2078 Bomben in drei Minuten: Vor 80 Jahren griffen die Alliierten die Munitionsfabrik DAG an

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Schwarze Rauchsäule: Das Bild zeigt den Teil der DAG zwischen Isar und Reichsstraße 11 (heute B11), der von der Bombergruppe 379 angegriffen worden ist. Das Wachslager am heutigen Dompfaffenweg brennt. Durch die starke Rauchentwicklung ist das Verwaltungsgebäude (heutiges Rathaus) nur schwer zu erkennen. Ein Teil des Lagers Buchberg (heute Böhmwiese) ist zu sehen.  © Stadtarchiv Geretsried

Vor 80 Jahren wurde die Munitionsfabrik der Dynamit AG in Gartenberg von den Alliierten bombardiert. Trotz der großen Mengen an Bomben ist der Sachschaden gering.

Geretsried – Heute vor 80 Jahren stiegen über Gartenberg schwarze Rauchwolken auf. Am 9. April 1945 bombardierten die Alliierten die Munitionsfabrik der Dynamit AG (DAG), das Werk „Tal I“, im Wolfratshauser Forst. Joachim Braun, früherer Redakteur unserer Zeitung, hat 1995 die Ereignisse von damals in seinem Buch „Ende und Neubeginn“ niedergeschrieben.

„Schokoladenfabrik“, welch wohlklingenden Namen lassen sich die Nazis 1937 für ihr gigantisches Projekt im Wolfratshauser Forst einfallen. Von „Tal I“ und „Tal II“ spricht das Oberkommando des Heeres. Die offizielle Bezeichnung ist „Fabrik Wolfratshausen der Gesellschaft mit beschränkter Haftung zur Verwertung chemischer Erzeugnisse“.

Piloten des Bombenangriffs am 9. April 1945 auf Geretsried um den Kapitän Thomas J. Barr (hinten 2. v. re.)
In einem der Flugzeuge, die die 2078 Bomben auf Geretsried abwarfen, saßen diese amerikanischen Soldaten um ihren Kapitän Thomas J. Barr (hinten 2. v. re.). © WWW.303RDBG.COM

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Der 9. April 1945 ist ein sonniger Frühlingstag. Gegen 17.15 Uhr hören die Arbeiter der Munitionsfabrik im Norden von Geretsried ein dumpfes Grollen. Es klingt wie ein Gewitter. Das Geräusch ist bekannt von den ungezählten amerikanischen und britischen Bomberverbänden, die zu dieser Zeit Tag und Nacht ihre unheilvolle Fracht über München abwerfen.

Anton Bräuhäuser, Chef der Werksfeuerwehr.
Erlebte alles mit: Anton Bräuhäuser, Chef der Werksfeuerwehr. © Archiv

Doch diesmal heißt das Ziel Gartenberg, wo die DAG seit 1940 Munition für Adolf Hitlers Kriegsmaschinerie produziert. Die Flugzeuge der Alliierten nähern sich, Sirenen heulen auf. Die Mitarbeiter verlassen fluchtartig die Fabrik und rennen um ihr Leben. Innerhalb von drei Minuten werfen die Flieger ihre unheilbringende Fracht ab.

Bomben und Flugblätter

Wie Friedrich Schumacher, Mitglied im Arbeitskreis Historisches Geretsried, herausgefunden hat, griffen 76 Bomber vom Typ B-17 der 8. US Air Force, geschützt von etlichen B-15-Jagdflugzeugen, die DAG an. In rund fünf Minuten warfen sie 2078 Bomben ab. Zwei Bombergruppen, formiert in jeweils drei Geschwadern, flogen von der Isar in Richtung Buchberg und warfen ihre gefährliche Bombenlast ab: 500 Pfund schwere Sprengbomben, 150-Pfund-Sprengbomben und 500-Pfund-Stabbrandbomben. Aber nicht nur Bomben wurden von den Alliierten abgeworfen, sondern auch Flugblätter. In bombenförmigen Behältern, sogenannten Nickels, wurden die Flugblätter gepackt. In einer Höhe von 6000 Metern über dem Boden wurden die Behälter durch einen automatischen Zünder aufgerissen, sodass die Flugblätter einzeln zu Boden flattern konnten. Personen, die im Besitz von feindlichen Flugblättern waren, mussten mit Strafen durch die Nazis rechnen. Das Lesen der Flugblätter war ebenso untersagt wie das Hören von feindlichen Rundfunksendern. Die Flugblätter waren gestaltet wie kleine Zeitungen, die am 9. April 1945 auf die DAG abgeworfen wurden.

