Debatte um deutschen Wehretat: „Wir sind bereit zu liefern“ – Rüstungsindustrie fordert Zusagen

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Zwei Prozent, vier Prozent oder vielleicht doch fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), wie US-Präsident Donald Trump fordert? Drei Wochen vor der Bundestagswahl mehren sich die Spekulationen über die Höhe des künftigen deutschen Wehretats.

Berlin – Die Rüstungskonzerne in Deutschland haben von der künftigen Bundesregierung Planungssicherheit sowie langfristige Zusagen für die Finanzierung gefordert. „Wir produzieren schon jetzt mehr Munition als die Vereinigten Staaten“, sagt Rheinmetall-Chef Armin Papperger bei einer Fachtagung in Berlin. MBDA-Deutschlandchef Thomas Gottschild forderte mehr Planungssicherheit für die Rüstungsindustrie. Nur dann könnten die Unternehmen investieren und Skaleneffekte erzielen: „Wir sind bereit zu liefern, und wir sind in der Lage, die Bundeswehr bis 2029 kriegstüchtig zu machen“, sagt er.

Der MBDA-Chef plädiert zudem für ein Rüstungsbeschleunigungsgesetz. Bislang hinkt die Produktion wichtiger Rüstungsgüter wie etwa Kampfpanzer hinterher, was an den geringen Bestellmengen liegt und daran, dass es keine langfristigen Zusagen für die Finanzierung gibt, sagte Susanne Wiegand, Vorsitzende des BDI-Ausschusses für Sicherheit: „Die Politik hat jetzt die Aufgabe, die Prioritäten zu setzen.“

Die Ausgaben für die Bundeswehr werden in den kommenden Jahren kräftig steigen

US-Präsident Donald Trump hat gefordert, dass die Nato-Staaten künftig fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts für den Verteidigungssektor auszugeben. Doch damit ist er in Deutschland bislang parteiübergreifend auf Widerstand gestoßen. Sicher sei, dass die Ausgaben für die Bundeswehr in den kommenden Jahren kräftig steigen werden, sagt Carsten Breuer, Generalinspekteur der Bundeswehr, auf der Handelsblatt-Tagung „Sicherheit und Verteidigung“ in Berlin. Bekäme die Bundeswehr künftig zwei Prozent vom Bruttoinlandsprodukt, so läge das jährliche Budget bei 85 Milliarden Euro. Bei fünf Prozent wären es schon 213 Milliarden. „Können solche Volumina von der Industrie überhaupt geleistet werden?“, fragt der oberste Soldat des Landes.

Laut einer repräsentativen Umfrage der Unternehmensberatung PwC unter 1000 Bürgern spricht sich eine deutliche Mehrheit der Deutschen für mehr Engagement der Bundesregierung für innere und äußere Sicherheit aus. Dabei finden es 42 Prozent richtig, die Verteidigungsausgaben der Nato-Staaten von bisher angestrebten 2 auf 3 bis 3,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu erhöhen. Rund 15 Prozent würden auch noch höhere Ausgaben befürworten. 

Langfristige Aufträge sind nötig, um Produktionslinien schnell hochzufahren

Deutschland meldete der Nato im Jahr 2024 geschätzte Verteidigungsausgaben von 90,6 Milliarden Euro und hätte damit klar das Zwei-Prozent-Ziel des Bündnisses überschritten. Die Bundesregierung habe zwar einen Schritt in die richtige Richtung gemacht, sagte die ehemalige Chefin der Rüstungsfirma Renk, Susanne Wiegand: „Doch wir sollten vom Reden ins Handeln kommen. Die Rüstungsunternehmen benötigen Aufträge.“ Langfristige volumenstarke Aufträge seien nötig, damit Produktionslinien schnell hochgefahren werden könnten.

Experten sehen hohe Bedrohungslage durch Russland

Die Bedrohung durch Russland wird von den Militärs weiter als hoch eingeschätzt. Laut der EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas könnte Russland bereits 2028 in der Lage sein, ein Nato-Land in Europa anzugreifen. Die Hochrüstung der russischen Armee laufe weiter, sagte Generalinspekteur Breuer. Neue Waffensysteme wie Panzer, aber auch Artilleriemunition gingen nicht an die Front in der Ukraine, sondern würden zur Ausrüstung neuer Einheiten verwendet, die gen Westen ausgerichtet seien. „Ich bin überzeugt, dass sich Putin niemals mit der Ukraine zufriedengibt“, sagt Breuer mit Blick auf den russischen Präsidenten.

