Freigabe für Langstreckenwaffen: Geheimdienste rechnen mit Angriffen aus Russland

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Die Ukraine will westliche Raketen auf russischem Gebiet einsetzen. Das könnte weniger effektiv sein, als erhofft – und ein hohes Risiko bergen.

Washington, D.C. – Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj drängt seine westlichen Verbündeten so stark wie nie zuvor zur Lieferung von mehr Langstreckenraketen – und zur Erlaubnis, diese tief im russischen Territorium einzusetzen. Doch US-Geheimdienste bezweifeln, ob dies den Verlauf des Ukraine-Kriegs maßgeblich verändern würde. Obendrein befürchten sie Vergeltungsmaßnahmen Russlands.

Sollte der Westen dem ukrainischen Antrag auf den Einsatz westlicher Raketen gegen Ziele tief in Russland nachkommen, könnte dies schwere Folgen haben. US-Beamten zufolge sind die Geheimdienste des Landes besorgt, dass Russland wahrscheinlich mit größerer Wucht gegen die Vereinigten Staaten und ihre Koalitionspartner zurückschlagen wird, wenn dem Ersuchen der Ukraine stattgegeben wird. Das geht aus einem Bericht der New York Times hervor.

Einsatz von Langstreckenwaffen auf Russland ist riskant – und wird den Ukraine-Krieg kaum verändern

Die Geheimdienstbewertung, über die bisher nicht berichtet worden sei, hebe einerseits hervor, dass die Langstreckenraketen nur begrenzte Auswirkungen auf den Verlauf des Konflikts haben würden. Befürworter des Einsatzes westlicher Langstreckenraketen betonen stets, dass dies Russland erschweren würde, seine Truppen an der Front in der Ukraine zu versorgen. Das könne dann, so die Hoffnung, den Vormarsch der russischen Truppen verlangsamen. Doch die Bewertung der Geheimdienste zweifelt ein solches Ergebnis an. Einerseits stünden der Ukraine nicht genug solcher Waffen zur Verfügung. Andererseits würden die Russen dann wahrscheinlich Munitionsdepots, Kommandoposten, Kampfhubschrauber aus der Reichweite der Raketen verlegen.

 Wie würde der russische Präsident Wladimir Putin auf die Erlaubnis zum Einsatz westlicher Langstreckenwaffen in Russland reagieren?
 Wie würde der russische Präsident Wladimir Putin auf die Erlaubnis zum Einsatz westlicher Langstreckenwaffen in Russland reagieren? © IMAGO/Ramil Sitdikov

Außerdem, so die Befürchtung der Geheimdienste, sei wahrscheinlich, dass Russland dann Rache üben werde. Die möglichen Reaktionen reichen demnach von verstärkten Brandstiftungen und Sabotageakten gegen Einrichtungen in Europa bis hin zu potenziell tödlichen Angriffen auf US-amerikanische und europäische Militärstützpunkte.

Putin könnte Druck auf USA und Europa erhöhen – Ukraine-Krieg könnte zu mehr Sabotageakten führen

US-Beamten zufolge sei der militärische Geheimdienst Russlands (GRU) für die meisten Sabotageakte in Europa verantwortlich, die bisher stattgefunden haben. Sollte sich der russische Präsident Wladimir Putin dazu entschließen, diese verdeckte Kampagne als Reaktion auf den Einsatz von westlichen Raketen tief im Inneren Russlands auszuweiten, sei mit einer Zunahme dieser Vorkommnisse zu rechnen. Es sei davon auszugehen, dass Russland weiterhin verdeckt agieren werde, anstatt offene Angriffe auf US-amerikanische und europäische Einrichtungen und Stützpunkte durchzuführen, um das Risiko eines größeren Konflikts zu verringern.

Putins Rhetorik war in den letzten Tagen in Erwartung einer Entscheidung über Langstreckenangriffe besonders kriegerisch. Am Mittwoch (25. September) sagte Putin, dass Russland Atomwaffen einsetzen könnte, wenn es mit konventionellen Raketen angegriffen werden würde. Zudem werde Moskau zukünftig jeden Angriff auf Russland, der von einer Atommacht unterstützt wird, als gemeinsamen Angriff betrachten.

Putin droht der Nato mit Atomschlägen – Sollte die Ukrane Langstreckenwaffen einsetzen dürfen?

Der Kreml erklärte laut der Nachrichtenagentur Reuters am Donnerstag (26. September), dass diese von Putin skizzierten Änderungen an der russischen Atomwaffendoktrin als Signal an die westlichen Länder verstanden werden sollten. Und dass es Konsequenzen haben werde, wenn sie sich an Angriffen auf Russland beteiligen. Auf die Frage von Reportern, ob die Änderungen ein Signal an den Westen seien, erklärte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow: „Dies sollte als eindeutiges Signal betrachtet werden“.

Der scheidende Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg ist überzeugt, dass Moskau versucht, die Mitglieder des Bündnisses einzuschüchtern. „Russlands nukleare Rhetorik ist gefährlich und leichtsinnig“, so Stoltenberg vor dem Council on Foreign Relations. „Wir beobachten genau, was Russland tut“. Gleichzeitig bleibt die Nato gespalten, was den Einsatz von Langstreckenwaffen angeht. Einige Vertreter des Bündnisses haben die Forderung der Ukraine unterstützt, allen voran Stoltenberg. Die britische Führung hat sich ebenfalls für eine Genehmigung ausgesprochen; die USA sind noch unentschlossen. Deutschland hat bisher strikt abgelehnt, seine Taurus-Langstreckenraketen an die Ukraine zu liefern. Dies spiegelt die allgemeine Vorsicht Berlins vor einer Eskalation wider. (tpn)

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