„Reformverweigerung, krass unsozial“ - Experte zerlegt schwarz-rote Rentenpläne und wittert „politisch faulen Trick“
Schwarz-Rot verhandelt, um manche Themen gibt es mehr, um andere weniger Streit. In Sachen Rente hat man sich ausweislich des Sondierungspapiers bisher vor allem aufs Geldausgeben geeinigt. Warum ein Experte die Pläne für untauglich hält.
Gesamteinschätzung: Ungenügend
Axel Börsch-Supan ist einer der versiertesten Renten-Experten der Republik und hat in verschiedenen Gremien wie etwa der Rürup-Kommission die Politik beraten. „Man sollte meinen, jeder hätte verstanden, dass die Welt sich in den letzten Jahren fundamental geändert hat“, sagt er. Union und SPD würden aber unverdrossen auf dieselben Eckpfeiler setzen wie einst die Ampel: Sicherung des Rentenniveaus, kein Anheben des Renteneintrittsalters, keine Änderungen bei der abschlagsfreien Rente nach 45 Versicherungsjahren. „Das ist schlicht Reformverweigerung“, sagt der Ökonom.
„Eigentlich müssten Union und SPD doch verstanden haben, dass nun Geld für Verteidigung und Infrastruktur gebraucht wird.“ Es sei zu einfach, zu behaupten, diese Themen dürften nicht gegen die Rente ausgespielt werden. „Ein Euro aus dem Bundeshaushalt sind 100 Cent, man kann nicht durch politischen Willen 120 draus machen.“
Grundproblem der Rentenkasse ist, dass ab jetzt die Babyboomer das Ruhestandsalter erreichen. Das wird in den kommenden Jahren hohe Kosten mit sich bringen. Was ist vor diesem Hintergrund von den schwarz-roten Ideen im Einzelnen zu halten?
Sicherung des Rentenniveaus
In der Ampel hat es nicht geklappt, nun will die SPD mit der Union eine dauerhafte Sicherung des Rentenniveaus erreichen: die so genannte Haltelinie. Die konkreten 48 Prozent, um die es der SPD geht, stehen im Sondierungspapier aber noch nicht – ein Zeichen für Unbehagen bei der Union.
Kommt es am Ende so, wie die SPD das will, wäre der sogenannte Nachhaltigkeitsfaktor ausgehebelt, der die Kosten des demografischen Wandels zwischen Alt und Jung verteilt. „Es ist wirklich frustrierend, dass man diesen Faktor nicht einfach seine Wirkung entfalten lässt“, sagt Börsch-Supan.
„Die Befürworter der Haltelinie tun so, als würde es ohne diese Sicherung mit den Rentnern bald bergab gehen. Das ist aber falsch. Auch mit Nachhaltigkeitsfaktor werden die Renten noch kräftig steigen, in den nächsten zwölf Jahren im Schnitt um 2,6 Prozent“, sagt Börsch-Supan. „Das ist mehr Plus als viele Arbeitnehmer bekommen.“
Die Haltelinie helfe ehemaligen Besserverdienenden am meisten: Sie bekämen den größten Aufschlag. Und das, obwohl gerade diese Menschen in aller Regel noch auf anderem Weg abgesichert seien, etwa durch Wohneigentum oder Betriebsrenten. „Keine Hilfe ist die Haltelinie hingegen für Menschen, die in der Altersarmut feststecken, weil sie gar keine oder nur eine sehr kleine gesetzliche Rente bekommen.“
Der Ökonom plädiert dafür, gezielt nur jenen zu helfen, die tatsächlich im Alter arm sind. „In Zeiten leerer Kassen sollte sich die Politik auf das tatsächlich sozial Gebotene konzentrieren.“ Genau das passiere aber bei einer Sicherung des Rentenniveaus, wenn sie für alle gelte, nicht.
„Die Renten-Haltelinie ist im Grunde krass unsozial“, sagt Börsch-Supan: „Eigentlich erstaunlich, dass sich das ausgerechnet die SPD auf die Fahnen schreibt.“
Renteneintrittsalter
Bis 2031 steigt das Renteneintrittsalter ohnehin schrittweise auf 67 Jahre an. Derzeit steigt die Lebenserwartung aber weniger schnell als einst prognostiziert, was einen gewissen Puffer schafft.
„Wir könnten ab 2031 zurückkehren zu einem Monat Anstieg des Rentenalters statt zweien pro Jahr. Dieser eine Monat wäre aber für die Stabilität des Systems wichtig“, sagt Börsch-Supan.
Er vermutet, dass Schwarz-Rot es der nächsten Regierung überlassen will, die Botschaft zu verkünden. „Das wäre politisch ein fauler Trick, käme zwar in der Sache noch rechtzeitig, würde aber langfristige Planungen beschädigen.“
Mütterrente
Die Ausweitung der Mütterrente ist der CSU immens wichtig. Auch für Kinder, die vor 1992 geboren wurden, sollen volle drei Jahre Erziehungszeit berücksichtigt werden. Im Interview mit dem Tagesspiegel nannte Gundula Roßbach, Präsidentin der Rentenkasse, das unverblümt eine „sehr teure Umverteilung“ – und löste damit eine bundesweite Debatte aus.
Einen „Kuhhandel“ sieht Börsch-Supan: Mütterrente gegen Haltelinie, so könne jeder die eigene Klientel bedienen.
Selbstständige
Künftig sollen auch Selbstständige verpflichtet sein, per gesetzlicher Rente vorzusorgen. Das zielt vor allem auf Solo-Selbstständige, die keinen großen Reichtum anhäufen und überproportional häufig von Altersarmut betroffen sind. „Das ist politisch sinnvoll, für die Rentenkasse aber am Ende ein Nullsummenspiel“, sagt Börsch-Supan.
Frühstartrente
Die Frühstartrente ist eine Idee der Union: Der Staat soll finanziell fördern, wenn Eltern für ihre Kinder privates Geld in eine kapitalgedeckte Altersvorsorge stecken. Etwas wolkig heißt es im Sondierungspapier, die Idee werde Bestandteil der Koalitionsverhandlungen.
„Die Idee, den Zinseszinseffekt zu nutzen, ist sicher klug“, sagt Börsch-Supan. Ob der Staat das fördern sollte, hält er aber für fraglich. „Wenn Geld knapp ist, gibt man es nicht an Besserverdienende, damit die ihren Kindern etwas Gutes tun.“
Aus seiner Sicht fördert der Staat insgesamt zu viele Dinge. „Deswegen zahlen wir so viele Steuern, über die wir uns dann wieder ärgern.“
Von Karin Christmann
Das Original zu diesem Beitrag "Was taugen die Pläne von Schwarz-Rot?: „Die Renten-Haltelinie ist im Grunde krass unsozial“" stammt von Tagesspiegel.