Todesmarsch der Dachauer KZ-Häftlinge: Andreas Wagner aus Geretsried enthüllt neue Forschungsergebnisse

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Enormer Zuspruch: Den Vortrag von Andreas Wagner im Badehaus verfolgten die Zuhörer mit Interesse und Betroffenheit. © Hans Lippert

Andreas Wagner hat eine Neuauflage seines Buches über den Todesmarsch der Dachauer KZ-Häftlinge veröffentlicht. Nach drei Jahren intensiver Forschung präsentierte er seine Ergebnisse. Die Neuauflage bietet tiefe Einblicke in die Ereignisse von vor 80 Jahren.

Waldram - Mit 23 Jahren schrieb der damals schon geschichtsinteressierte Geretsrieder Andreas Wagner ein Buch über den Todesmarsch. Es war die erste Gesamtdarstellung über den Leidensweg der Häftlinge des Konzentrationslagers Dachau, die, angetrieben von SS-Männern, in Richtung Alpen marschieren mussten. In diesen Tagen, 30 Jahre später, hat Wagner eine Neuauflage veröffentlicht. Drei Jahre lang recherchierte er neben seinem Beruf als Heilerziehungspfleger erneut zu diesem dunklen Kapitel deutscher Geschichte. Er sichtete tausende Dokumente in Archiven im In- und Ausland, die aufgrund abgelaufener Schutzfristen und dank Digitalisierung und Internet heute zugänglich sind. Zum 80. Jahrestag des Kriegsendes stellte er am Sonntagabend im Erinnerungsort Badehaus in Waldram seine Forschungsergebnisse erstmals vor. Der Saal war voll, und während der bedrückenden Schilderungen herrschte absolute Stille und Aufmerksamkeit.

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Das Werk „Befreiung in Buchberg – Die Räumung des Dachauer KZ-Außenlagers Kaufering XI im April 1945“ stelle einen Ausschnitt aus seinen bisherigen Forschungsergebnissen dar, sagte Wagner. Die 85-seitige Dokumentation, die online abrufbar ist, beschränkt sich auf die Darstellung der Ereignisse um die Räumung des Dachauer KZ-Außenlagers Kaufering XI, für dessen Häftlinge vor 80 Jahren im heutigen Geretsried ein neues Leben in Freiheit begann

Exponate zum Todesmarsch sind in einer Dauerausstellung zu sehen.
Exponate zum Todesmarsch sind in einer Dauerausstellung zu sehen. © Hans Lippert

Unter den 10 000 Gefangenen waren 9000 Juden

Einen Monat vor Kriegsende befanden sich rund 10 000 Gefangene im Lagerkomplex Kaufering, davon nach Schätzung des ehemaligen Häftlings Israel Kaplan etwa 9000 Juden. Kaplan schrieb in seinen Aufzeichnungen: „Im größten Teil der Lager von Kaufering wussten die Leute bereits am Montagabend, dem 23. April, dass es eine Anordnung betreffs einer Evakuierung gab. Die KZler hätten die Lager so schnell wie möglich zu verlassen, um irgendwo hingetrieben zu werden. Für die Menschen bedeutete dies den Untergang. Aufgrund der schlechten Verpflegung in den Monaten zuvor befanden sich dort alle bereits in einem schlimmen, geschwächten Zustand. Der größte Teil hatte auch geschwollene Füße. Und jetzt ein Eilmarsch zu Fuß – und wer wusste wie lange und wohin; und dazu noch gerade in dem Moment, als die langersehnte Befreiung schon kurz bevorstand!“

Für die Räumung des Lagers verantwortlich war der Lagerkommandant Hans Baumgart. Die Zahl der aus dem Lager Kaufering XI „evakuierten“ Häftlinge wird von ihm mit 1250 angegeben. Die Gruppe marschierte über Fürstenfeldbruck, Pasing, das KZ-Außenlager Allach und Starnberg nach Wolfratshausen. Der Teilnehmer Levi Shalit beschrieb die letzte Etappe wie folgt: „Die Straße führte in Serpentinen einen hohen Hügel hinunter. Im Tal unten lag eine kleine Stadt. Auf Straßenschildern stand der Name Wolfratshausen. […] Wir mieden die Stadt und umgingen die Hauptstraßen.“

Einheimische beobachten das Schreckensszenario

Es werden Einheimische zitiert, die die in Decken und Lumpen gehüllten, völlig abgemagerten Menschen von ihren Fenstern aus beobachteten. Ein General habe die Häftlinge dann von Weidach aus zum Lager Buchberg in Geretsried geführt, berichtet der Teilnehmer Kopel Kaufman. Dort kamen sie am Sonntagabend, 29. April, an. Wagner schildert die Zustände in dem Barackenlager. Einige Gefangene wurden laut Zeugen verschleppt, andere erschossen, mutmaßlich vom gefürchteten SS-Hauptscharführer Otto Moll. Nach und nach zogen die Wachen ab. 

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Am 1. Mai befreiten die Amerikaner die Lagerinsassen. Diese organisierten sich daraufhin selber. Wer schwer krank war, wurde vom Lager Buchberg ins Lazarett im Lager Föhrenwald gebracht.

Im Anschluss an Wagners Lesung stellten Schülerinnen und Schüler des Geretsrieder Gymnasiums ihre P-Seminar-Arbeiten vor. Sie hatten Passanten auf der Straße zum Todesmarsch befragt, ein Interview mit dem Initiator der steinernen Mahnmale im Würmtal, Ekkehard Knobloch, geführt und Otto Moll porträtiert. Knobloch war extra zur Gedenkfeier gekommen. Nachdenklich meinte der 84-Jährige im Gespräch mit Badehaus-Vorsitzender Dr. Sybille Krafft, er hätte heute, in einer Zeit voller Fremdenhass und Antisemitismus, nicht mehr den Mut, sich für das Aufstellen der Todesmarsch-Mahnmale des Bildhauers Hubertus von Pilgrim einzusetzen. Von Tanja Lühr

Info: Andreas Wagners Veröffentlichung ist im Internet abrufbar unter www.andi.de/dokumentation/939/ 

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