Wie ein Satz im Koalitionsvertrag Rentner bis zu 28.000 Euro kosten könnte
Beim Thema Rente haben sich Union und SPD in ihren Koalitionsverhandlungen noch nicht geeinigt. Das entsprechende Arbeitsgruppen-Papier enthält dabei an einer entscheidenden Stelle noch die in Klammern gesetzten und farblich markierten Sätze, die die Einzelposition eines der beiden Verhandlungspartner kennzeichnen. Im Blau für die Union ist dort festgehalten:
„Wir passen die Definition der Standardrente an die laufende Anhebung der gesetzlichen Regelaltersgrenze perspektivisch auf 47 Beitragsjahre bis 2031 an.“
Für den Laien ist das eine unbedeutende Kleinigkeit, die sich nach einer Formalie anhört. Doch Experten schlagen Alarm: „Die Renten sehen dann auf dem Papier stabil aus, aber der Schein trügt“, sagt etwa Yasmin Fahimi, Chefin des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Dazu sei gesagt, dass Fahimi fünf Jahre lang selbst für die SPD im Bundestag saß und ein Jahr lang auch als Generalsekretärin der Partei arbeitete.
Warum dieser Satz die Renten kürzt
Allerdings stimmt, was sie sagt. Die leichte Änderung der Standardrenten-Definition wäre praktisch eine Rentenkürzung. Die Standardrente ist ein fiktiver Wert. Sie gibt an, wie hoch der Anspruch eines Rentners wäre, der 45 Jahre lang exakt den Durchschnittslohn verdient hätte und nun in Rente geht. Aktuell ist ein Rentenpunkt 39,32 Euro wert, die Standardrente liegt also bei 1769,40 Euro im Monat.
Die Union argumentiert nun, dass diese Definition auf 47 Jahre angehoben werden sollte, weil bis 2031 auch das Renteneintrittsalter von 65 auf 67 Jahre und damit um zwei Jahre ansteigt. Das klingt erst einmal logisch. Die Standard-Rente nach dem Unions-Modell läge dann dieses Jahr bei 1848,04 Euro. Allerdings würde dadurch kein Rentner mehr Geld ausgezahlt bekommen.
Rentenniveau-Haltelinie läuft 2025 aus
Die Standardrente ist dann wichtig, wenn es darum geht, das Rentenniveau zu berechnen. Das ist schlicht das Verhältnis der Standardrente zum durchschnittlichen Bruttoeinkommen. Die Ampel-Regierung hatte dies auf 48 Prozent festgeschrieben. Diese Haltelinie läuft aber dieses Jahr aus. Die SPD würde sie gerne weiterführen, die Union will das Niveau auch halten, nennt aber keinen Wert. Der Einfachheit halber gehen wir im Folgenden davon aus, dass auch die Union es nicht unter 48 Prozent sinken lassen möchte.
Die Haltelinie ist wichtig für Rentenerhöhungen. Wächst etwa der Durchschnittslohn um fiktive zehn Prozent an, müssten auch die Renten um zehn Prozent steigen, damit das Niveau nicht absinkt. Davon profitieren Rentner in diesem Sommer. Rein rechnerisch würden die Renten nur um 3,69 Prozent ansteigen. Um das Niveau zu halten, werden es aber 3,75 Prozent sein.
Rentenberechnung soll jährlich steigen
Die Union möchte nun die Berechnungsdauer für die Standard-Rente jedes Jahr bis 2031 um vier Monate anheben, insgesamt also um zwei Jahre. Das führt dazu, dass das Rentenniveau steigt. Würde die Standard-Rente heute mit 47 statt 45 Jahren berechnet, läge es bei 50,1 statt 48 Prozent. Das wiederum bedeutet, dass die tatsächlichen Rentenerhöhungen in den kommenden Jahren niedriger ausfallen können, weil das Niveau ein wenig absinken kann, bis es wieder die Haltelinie von 48 Prozent erreicht. Mit dem Unions-Vorschlag würden Renten in den kommenden Jahren also weniger stark steigen als die Löhne.
