Im Sommer 2024 kam es in der Braunschweiger Wasserwelt zu einem Vorfall, der weit über die Stadt hinaus Wellen schlug. Ein damals 15-jähriger Jugendlicher hatte in einer Umkleidekabine Kontakt zu einem zwölfjährigen Mädchen. Zunächst sprach man von einer Vergewaltigung – später stellte die Staatsanwaltschaft klar, dass es sich um sexuellen Missbrauch eines Kindes handelte, weil der Kontakt zwar einvernehmlich, aber dennoch strafbar war.
Für viele klingt das nach einem juristischen Unterschied. Für alle, die in einem Bad arbeiten, ist es viel mehr. Es geht um Vertrauen, Verantwortung – und um das Gefühl, dass ein Ort, der eigentlich für Sicherheit steht, plötzlich zum Tatort wird.
Wenn Normalität stillsteht
Wer in einem Schwimmbad arbeitet, kennt die Geräusche des Alltags: Kinderlachen, das Rauschen des Wassers, die Rufe, das Leben. Wenn dann so etwas geschieht, wird es still. Man spürt, dass etwas in der Luft liegt. Kolleginnen und Kollegen gehen durch die Gänge, vorbei an den Umkleiden, die sie sonst kaum beachten. Plötzlich schaut man anders hin.
Das Erste, was man spürt, ist Schock. Nicht nur bei den Gästen, sondern tief im Team. Haben wir etwas übersehen? Hätten wir es verhindern können? Selbst wenn das Geschehen in einer geschlossenen Kabine stattfand – dieses „Was wäre, wenn?“ bleibt.
Wir sind Menschen, die auf Sicherheit achten, die eingreifen, wenn jemand droht zu ertrinken oder wenn Gefahr droht. Doch auf so eine Situation bereitet dich kein Dienstplan vor. Wenn Sicherheit zerbricht, zerbricht auch ein Stück Selbstverständnis.
Das Team bleibt zurück
Nach außen läuft der Betrieb weiter: Kinderkurse, Frühschwimmer, Familien. Doch im Inneren ist alles anders. Wir reden leiser, nachdenklicher. Es ist, als würde jeder Blick ein bisschen mehr sagen als sonst.
Nach so einem Vorfall redet die Öffentlichkeit über Täter, Opfer, Ermittlungen. Aber kaum jemand spricht über die, die dort arbeiten. Die Aufsicht, die Reinigung, die Technik, die Verwaltung – sie alle tragen das mit. Sie kommen am nächsten Tag wieder, öffnen die Türen, starten die Pumpen, prüfen das Chlor. Und doch wissen alle: Da war etwas, das bleibt.
Viele Kolleginnen und Kollegen tragen diesen Druck mit sich herum. Sie fragen sich, ob sie hätten etwas merken können, fühlen sich verantwortlich, obwohl sie es nicht waren. Andere versuchen, einfach weiterzumachen, weil sie wissen: Irgendjemand muss es tun.
Wir halten zusammen
Gerade in solchen Momenten zeigt sich, wie stark ein Team sein kann. Wenn eine Kollegin weint, setzt sich jemand daneben. Wenn jemand nicht reden kann, reicht schon ein Blick, ein stilles Nicken. Wir reden miteinander – in Pausenräumen, auf dem Flur, manchmal auch draußen im Hof. Es tut gut, zu wissen, dass man nicht allein ist.
Wir sind ein Beruf, in dem viel verlangt wird: Aufmerksamkeit, Ruhe, Konsequenz. Aber hinter der Uniform sind wir Menschen. Wir tragen Sorgen, Angst, manchmal auch Schuldgefühle – obwohl wir nichts hätten ändern können.Und trotzdem kommen wir am nächsten Tag wieder. Weil es unsere Aufgabe ist. Weil wir Verantwortung tragen – für andere, aber auch füreinander.
Manchmal reicht schon ein einfaches „Alles gut?“ in der Teeküche, um zu merken, dass da jemand ist, der dich versteht. Diese kleinen Gesten machen mehr aus als jede Pressemitteilung. Sie halten den Laden am Laufen, wenn es schwer wird.
Zwischen Öffentlichkeit und Alltag
Wenn Medienberichte auftauchen, wenn Reporter anrufen und Gäste Fragen stellen, dann wird es besonders schwer. Man will ehrlich sein, aber man darf nicht alles sagen. Man will Stärke zeigen, aber man ist müde. Die Leitung versucht, Haltung zu bewahren, das Team zusammenzuhalten, während draußen alles laut ist.
In solchen Tagen merkt man, dass es in Bädern nicht nur um Technik oder Organisation geht – sondern um Menschen. Um Gefühle, um Vertrauen, um das Miteinander.
Wieder Vertrauen schaffen
Vertrauen zurückzugewinnen ist kein Prozess, den man planen kann. Es entsteht langsam, in Gesprächen, in kleinen Momenten. Wenn Eltern ihre Kinder wieder bringen, wenn Gäste wieder lächeln, wenn das Team wieder lacht.
Wir reden viel über Sicherheitskonzepte, Hausordnungen und Regeln. Aber was ein Bad wirklich stark macht, sind nicht die Paragrafen, sondern die Menschen dahinter. Die, die auch nach einem solchen Vorfall weitermachen, sich gegenseitig auffangen – und dabei leise, aber konsequent Haltung zeigen.
Ein Auftrag für uns alle
Der Fall Braunschweig zeigt, wie sensibel öffentliche Einrichtungen sind. Auch wenn der Kontakt einvernehmlich war – ein zwölfjähriges Kind kann keine bewusste Zustimmung geben. Das sagt das Gesetz, und das spüren alle, die Kinder täglich sehen, begleiten, schützen.
Aber dieser Fall zeigt auch, dass Sicherheit mehr ist als Kontrolle. Sie beginnt im Team. In Gesprächen, im Vertrauen zueinander, in dem Mut, über das Schwierige zu reden.
Ich wünsche mir, dass so etwas nie wieder passiert. Aber wenn es passiert, dann dürfen wir nicht wegsehen. Wir müssen verstehen, was es mit uns macht, und wir müssen füreinander da sein.
Denn nur, wenn wir als Team zusammenstehen, können Schwimmbäder das bleiben, was sie sein sollen: Orte der Sicherheit, Nähe, Verantwortung und Menschlichkeit.
Ralf Großmann wuchs im Schwimmbad auf und lebt Bäderbetrieb seit Kindheitstagen. Auf H2ohero.de teilt er seine Erfahrung aus deutschen Bädern – authentisch, alltagsnah und mit Herz für Sicherheit und Qualität. Er ist Teil unseres Experts Circle. Die Inhalte stellen seine persönliche Auffassung auf Basis seiner individuellen Expertise dar.