Merz verschärft den Migrationskurs – Warnung folgt: „Großer Schaden“
Merz und Dobrindt verschärfen die Migrationspolitik. Der Familiennachzug soll teils beendet werden. Doch Kritiker befürchten eine Radikalisierung unter Männern.
Berlin – Deutschland geht einen weiteren Schritt in Richtung härterer Migrationspolitik. Der Familiennachzug Geflüchteter soll in großen Teilen beendet werden und schnelle Einbürgerungen für gut integrierte Einwanderer der Vergangenheit angehören. Das hat das hat Friedrich Merz‘ Bundesregierung am Mittwoch beschlossen.
Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) legte dafür gleich zwei Gesetzentwürfe vor. Die Maßnahmen von Union und SPD rufen aber direkt scharfe Kritik hervor. Neben moralischen Fragen lautet ein Vorwurf: Die Bundesregierung erreiche damit genau das Gegenteil des Gewünschten.
Merz und Dobrindt stoppen Familiennachzug – und erschweren damit die Integration
„Durch den Beschluss der Bundesregierung von heute Vormittag werden de facto Tausende von Menschen auf unabsehbare Zeit von ihren Familien getrennt“, sagt Mamad Mohamad, Co-Vorsitzender der „Bundeskonferenz der Migrant*innenorganisationen“ (BKMO) dem Münchner Merkur.
Der Verband vertritt Interessen von Migrantinnen und Migranten und bemängelt, dass die Entscheidung von Merz und Dobrindt vor allem schutzlosen Frauen sowie Kindern schade. „Die Folgen sind bekannt und wissenschaftlich untersucht: Das Trennen von Familien aus Konfliktregionen zieht tiefe psychologische Belastungen nach sich, die langfristig die einzelnen Menschen als auch der Gesellschaft großen Schaden anrichten.“
Der BKMO-Vorsitzende begrüßt zwar, dass die Koalition auf dem Papier eine gelungene Integration ermöglichen möchte. „Das Aussetzen des Familiennachzugs löst jedoch keine der Herausforderungen, mit denen Kommunen und Infrastrukturen vor Ort tatsächlich zu kämpfen haben.“ Mohamad geht einen Schritt weiter: „Genau das Gegenteil ist der Fall, da das Zusammenführen von Familien bekanntlich die Integration vor Ort erleichtert.“
Kritik an Kanzler Merz: Leichtere Radikalisierung junger Männer durch Migrationskurs
Auch der Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR) schlägt in diese Kerbe. Nach sozialwissenschaftlichen Forschungserkenntnissen fördere der Familiennachzug die Integration sogar, heißt es vom SVR-Vorsitzenden Winfried Kluth auf Anfrage unserer Redaktion. „Weil die Familien selbst Sozialität, also soziale Beziehungen und Interaktionen herstellen. Kontakte zur deutschen Gesellschaft vermitteln vor allem die Kinder, die in Schulen und andere Lebensbereiche einbezogen sind. Das erleichtert auch die Integration der Eltern“, so Kluth. Alleinstehende Männer täten sich dagegen schwerer und könnten sich sogar leichter radikalisieren.
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Für Innenminister Dobrindt ist der Beschluss ein Erfolg. „Die heutigen Entscheidungen im Bundeskabinett dienen der Reduzierung der illegalen Migration. Ziel ist es, Pull-Faktoren zu senken, mehr Ordnung in das Migrationsgeschehen zu bringen und dem Leitsatz der Humanität und Ordnung gleichermaßen gerecht zu werden“, so der Minister.
Dobrindts Argument, mit dem Schritt Anreize zu reduzieren, hält der SVR für wenig überzeugend. „Einen Pull-Faktor sehe ich nicht, weil die Personen, zu denen der Zuzug erfolgen soll, ja als schutzberechtigt anerkannt sind. Damit sind in der Regel auch die zurückgelassenen Familienmitglieder den gleichen Gefahren ausgesetzt, etwa wenn vor Ort Krieg herrscht“, so Kluth. Durch die Ankündigung der Bundesregierung besteht nach Ansicht des SVR die Gefahr, dass sich die Familienmitglieder dennoch auf den Weg zu ihren Liebsten nach Deutschland machen – allerdings nicht mehr auf dem regulierten und legalen Weg.
Verband kritisiert Merz-Dobrindt-Plan: Was stattdessen in der Migrationspolitik hilft
Für die BKMO ist klar, dass die Regierung mit der Verschärfung in der Migrationslinie ihre Glaubwürdigkeit für eine integrationsfördernde Politik untergräbt. „Das hat auch anhaltende Folgen für die ohnehin schon angespannte Stimmung im Land und die Art und Weise, wie über Migration gesprochen wird. Es werden Ressentiments gegen Menschen mit Migrationsgeschichte geschürt und es entsteht der Eindruck, dass weniger Migration weniger Probleme in den Kommunen bedeutet“, sagt Mohamad. „Statt Symbolpolitik, brauchen wir jetzt durchdachte Investitionen in eine zukunftsfähige Integrationsinfrastruktur. Hinzu müssen Kommunen und lokale Migrant*innenorganisationen stärker einbezogen werden, da diese genau wissen, was vor Ort funktioniert.“
Geltendes Recht ist der Kabinettsbeschluss noch nicht, der Bundestag muss erst zustimmen. Dass die knappe Sitzmehrheit von Union und SPD mit ein paar Abweichlern schon dahin ist, zeigte sich bereits prominent bei Merz‘ verkorkster Kanzlerwahl im ersten Durchgang. Auf Hilfe von den Grünen dürfen Union und SPD nicht hoffen. Die Partei kritisiert die Migrations- und Innenpolitik der CDU und CSU scharf. Grünen-Chefin Franziska Brantner griff dazu gegenüber dieser Redaktion die vom Innenminister eingeführten Grenzkontrollen auf: „Dobrindts Grenzblockaden schaden Wirtschaft und Pendlern.“