Neue Definition kostet Rentner bis zu 28.000 Euro
- Standardrente bei 45 Jahren: Nehmen wir dazu ein Beispiel. In den vergangenen zehn Jahren stiegen die Löhne in Deutschland pro Jahr um durchschnittlich drei Prozent. Mit dem bisherigen System der Standardrente nach 45 Jahren und der Haltelinie bei 48 Prozent wie es die SPD favorisiert, würde der Wert eines Rentenpunktes jedes Jahr um mindestens drei Prozent steigen. Von aktuell 39,32 Euro ginge es auf 40,50 Euro im kommenden Jahr hinauf, bis 2031 ein Wert von 46,95 Euro erreicht würde.
- Standardrente nach 47 Jahren: Mit dem Unions-Modell und der Haltelinie bei 48 Prozent müsste ein Rentenpunkt nur noch um 2,3 Prozent im Wert steigen. Von 39,32 Euro ginge es also nächstes Jahr nur auf 40,20 Euro nach oben. 2031 würde ein Wert von 44,95 Euro erreicht werden. Ab dann steigen die Werte in beiden Modellen wieder im Gleichschritt. Rentner hätten mit dem Unions-Modell im Jahr 2031 knapp zwei Euro weniger Rente pro Rentenpunkt. Das summiert sich schnell. Wer 45 Rentenpunkte gesammelt hat, bekäme dadurch 90 Euro weniger pro Monat und rund 1080 Euro weniger pro Jahr. Das ist eine effektive Rentenkürzung um 4,3 Prozent.
Und diese Lücke wird jedes Jahr größer, denn die Rentenerhöhungen würden in beiden Modellen nur relativ gleich liegen. Da drei Prozent vom niedrigeren Wert der Union aber in Euro und Cent weniger wären als vom höheren Wert in der SPD-Variante, wächst die Differenz an. 2040 wären es schon 2,61 Euro pro Rentenpunkt oder 1251 Euro pro Jahr für Rentner mit 45 Punkten, 2050 dann 3,50 Euro beziehungsweise 1681 Euro. In Summe würde jemand, der dieses Jahr mit 45 Rentenpunkten in den Ruhestand geht, nach dem Unions-Modell bis 2050 rund 28.000 Euro weniger Rente bekommen als mit dem SPD-Modell. Steigen die Löhne im Schnitt um 3,5 Prozent pro Jahr, läge die Differenz bei 30.000 Euro. Steigen Sie nur um 2,5 Prozent im Schnitt, wären es 26.000 Euro.
Union versucht Renten mit Trick stabil aussehen zu lassen
Das gilt allerdings nur, wenn auch die Union das Rentenniveau bei 48 Prozent halten will. Darauf hat sich im Arbeitsgruppen-Papier nur die SPD festgelegt. Die Union unterstützt den allgemeinen Satz, man wolle das Rentenniveau sichern und dass dies nur durch eine wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik, hohe Beschäftigungsquote und eine angemessene Lohnentwicklung gelänge.
Letzteres spielt auf das Dreieck aus Rentenbeiträgen, Renteneintrittsalter und Rentenniveau an. Um das System in den kommenden Jahren trotz demographischem Wandel bezahlbar zu halten, muss sich mindestens eine dieser drei Seiten für Arbeitnehmer negativ entwickeln. Soll das Rentenniveau konstant gehalten werden, müssten entweder die Rentenbeiträge und/oder das Eintrittsalter steigen. Das ließe sich abmildern, wenn die Zahl der Beitragszahler steigt – etwa durch die erwähnte hohe Beschäftigungsquote oder Zuwanderung.
Rentenniveau auf dem Papier stabil
Die Union versucht also, „mit billigen Tricks sichere Renten nur vorzugaukeln", wie es Fahimi ausdrückt. Tatsächlich wäre das Rentenniveau mit diesem Modell nur auf dem Papier stabil, während tatsächlich die Renten gemessen an der Lohnentwicklung gekürzt würden. Das würde es dem Dreieck entsprechend aber erlauben, mit weniger starken oder gar ohne Beitragserhöhungen sowie ohne eine Erhöhung des Renteneintrittsalters auszukommen. Beides hatte die Union in ihrem Wahlprogramm formuliert, auch die SPD will am Eintrittsalter nicht rütteln. Die Beitragssätze dürften deswegen auf jeden Fall steigen. Die Deutsche Rentenversicherung selbst rechnet mit 21,4 bis 22,9 Prozent vom Bruttolohn im Jahr 2040 statt 18,6 Prozent wie heute.