Ein Wechsel und ein Hilferuf
Der Hilfsdienst Herrsching erlebt stürmische Zeiten. Carmen Fuchs sprach in der Jahresversammlung von einer „dramatischen Situation“. Die langjährige Vorsitzende stand bei der Neuwahl aus privaten Gründen nicht mehr zur Verfügung. Ihr Nachfolger ist Pflegedienstleiter Michael Hübner, der erste Mann an der Spitze in der Vereinsgeschichte.
Er gibt sich unerschütterlich, aber der Hilfsdienst Herrsching mit seinem Ambulanten Pflegedienst hat größte Sorgen. Mit einem Minus von rund 91 000 Euro rutschte er zuletzt ins neue Jahr. Dank großzügiger Spenden halten sich Vorstand, Geschäftsstelle und Pflegedienst aktuell gerade noch über Wasser. „Es darf aber nichts passieren“, betonte Pflegedienstleiter Michael Hübner in der Jahresversammlung am Donnerstag. Wie sehr er mit dem Herzen dabei ist und um den Erhalt des Vereins kämpft, bewies er damit, dass er in diesen unsicheren Zeiten die Nachfolge von Carmen Fuchs antrat. Nach zehn Jahren und zwischenzeitlich in Buchloe zu Hause, stellte sie sich nicht mehr zur Wiederwahl, bleibt dem Hilfsdienst, vor allem dessen beliebten Mittwochclub der Senioren erhalten.
Die Initialzündung zur Vereinsgründung hatten im Oktober 1971 zwei Herrschingerinnen mit einem Brandbrief gegeben. Seit 1978 kann der Hilfsdienst Leistungen mit den Krankenkassen abrechnen. Aktuell zählt der Verein 213 Mitglieder. Sein Pflegedienst beschäftigt inklusive Aushilfen etwa zehn Mitarbeiter. „Aktuell sind wir aber zu dritt“, berichtete Hübner und sprach den Notstand an, den ambulante Pflegedienste haben: Fachkräftemangel, Krankenstand, unerwartete Kündigung. Beim Hilfsdienst kommt aktuell alles zusammen. Carmen Fuchs sprach in ihrem letzten Rechenschaftsbericht als Vorsitzende von einer „dramatischen Situation“ und dass es nicht besser, sondern im schlechter werde. Sie gab vor den 38 Besuchern der Jahresversammlung unumwunden zu, dass bereits über die Auflösung des Vereins diskutiert worden sei. Aktuell sei der Verein von einer großzügigen Spende aus Wartaweil aufgefangen worden. 2021 war es eine Erbschaft, die half, die schon in der Corona-Zeit beginnende Krise abwenden konnte. Spenden und Erbschaften, darauf sei der Hilfsdienst angewiesen.
So kann Emanzipation auch aussehen.
Michael Hübner will diese schwere Bürde nun weitertragen. Erleichtert freuten sich die Mitglieder, dass der beliebte Pflegedienstleiter den Vorsitz übernimmt – der erste Mann, der diese Position in 53 Jahren des Vereinsbestehens bekleidet. „Es gibt keine Besseren“, schwärmte Carmen Fuchs über ihren Nachfolger. Herrschings evangelischer Pfarrer Ulrich Haberl, der dem Hilfsdienst als Kurator angehört, formulierte es so: „So kann Emanzipation auch aussehen.“
1971 waren es Frauen, die den Hilfsdienst Herrsching ausmachten. Immer als Dreierspitze. Mit Hübner besteht diese Dreierspitze jetzt komplett aus Männern. Konrad Wünsch und Nikolaus Antis traten erneut als Stellvertreter an und wurden wiedergewählt. Hübner will alles versuchen, nicht nur den Verein durch ein anderes Abrechnungsprocedere und Spendensammlung wieder finanziell auf die Beine zu stellen, sondern auf den Pflegedienst, der aktuell mit Ausfällen kämpft. „Ich ziehe dafür gerne alle Register“, versprach er. „Ich suche dringend Personal. Und wenn es nur vier, fünf Tage im Monat sind, würde es uns schon helfen.“ Sein Ziel ist es, dass den Hilfsdienst die das gleiche Schicksal ereilt wie Nachbarschaftshilfen in anderen Landkreisgemeinden, die ihre Pflegedienste einstellen mussten.
Der Ambulante Pflegedienst des Hilfsdienstes betreue aktuell im Schnitt 58 Patienten im Monat in Herrsching, Widdersberg, Breitbrunn, Erling und Frieding, so Hübner. Der Pflegedienst sei zuletzt erst wieder mit einer 1 benotet worden. „Weil wir nett sind und weil wir korrekt sind“, sagt Hübner. Paradoxerweise sei es dies, was dem Verein vermutlich das Genick breche. Hübner konnte es selbst nicht logisch erklären, warum dies so sei. Genauso wenig wie die Tatsache, dass den Ambulanten Pflegediensten die Unterstützung versagt werde. „Die Betreuungskosten sind ein Bruchteil dessen, was ein Heim kostet.“ Er will trotzdem weiterkämpfen.
Der Vorstand verzichtet schon seit Jahren auf eine Aufwandsentschädigung, die Digitalisierung steckt weiter in den Kinderschuhen. „Bei uns wird noch gefaxt“, sagte Hübner lachend. Am Mitgliedsbeitrag von 30 Euro im Jahr war lange nicht gerüttelt worden. Bis Donnerstag. Schatzmeisterin Renate Albrecht kündigte an, dass der Beitrag um zehn Euro auf 40 angehoben wird. „Es geht nicht anders, die Situation erfordert es“, bedauerte sie. Sie macht diesen Job nun schon seit 35 Jahren und wollte eigentlich auch nicht mehr kandidieren. „Ich bin bald 80. Aber in dieser Situation kann ich nicht aufhören. Ich muss weiterkämpfen.“ Die Mitglieder dankten Renate Albrecht dies mit viel Applaus.
Blumen gab es zum Abschied für Carmen Fuchs, für Konrad Wünsch, der vor zehn Jahren der erste Mann war, der in den Vorstand gewählt wurde, für Renate Albrecht und für Maria Graml, die auch schon 30 Jahre beim Hilfsdienst aktiv ist.
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Wer den Hilfsdienst Herrsching mit einer Spende unterstützen möchte, kann dies auf das Konto VR Bank Herrsching, DE 28 7009 3200 0002 4725 62. Tatkräftige Hilfe, ob als Pflegekraft, Aushilfe oder Alltagsbegleiter, ist gleichermaßen herzlich wie dringend willkommen. Mehr Informationen zum Hilfsdienst finden sich unter hilfsdienst-herrsching.de.