Lehrlingswerkstätte wird zerstört

In seinem Buch zitiert Autor Braun den damaligen Chef der 45 Mann starken Werksfeuerwehr, Anton Bräuhäuser. „Neben dem Gebäude der Feuerwache befand sich die Lehrlingswerkstätte für 20 bis 24 Lehrlinge. (...) Sie war nur einige hundert Meter von dem Feuerwehrgebäude entfernt. Als dann an diesem Tag der Alarm kam, sind die Burschen wie der Blitz zu uns rübergerannt. Und kaum waren sie in dem Gebäude der Feuerwehr, sind die ersten Bomben gefallen. Sie trafen die Lehrlingswerkstätte. Sie wurde total zerstört.“ Die Lehrlinge kommen mit dem Leben davon. Ein Mann stirbt. Der Arbeiter aus Königsdorf hat es nicht schnell genug zum Luftschutzbunker geschafft.

Beseitigung von Gebäuderesten
Beseitigung der Trümmer: Die zerstörten Gebäudeteile der Lehrlingswerkstätte wurden circa 1957 von Hand abgebrochen und in den danebenliegenden Bombentrichter geschüttet. © Rudolf Bauer

Sachschaden ist dennoch gering

Trotz der großen Mengen an Bomben ist der Sachschaden gering. Zerstört werden neben der Lehrlingswerkstatt nur ein Wachslager und das Packmittellager. Aber es hätte sehr viel schlimmer ausgehen können, schreibt Joachim Braun. Wäre nur einer der mit Sprengstoff beladenen Eisenbahnwaggons auf dem Fabrikgelände getroffen worden – die Folgen wären selbst für das benachbarte Wolfratshausen katastrophal gewesen. „Ist das vielleicht der Grund, warum die Bomber nicht zurückkehren?“, wie Feuerwehrmann Bräuhäuser vermutete. Wollten die Alliierten nur zeigen, was passieren könnte? Wussten sie längst Bescheid über die Munitionsfabriken im Wolfratshauser Forst? Auch der geheime „Weekly damage report“ (wöchentlicher Zerstörungsbericht) der US-Luftwaffe vom 20. April gibt darüber keine Auskunft. Darin heißt es lediglich: „Es scheint, dass es nur geringe Zerstörungen gegeben hat, obwohl es eine Ansammlung von vielen Kratern im nördlichen Drittel des Ziels gibt.“

Amerikaner erstellen Luftbilder

Die Produktion im Wolfratshauser Forst kommt nach dem Bombenangriff jedenfalls zum Stillstand. Drei Wochen später marschieren die Amerikaner ein. Sie übernehmen die Munitionsfabriken der DAG sowie der Deutschen Sprengchemie (DSC) im Süden der Stadt. Die Anlagen werden zum Teil später gesprengt und demontiert. Noch Jahrzehnte später werden bei Bauarbeiten in Geretsried immer wieder Fliegerbomben gefunden – Zeugnisse des Luftangriffs vor 80 Jahren.

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Zwei Tage später, am 11. April, 1945, sind amerikanische Flugzeuge erneut über den Wolfratshauser Forst geflogen, um Luftaufnahmen zu erstellen, die das Ausmaß der Zerstörungen zeigen sollten.

Laut dem Arbeitskreis Historisches Geretsried wurde bei der Lehrlingswerkstätte (Bunkernummer 199) die südliche Hälfte zerstört. Der übrige Teil des Hauses wurde ausgebaut und das Schuhgeschäft Haubner eröffnet. Das Gebäude steht heute noch und hat die Hausnummer 59 an der Egerlandstraße.

Serie

Zwei Geburtstage feiert Geretsried in diesem Jahr: 75 Jahre Gemeindegründung und 55 Jahre Stadterhebung. Dieses Jubiläum nimmt unsere Zeitung zum Anlass, historische und aktuelle Geschehnisse aus über sieben Jahrzehnten im Rahmen einer Serie zu beleuchten. Die einzelnen Folgen erscheinen in loser Reihenfolge.

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