Entwicklung eines gemeinsamen Kampfpanzers in Europa

Klar ist aber auch, dass sich Europa mit dem Amtsantritt von US-Präsident Trump nicht mehr auf die uneingeschränkte Unterstützung des größten Nato-Mitglieds verlassen kann. Zwar sind die Europäer bei der Beschaffung von Tarnkappenjets wie der F-35 von Lockheed Martin weiter von US-Produkten abhängig. Es gibt aber Kompetenzen, in denen Europa sogar besser ist als die Amerikaner. Rheinmetall-Chef Papperger verwies in diesem Zusammenhang vor allem auf Panzer und gepanzerte Fahrzeuge sowie auf deren Munition. Allerdings stehe sich Europa mit seinen komplizierten Beschaffungsprozessen und nationalen Egoismen oft selbst im Weg.

Papperger nimmt hier das europäische Vorhaben zur Entwicklung eines gemeinsamen Kampfpanzers als Beispiel. Ende Januar hat Rheinmetall gemeinsam mit KNDS Deutschland, KNDS Frankreich und Thales einen Gesellschaftervertrag für das „Main Ground Combat System“ (MGCS) unterzeichnet. Bis 2040 soll MGCS den Leopard 2 und den Leclerc ersetzen. Aus Sicht von Branchenexperten könnte es auch erst 2045 sein. „Das ist zu langsam“, sagt Papperger. „Ich finde es gut, wenn man etwas europäisch macht, ich finde es aber schlecht, wenn es sich derart verzögert.“

Beginn einer Konsolidierung bei der kleinteiligen Rüstungsbranche in Europa

Rheinmetall selbst arbeitet gemeinsam mit dem italienischen Rüstungskonzern Leonardo an einer Interimslösung. Die beiden Unternehmen werden für die italienischen Streitkräfte den von Rheinmetall entwickelten Kampfpanzer Panther KF51 fertigen. Das ist ein erster Schritt in Richtung einer stärkeren Konsolidierung der kleinteiligen Rüstungsbranche in Europa.

Genau diese Kleinteiligkeit ist ein Nachteil gegenüber den großen Rüstungsunternehmen außerhalb von Europa und bremst große Rüstungsvorhaben aus. „Wenn wir keine großen Player in Europa haben, können wir nicht mit den USA, China oder Russland konkurrieren“, sagt Papperger. Aus seiner Sicht müsse sich Europa mit Blick auf die Konsolidierung an den USA orientieren. Dort gebe es mit den Unternehmen Lockheed Martin, Raytheon, Boeing, Northrop Grumman und BAE Systems die „Big Five“. „Der US-Markt ist zwar größer, aber ich bin davon überzeugt, dass es in Europa in eine ähnliche Richtung gehen muss“, sagt er.

Wiegand sieht hier allerdings ein spezielles Problem hierzulande. „In Deutschland gibt es eine breite, mittelständisch aufgestellte familiengeführte Rüstungsindustrie. So etwas gibt es in dieser Form nur in Deutschland.“ Diese langfristig ausgerichteten Unternehmen hätten gegenüber aktiennotierten Konzernen in Friedenszeiten zwar Vorteile gehabt, weil sie trotz geringer Auftragsvolumina an der Rüstungsfertigung festhalten konnten. „In diesen dynamischen Zeiten mit wachsendem Konsolidierungsdruck ist diese Struktur allerdings nachteilig. Da müssen wir Lösungen finden“, sagt Wiegand. Ein weiteres Problem sieht die ehemalige Chefin des Rüstungsunternehmens Renk in der Abhängigkeit Europas von wichtigen Komponenten für die Herstellung von Rüstungsgütern. So liefert etwa China nach wie vor große Mengen des sogenannten Baumwoll-Linters, auch als „Schießbaumwolle“ bezeichnet. Linter ist ein Kernbestandteil von Artilleriegranaten.

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