„Kriechfahrten“ und Zickzack-Kurs: So spioniert Russland in der Ostsee für Sabotage-Akte
Russische Schiffe in Nord- und Ostsee spionieren nach neuen Recherchen kritische Infrastruktur aus. Deren Schutz ist enorm schwierig, wie sich auch an Land zeigt. Was helfen kann, erklärt eine Expertin.
Russland spioniert offenbar kritische Infrastruktur des Westens in Nord- und Ostsee systematisch aus. Nach Erkenntnissen eines internationalen Rechercheprojekts namens „Russian Spy Ships“ haben Sicherheitskräfte seit Beginn des Ukraine-Kriegs immer wieder vermeintliche Forschungsschiffe in der Nähe von Offshore-Windparks oder wichtiger Unterwasser-Infrastruktur entdeckt. Journalisten von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung identifizierten gemeinsam mit Partnern wie dem finnischen Sender Yle mindestens 60 extrem langsame, so genannte „Kriechfahrten“ durch die Nord -und Ostsee, bei denen russische Schiffe mit abgeschaltetem Ortungssystem (AIS) und in einem auffälligen Zickzack-Kurs immer wieder hin und her auf derselben Stelle unterwegs waren.
Solche Langsamfahrten oder Stopps weisen laut Experten auf Datensammel-Aktivitäten hin – und wurden von Militär oder Bundespolizei in einem Offshore-Windpark vor Rügen, über einem U-Boot-Tauchgebiet der Nato nahe Fehmarn, über Datenkabeln zwischen Bornholm und Polen sowie bei der Gaspipeline Europipe, die Norwegen mit Deutschland verbindet, aufgespürt. Neben vorgeblichen Forschungsschiffen waren den Recherchen zufolge auch Militärschiffe, Tanker, Fischtrawler und Yachten im Spionage-Einsatz.
Auch die schwedische Marine beobachtete bereits russische Tanker in der 200-Seemeilen-Wirtschaftszone des Landes, die Kommunikationsgeräte an Bord hatten, die für normale Handelsschiffe völlig unnötig wären. Sicherheitskräfte haben den Verdacht, dass die „Forschung“ all dieser Schiffe vor allem dem Auskundschaften möglicher Ziele für Sabotageakte dient. Für ihr seltsames Verhalten gäbe es auch keine andere wirklich plausible Erklärung, schon gar nicht angesichts der Häufung der entdeckten Vorfälle.
Putins Russland: Sabotageakte an Land und bald auch auf dem Meer?
Die Spionageschiffe sind wohl Teil des Schattenkriegs, mit dem Putins Russland vor allem in der Ostsee die Anrainerstaaten nervös machen möchte. Hinzu kommen verbale Drohungen, Cyberangriffe – und die berüchtigte Flotte rostiger Tanker, die russisches Öl trotz der westlichen Sanktionen zu ihren Abnehmern bringen.
Zugleich fallen die Enthüllungen in eine Zeit, in der die Nato und Europa bereits an Land immer mehr Sabotageakte erleben, deren Aufklärung extrem schwer ist. Die Täter sind in der Regel flüchtig, die Tatorte abgelegen. Auf See ist die Lage noch ungleich schwieriger. Der schwedische Ministerpräsident Ulf Kristersson warnte schon vor einem Jahr offen vor der Verwundbarkeit der „Spaghettischale aus Kabeln, Drähten und anderer Infrastruktur am Meeresgrund“. Hinzu kommen die ebenfalls verwundbaren Offshore-Windparks.
All das zu jeder Zeit zu bewachen, ist unmöglich. „Generell kann man nicht auf jede Attacke und jeden Vorfall vorbereitet sein, das ist eingebaut in demokratische Verhältnisse“, sagt die finnische Sicherheitsexpertin Minna Ålander vom Finnish Institute of International Affairs. „Doch es braucht eine vorausschauende Planung: Wo sind Angriffsflächen, bei denen man uns lahmlegen könnte.“

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Russische Schiffe: Nato braucht dringend ein Lagebild
Dazu müssen die Nato-Staaten dringend ein besseres Lagebild bekommen, damit verdächtige Schiffsbewegungen an kritischen Orten nicht länger unentdeckt bleiben, und nach etwaigen Vorfällen die Urheber zerstörter Kabel und Pipelines künftig wenigstens leichter aufzuspüren sind. So ein besseres Lagebild ließe sich nach Ansicht von Ålander nur durch regelmäßigen Informationsaustausch und persönliche Kontakte aller relevanten Stakeholder schaffen, damit alle wissen, wer die Zuständigen auf den verschiedenen Ebenen sind. “Man kann gar nicht unterschätzen, wie wichtig es dafür ist, dass man sich persönlich kennt“, sagt sie im Gespräch mit IPPEN.MEDIA. „Doch so ein System neu aufzustellen, braucht Zeit.“ Weder in Deutschland, noch in ganz Europa laufe das bislang sehr flüssig.
Die Zuständigkeiten und Berechtigungen sind vielfach unklar. So hat die Bundesmarine bislang laut NDR zum Beispiel keinen konkreten Auftrag zum Schutz kritischer Infrastruktur auf See. Ein NDR-Film zu den Recherchen zeigt, wie die russischen Schiffe manchmal von der dänischen oder deutschen Küstenwache beschattet werden. Die Gesetzeslage in Deutschland sei kompliziert, auch wenn es darum gehe, wer wo russische Schiffe verfolgen und stoppen darf, heißt es. Die Marine wünsche sich daher klare Anweisungen, manche Experten forderten ein Seesicherheitsgesetz, das klare Zuständigkeiten für den Schutz von Pipelines, Datenkabeln und Offshore-Windparks festlegt. In Arbeit ist in Deutschland derzeit das sogenannte KRITIS-Dachgesetz. KRITIS steht für kritische Infrastruktur.
Durch die föderale Struktur in Deutschland sei eine effiziente Koordinierung sämtlicher Ebenen der Regierung kompliziert, sagt Ålander, die länger in Deutschland gearbeitet hat. „Das ist zum Teil ja absichtlich so und der Punkt des Föderalismus. Nur, wenn etwas passiert, dann muss man eben erst einmal herausfinden, wer zuständig ist. Das deutsche System ist eher langsam, nicht so agil.“ Etwas drastischer formulierte es im NDR die FDP-Sicherheitspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann: „Wenn wir uns Despoten gegenüber klar schützen wollen, brauchen wir deutlich einfachere Wege.“