © Evgeniy Maloletka/AP/dpa

Für ein Ende des Kriegs muss die Ukraine womöglich Gebiete abtreten – aber nur auf Zeit. Diesen Weg zum Waffenstillstand skizziert Michael Kretschmer.

Dresden – Wohl kein anderer Ministerpräsident äußert sich öffentlich so umfassend über den Ukraine-Krieg wie Michael Kretschmer. Der sächsische Ministerpräsident nutzt nun auch ein Interview mit den Zeitungen der Funke Mediengruppe, um seinen Lösungsvorschlag darzulegen und zugleich mit der Taktik der Ampel-Regierung abzurechnen.

Kretschmer über Ukraine-Krieg: „Kluge Politik sucht Verbündete, um auf Putin einzuwirken“

Die Empfehlung des CDU-Politikers sieht vor, dass die Ukraine zumindest vorerst klein beigeben sollte. Denn so könnte Wladimir Putin seiner Meinung nach zum Einlenken bewegt werden. „Ich plädiere für diplomatische Initiativen“, betont Kretschmer: „Eine kluge Politik sucht Verbündete, um auf Putin einzuwirken, diesen Krieg zu beenden.“

Die Idee hat der seit sechs Jahren amtierende Ministerpräsident keineswegs exklusiv. Ebenso die Forderung: „Das Sterben muss endlich aufhören.“ Es stellt sich vielen Entscheidungsträgern nur die Frage: Wer hat die Macht, Putin zu stoppen? Auf wen hört der Kreml-Chef? Mutmaßlich Chinas Präsident Xi Jinping. Nur steht der bislang nicht im Verdacht, den Krieg mitten in Europa wirklich zu verteufeln.

Kretschmer sieht aber auch eine andere Großmacht auf dem richtigen Weg. Während der 48-Jährige der Bundesregierung vorhält, statt auf Verhandlungen einzig auf Waffenlieferungen zu setzen, hält er fest: „Die Amerikaner sind da weiter. Sie haben erkannt, dass der Krieg so nicht zu gewinnen ist.“

Video: Ampel-Regierung bricht Rüstungsexport-Rekord

Ukraine-Krieg im Winter 2023/2024: Kann Selenskyj sein Ziel überhaupt erreichen?

Die zweite große Gegenoffensive der Ukraine, die monatelang angekündigt wurde, scheint mittlerweile tatsächlich verpufft zu sein. Die Front wirkt wie festgefahren. Zumal der ukrainische Winter großangelegte Angriffe in den nächsten Monaten ohnehin erschweren wird.

Da wäre der Zeitpunkt geradezu ideal, um eine andere Lösung als weiteres Blutvergießen voranzutreiben. Zuletzt machte bereits das sogenannte „Russlanddinner“, bei dem in Washington US-amerikanische Russland-Experten mit Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt zusammentrafen, von sich reden. Nicht nur dort kam die Frage auf den Tisch, ob die ukrainische Regierung um Präsident Wolodymyr Selenskyj ihr ausgegebenes Ziel wirklich erreichen kann, die Truppen des Aggressors komplett vom eigenen Territorium zu vertreiben.

Kretschmer warnt Ukraine: „Territorien bei Waffenstillstand vorübergehend nicht erreichbar“

Auch Kretschmer macht Kiew auf Gebietsverluste gefasst. „Es kann sein, dass die Ukraine bei einem Waffenstillstand erst einmal hinnehmen muss, dass gewisse Territorien für die Ukraine vorübergehend nicht erreichbar sind“, warnt der Christdemokrat.

Für ihn scheint das aber kein großes Problem zu sein, denn er hält fest: „Kein Quadratmeter des ukrainischen Territoriums – auch nicht die Krim – ist russisch geworden.“ Ob die dort lebenden Menschen das unterschreiben würden? Jedenfalls setzt Kretschmer hier auf den Faktor Zeit, denn die brauche es „wie auch in anderen großen Konflikten“ im Ukraine-Krieg „für eine endgültige Lösung“.

Michael Kretschmer spricht in ein Mikrofon und ballt die Faust
Gibt Tipps für einen Waffenstillstand im Ukraine-Krieg: Für Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer sind die USA weiter als Deutschland. © IMAGO / Marten Ronneburg

Kretschmer über Russland: „Gefährlicher, unberechenbarer Nachbar“

Kretschmer, für den der Wahlkampf in Sachsen angesichts einer in den Umfragen scheinbar enteilten AfD langsam an Fahrt aufnimmt, macht sich aber nicht nur Gedanken um die Ukraine, sondern auch um Deutschland. Denn aus den jüngsten Erfahrungen mit Putin müssten die richtigen Schlüsse gezogen werden. „Russland ist unser Nachbar. Ein gefährlicher, unberechenbarer Nachbar“, warnt der gebürtige Görlitzer.

Ein Kräftemessen wäre daher fatal: „Die Vorstellung, Russland militärisch, politisch und wirtschaftlich so zu schwächen, dass es uns nicht mehr gefährlich werden kann, ist eine Haltung, die aus dem 19. Jahrhundert kommt. Sie legt das Fundament für weitere Konflikte.“

Kretschmer über Deutschlands Zukunft: „Moderne Bundeswehr und europäische Sicherheitsstrategie“

Ziel müsse es dagegen sein, dass Deutschland und die anderen europäischen Staaten „so stark werden, dass Russland weitere Kriege nicht riskiert“. Voraussetzungen dafür sind laut Kretschmer „eine moderne Bundeswehr und eine europäische Sicherheitsstrategie“. Auch diese Meinung äußerten schon andere Politiker vor ihm.

Bislang waren Kretschmers Aussagen zum Ukraine-Krieg aber häufig von Kritik begleitet worden. So warb er im vergangenen Jahr mehrmals dafür, den Konflikt „einzufrieren“. In der WirtschaftsWoche riet Sachsens Ministerpräsident im Spätsommer 2023 dafür, die zerstörte Pipeline zwischen Deutschland und Russland zu reparieren. Militärische Lieferungen an die Ukraine waren für ihn von Anfang an der falsche Ansatz. (mg)

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