80 Jahre Kriegsende: Amerikaner befreien Lager Buchberg - davor kommt es dort zu dramatischen Szenen
Vor 80 Jahren endete der Zweite Weltkrieg, auch in Geretsried. Am 30. April 1945 floh die SS aus dem Lager Buchberg. Kurz bevor die Amerikaner das Lager befreiten, spielten sich dort dramatische Szenen ab.
Geretsried - Vor 80 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. Die Rüstungswerke von DAG und DSC wurden kampflos der amerikanischen Armee übergeben, das Lager Buchberg befreiten die Amerikaner ebenfalls. Zuvor hatten sich dort dramatische Szenen abgespielt. Das Lager Buchberg befand sich auf der heutigen Böhmwiese. Früher gehörte das Areal zum Gut Schwaigwall und musste 1938 von den Eigentümern, der Familie Fuchs, an den Staat abgetreten werden.
Kriegsende: Amerikaner befreien Lager Buchberg – davor spielen sich dramatische Szenen ab
In den Folgejahren entstehen drei Lager mit fast 100 Gebäuden und 33 Unterkunftsbaracken für schätzungsweise 4000 Bauarbeiter. Sie werden gebraucht, um die Produktionsstätten der Munitionswerke zu errichten. Nach weitgehender Fertigstellung der Produktionsanlagen Anfang April 1941 werden die meisten Bauarbeiter abgezogen und ein Teil der Wohnbaracken abgebaut. Das gilt vor allem für Lager I und Lager III.
Bei Kriegsende und in den Jahren danach existiert nur noch das größte und zentral gelegene Lager II, das zunächst noch aus 30 Baracken unterschiedlicher Größe und einigen kleinen Nebengebäuden besteht. Im größten Lager, Buchberg III, sind von 1941 bis 1945 durchschnittlich 1000 Fremdarbeiter untergebracht, überwiegend deportierte Russen. „Als ,Ostarbeiter‘ wurden sie besonders schlecht verpflegt und behandelt“, berichtet der Arbeitskreis Historisches Geretsried.
In den letzten Kriegstagen werden über 7000 ehemalige KZ-Häftlinge im sogenannten Todesmarsch von Dachau in Richtung Alpen getrieben. Im gestreiften Drillich und mit Holzschuhen an den Füßen marschieren sie in Viererreihen. Am Abend des 29. April 1945 erreichen mehrere Gruppen völlig erschöpfter Frauen und Männer das Lager Buchberg.
Die Zwangsarbeiter auf der anderen Seite des Stacheldrahts, russische Männer und Frauen, begrüßen die ehemaligen Häftlinge und werfen ihnen Zigaretten, Kartoffeln und Brotstücke zu. So schildert Levi Shalit seine Eindrücke bei der Ankunft – nachzulesen in der Neuauflage der Dokumentation „Befreiung in Buchberg“ von Andreas Wagner.
Kriegsende in Geretsried: Arbeiter erschlagen Lagerführer – Kinder beobachten graumsame Szenen
Unter ihnen ist auch der damals 15-jährige jüdische Junge Bernard Offen. „Ich konnte mich kaum auf den Beinen halten, bin ständig auf den Boden gefallen“, berichtet er. Trotzdem drängen die Bewacher zum Aufbruch. Doch dazu kommt es nicht mehr: Am 30. April packt die SS ihre Sachen und flieht aus dem Lager, die im Lager lebenden Zwangsarbeiter sind plötzlich frei. Wenige Stunden später trifft der erste amerikanische Gefechtswagen ein.
Der Lagerführer, so berichtet es die ungarische Jüdin Ferencné Lengyel, wird von russischen Arbeitern erschlagen. Er stammte aus Bairawies und war vermutlich kriegsversehrt, denn er hatte nur einen Arm. „Er war bekannt dafür, die russischen Zwangsarbeiter schikaniert zu haben, sie wurden geschlagen und eingesperrt“, so der Arbeitskreis. Wie Wagner recherchiert hat, ist im Sterbebuch als Todesursache „erschossen“ vermerkt.
80 Jahre Kriegsende: Kinder beobachten grausame Szenen - Amerikaner dulden Plünderung
Kinder, die auf der anderen Straßenseite in einem der Ingenieurshäuser leben, werden Augenzeuge dieser grausamen Szene: Der neunjährige Norman Weber teilt sich ein Zimmer mit seinem Cousin Ekkehard, das Fenster zeigt nach Südwesten in Richtung des Lagers. Die Amerikaner dulden die Plünderung und das Schikanieren der Belegschaft und der Landbevölkerung durch Deportierte, Überlebende des Todesmarsches und Fremdarbeiter.
Sie stürmen die Lebensmittellager und Büros der Werke. Durch die Fenster in den Ingenieurshäusern fliegen Steine. Auch die Familien von Norman und Ekkehard müssen ihre Vorräte hergeben. Ein paar Habseligkeiten laden sie in den Kinderwagen von Normans zwei Monate alter Schwester Helga. Sie versuchen, sich nach Wolfratshausen durchzuschlagen.
Vor Befreiung des Lager Buchbergs: 120 Männer werden erschossen
Nur Stunden vor der Befreiung ereignet sich im Lager Dramatisches. Das hat unsere ehemalige Redakteurin Veronika Ahn-Tauchnitz in einer wissenschaftlichen Arbeit recherchiert. SS-Hauptscharführer Otto Moll, der Kindermörder von Auschwitz, taucht mit 40 bewaffneten Männern in Buchberg auf. Er fordert vom Lagerführer die Herausgabe aller jüdischen Gefangenen. Der weigert sich mit der Begründung, er habe den Befehl, mit den KZ-Häftlingen auf die amerikanischen Truppen zu warten.
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Es kommt zum Streit. Schließlich schlägt der Lagerführer dem SS-Mann vor, russische Gefangene zu nehmen. 120 Männer, so schildert es der Überlebende Leon Kligerman, werden abgeführt und zwei Kilometer vom Lager entfernt im Wald erschossen. „Einige Tage später waren wir es, die alle diese ermordeten Russen im Wald fanden“, bestätigt die Jüdin Károlné Adám.
Glaubt man Wilhelm Metzler, ein Mitglied aus Molls Wachmannschaft, zieht ein Teil der Gefangenen jedoch noch ein ganzes Stück weiter. Dort sieht Metzler, wie Moll mitten auf der Straße steht. Er zieht seine MP, geht zu den an der Böschung liegenden Häftlingen und schießt jedem einzelnen in den Kopf. „Ich habe 26 gezählt.“
Moll selbst, der im Dachau-Prozess zum Tode verurteilt wird, leugnet die Erschießung. „Ich war ein deutscher Soldat, kein Mörder“, sagt er aus. Wo die Opfer der Massenexekution begraben sind, ist bis heute nicht geklärt.
Serie
Zwei Geburtstage feiert Geretsried in diesem Jahr: 75 Jahre Gemeindegründung und 55 Jahre Stadterhebung. Dieses Jubiläum nimmt unsere Zeitung zum Anlass, historische und aktuelle Geschehnisse aus über sieben Jahrzehnten im Rahmen einer Serie zu beleuchten. Die einzelnen Folgen erscheinen in loser Reihenfolge.