Reichsbürger-Prozess erreicht entscheidende Phase: Das sagen die Psychiater
Der Prozess gegen den Olchinger Reichsbürger und Verschwörungstheoretiker geht in die entscheidende Phase. Jetzt haben Psychiater ihre Einschätzungen vorgetragen.
“Halte durch! Gott gewinnt”, hatte sich eine der Zuhörerinnen mit Filzstift auf ihren Arm geschrieben. Der mit zwei Herzchen versehene Schriftzug galt dem 59-jährigen Angeklagten, der sich seit drei Wochen wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, Volksverhetzung und weiterer Delikte am Münchner Landgericht verantworten muss. Am Dienstag haben Psychiater zur Schuldfähigkeit des Olchingers, der die Reichsverfassung von 1871 für gültig hält und auf der Anklagebank Jesusbilder küsst, ausgesagt.
Wilde Beschimfpungen
Wie in den Verhandlungstagen zuvor hat der Ingenieur die übrigen Prozessbeteiligten wüst beschimpft: eine der beiden Staatsanwältinnen als „kleines Miststück” und „Drecksschlange” und den Vorsitzenden Richter als „pädokriminellen Verbrecher”. Die vom Gericht verhängten Ordnungsgelder beeindrucken ihn wenig. Allein am Dienstag waren es 1500 Euro. Sollte er die mittlerweile aufgelaufenen über 30000 Euro nicht bezahlen, droht dem 59-Jährigen allein dafür ein knappes Jahr Ordnungshaft. Doch auch das scheint ihn nicht zu beeindrucken: “Wir haben‘s geschafft”, hat er seine Anhänger begrüßt, von denen etwa ein Dutzend erschienen ist. In drei Tagen sei es so weit: Militärs würden den Richter wegen Kriegsverbrechen hinrichten und ihn selbst befreien. Ähnliches hat er vor drei Wochen auch schon angekündigt - für das darauffolgende Wochenende.
Tausende Follower
Neben Ordnungshaft droht dem Olchinger Strafhaft. Ins Visier der Generalstaatsanwaltschaft ist er geraten, weil vor drei Jahren auf seinem Telegram-Kanal zu Protestaktionen aufgerufen hat. Betroffen waren vor allem Jugendämter, Amtsgerichte und Polizeistationen, die nach Hinweisen auf Kindeswohlgefährdung tätig geworden waren. Der Angeklagte und ein Teil seiner 52000 Telegram-Follower haben daraufhin bei den staatlichen Stellen angerufen, Mitarbeiter beschimpft und teilweise den Geschäftsbetrieb lahm gelegt. Vor Gericht hat der 59-Jährige die Aktionen verteidigt: Kinder aus ihren Familien zu nehmen, sei „Kindesraub”.
Nachdem eine Psychiaterin dem Angeklagten eine wahnhafte Störung attestiert hatte, ist er Ende 2021 in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen worden. 157 Tage lang habe ihn die Bundesrepublik, der er Hoheitsrechte abspricht, rechtswidrig im Bezirkskrankenhaus Haar festgehalten, schimpfte der Angeklagte. Haar sei ein „Nazi-KZ”, wo Menschen „weggespritzt” würden, und der behandelnde Arzt „schlimmer als Mengele”.
Mit christlicher Mythologie
Dabei müsste er dem Arzt eigentlich dankbar sein: Dieser hat nämlich die ursprüngliche Diagnose nicht bestätigt. Zwar könnten die vom Angeklagten vertretenen Reichsbürger-Thesen „verschränkt mit christlicher Mythologie” sehr wohl Ausdruck eines krankhaften Wahns sein, erklärte der Psychiater vor Gericht. Dagegen spreche allerdings, dass der Olchinger in der Lage sei, die Perspektive zu wechseln und sich mit Gegenansichten auseinanderzusetzen.
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Hinzu komme, dass Wahn „von außen über einen kommt”, der Ingenieur sich hingegen intensiv mit seinen Theorien beschäftigt habe und „darin aufgegangen” sei. Ein weiterer Psychiater, den das Gericht mit der Erstellung eines Obergutachtens beauftragt hat, schloss sich dieser Einschätzung an: Pathologischer Wahn gehe in der Regel mit Vereinzelung einher. Das sei beim Angeklagten gerade nicht der Fall, stellte der Professor fest und blickte zum „Fanclub” des Ingenieurs, wie der Vorsitzende die Sympathisanten bezeichnet hat.
Nach den Gutachten dürfte die volle Schuldfähigkeit des Olchingers feststehen und eine Einweisung in die Psychiatrie vom Tisch sein. Das Gericht hat weitere Verhandlungstage bis Ende September angesetzt, ein früheres Urteil aber nicht ausgeschlossen.