Frühling zu früh: Naturschützer in Sorge um Tiere und Pflanzen

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Eine junge Frau genießt die für Februar ungewöhnlich warmen Sonnenstrahlen in ihrem Garten in Ebersberg – Primeln, Winterlinge und Märzenbecher tun es ihr gleich. © Stefan Rossmann

Die milden Temperaturen locken im Landkreis Ebersberg Pflanzen wie Tiere aus der Winterruhe – das beunruhigt die Naturschützer.

Landkreis – Vogelzwitschern, Storchengeklapper, blühende Primeln, Märzenbecher und Haselstauden, und an die 17 Grad: Wer im Landkreis Ebersberg dieser Tage literaturbeflissen vor die Türe tritt, darf sich an die Verse aus Goethes Faust erinnert fühlen, mit denen der Dichterfürst den Frühlingsanbruch feiert. Der Osterspaziergang zählt zu den meistzitierten Zeilen der deutschen Literaturgeschichte, weil er jedes Jahr aufs Neue so schön passt. Mit dem kleinen Schönheitsfehler, dass er halt am Ostersonntag spielt – und nicht Mitte Februar.

Vom Eise befreit sind Strom und Bäche Durch des Frühlings holden, belebenden Blick, Im Tale grünet Hoffnungsglück; Der alte Winter, in seiner Schwäche, Zog sich in rauhe Berge zurück.

Bei aller Knospenidylle und Freude über die milden Temperaturen bereitet der frühe Frühlingsanbruch den hiesigen Naturschützern Sorgen. Als Goethe 1808 seinen Faust veröffentlichte, schrieb er über die Ostersonne: „Alles will sie mit Farben beleben; Doch an Blumen fehlt’s im Revier, Sie nimmt geputzte Menschen dafür.“ Seitdem ist der Klimawandel passiert – und es wird immer öfter immer früher immer wärmer. Und die Blumen blühen viele Wochen vor dem Ostersonntag, wo sie sich normalerweise noch Zeit gelassen hätten.

Normalerweise gibt es nicht mehr.

„Normalerweise gibt es nicht mehr“, sagt Regina Wegemann, Geschäftsführerin bei der Ebersberger Kreisgruppe des Bund Naturschutz (BN). Sie hat vergangene Woche beim Spazierengehen am aufgelassenen Bahndamm zwischen Moosach und Glonn schon Palmkätzchen, Leberblümchen und Seidelbast gesichtet, erzählt sie. „Schön eigentlich, allerdings kann der Spätfrost die Pflanzen schädigen, wenn sie zu früh blühen.“

Eine spontane Winterrückkehr kann auch den Tieren schaden, die sich zu früh aus der Deckung wagen, ergänzt Benedikt Sommer, Vorsitzender der Kreisgruppe Ebersberg im Landesbund für Vogelschutz. Der Forstinninger hat vor seiner Haustür balzende Amselhähne beobachtet. Und Weißstörche, die bereits aus ihrem Winterquartier in Südspanien oder Nordafrika zurückkehren. „Für diese Jahreszeit ganz ungewöhnlich“, sagt er. „Der nächste Schritt ist, dass sie zum Brutgeschäft schreiten.“

Gefahr: Späte Fröste mit verheerender Wirkung

Wenn dann späte Fröste hereinbrechen, könnte das die Futtersuche erschweren, wegen einer Schneedecke oder weil die Insekten ausbleiben. Schlimmstenfalls läuft es dann im Nistkasten wie bei Goethe auf eine Tragödie hinaus. „Da geht es den Viecherln wie uns Menschen – man lässt sich gerne täuschen“, sagt Vogelschutz-Vorstand Benedikt Sommer mit faustschem Unterton. Es irrt das Tier, solang es strebt.

Für die Naturschützer bedeutet der frühe Frühling, dass nun Eile geboten ist. „Wir sind im Stress, weil es schon wieder losgeht“, sagt Sommer. Der LBV kümmere sich bereits um die Nistkastenreinigung. Bei den Kollegen vom BN werden die Krötenretter nervös, berichtet Kreisgeschäftsführerin Wegemann. Die zwölf Amphibienschutzzäune, die die Tiere bei ihrer Laichwanderung vorm Überfahren schützen, werden eigentlich erst Ende Februar aufgebaut.

Kröten und Igel: Naturschützer befürchten „Gemetzel auf den Straßen“

2023 hatte allein die Ortsgruppe Glonn bis 19. Februar 212 Frösche eingesammelt. Auch heuer patrouillieren die Ehrenamtlichen bereits die Kriechstrecken ab – bisher noch ohne Sichtung. Doch wenn es losgeht, dann richtig, so Wegemann: „Kröten laufen nämlich meist alle auf einmal, an etwa drei bis vier Tagen beziehungsweise Nächten. Wenn man dieses Zeitfenster versäumt, gibt es auf den Straßen ein Gemetzel – nicht schön.“

Auch die Igel wachen viel zu früh aus dem Winterschlaf auf, so die BN-Sprecherin: „Wir hoffen, dass die Tiere wieder einschlafen, sobald es wieder kälter wird. Eigentlich sollten sie bis Ende April schlafen.“ Pessimistischer formuliert es LBV-Vorstand Sommer, der fürchtet, dass die nachtaktiven Stachelträger bald wieder überfahren am Straßenrand liegen.

Der BN appelliert an die Gartenbesitzer, die warmen Tage noch nicht zum Großreinemachen draußen zu nutzen: „Bitte denkt daran, dass die Igel ihre Schlafplätze noch benötigen“, so Wegemann. Und: „Ein Spaziergang ist doch eine schöne Alternative zum Arbeiten im Garten.“ Das formuliert sie goethegemäß, der den Auftakt des Faustschen Osterspaziergang mit dem Glück des Draußenseins beschließt:

Hier ist des Volkes wahrer Himmel, Zufrieden jauchzet groß und klein: Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein.

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